HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1017
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 338/10, Beschluss v. 28.09.2010, HRRS 2010 Nr. 1017
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 4. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.
1. Der Schuldspruch hat insgesamt keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen besuchte der alkoholisierte und aggressiv auftretende Angeklagte die mit ihm befreundete Nebenklägerin in deren Wohnung. Unter (nicht verfahrensgegenständlichen) Tätlichkeiten gegen ihre Person hielt er ihr angebliche "Männergeschichten" vor, bis der ihn begleitende Zeuge L. zum Aufbruch drängte. Nunmehr verlangte der Angeklagte von der Nebenklägerin Geld. Aus Angst verwies sie ihn auf ihre Handtasche, die vor ihr auf dem Fußboden stand. In hockender Haltung durchsuchte der Angeklagte die Handtasche und fand ein Reizgasspray. Mit der Frage, was sie damit anfangen wolle, sprühte er "aufwärts in ... Richtung" der nur wenig entfernt auf dem Sofa sitzenden Nebenklägerin. Diese, der Zeuge und der Angeklagte "bekamen von dem Reizgas ab". Danach setzte der Angeklagte die Durchsuchung der Handtasche fort, entnahm ihr das Portemonnaie der Nebenklägerin und steckte es in seine Hosentasche, um es samt Inhalt für sich zu behalten.
Anschließend begab sich der Angeklagte mit der Nebenklägerin ins Bad, um ihr beim Auswaschen der Augen zu helfen. Zur Beruhigung der Lage verabredete man, zusammen mit dem Zeugen in dessen Pkw zur Schwester des Angeklagten zu fahren. Vor dem Verlassen der Wohnung legte der Angeklagte das Portemonnaie im Flur ab, ohne etwas entnommen zu haben.
Da der Zeuge zunächst bei seinem Geschäftslokal Halt machte und dann nicht wieder erschien, forderte der Angeklagte die Nebenklägerin nach einiger Wartezeit auf, mit ihm zu Fuß zu seiner Wohnung zu gehen. Dem wagte die Nebenklägerin nicht zu widersprechen. Unterwegs drängte der Angeklagte sie in einen Torweg und drückte sie nach unten, damit sie mit ihm den Oralverkehr ausübe. Trotz ihrer Angst wehrte sich die Nebenklägerin hiergegen, weil spielende Kinder in Sichtweite waren, was sie dem Angeklagten auch sagte. Nunmehr versuchte der Angeklagte, die Hand der Nebenklägerin zu seinem Glied zu führen, "was ihm aber auf Grund ihres Widerstands ebenfalls nicht gelang. Weil er erkannte, gegen den Widerstand der Nebenklägerin die von ihm verlangten sexuellen Praktiken nicht durchsetzen zu können, ließ er von ihr ab" und befahl ihr, mit ihm weiterzugehen. Die Nebenklägerin, die weitere Übergriffe befürchtete, riss sich indes los, um zu ihrer in der Nähe wohnenden Tante zu flüchten. Der Angeklagte holte sie ein und wollte sie weiterzerren, weshalb sie sich sitzend an einem Gitter festkrallte. Aus Wut hierüber trat ihr der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht, so dass sie heftiges Nasenbluten und eine Nasenbeinprellung erlitt.
b) Die Feststellungen tragen - bezogen auf das Sprühen des Reizgases - nicht den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
Ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen; diese Merkmale müssen vom Vorsatz des Täters umfasst sein (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 224 Rn. 9, 13). Zu den Vorstellungen des Angeklagten über die möglichen Folgen seines Handelns verhält sich das Urteil indes nicht. Dass er damit rechnete und es billigte, das Reizgas sei - so wie er es verwendete - geeignet, die Nebenklägerin überhaupt und noch dazu erheblich zu verletzen, versteht sich hier wegen der besonderen Umstände des Falles nicht von selbst. Vorkehrungen gegen Einwirkungen des Gases auf die eigene Person hat der Angeklagte nicht getroffen; zudem folgt das Landgericht ersichtlich der Aussage des Zeugen L., der Angeklagte habe "allenfalls vage" in Richtung der Nebenklägerin gesprüht, und geht weiter davon aus, dass die Tatfolgen deshalb "relativ geringfügig" blieben.
c) Auch der Schuldspruch wegen versuchter Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 22 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht stellt fest, der Angeklagte habe von der Nebenklägerin abgelassen, weil er erkannt habe, gegen ihren Widerstand die von ihm verlangten sexuellen Praktiken nicht durchsetzen zu können; es geht somit von einem fehlgeschlagenen Versuch aus, von dem der Angeklagte nicht mit strafbefreiender Wirkung hätte zurücktreten können (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). Diese Feststellung entbehrt indes einer sie tragenden Beweiswürdigung.
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv - sei es auch nur wegen aufkommender innerer Hemmungen - die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Hält er dagegen die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91; Beschluss vom 9. Juli 2009 - 3 StR 267/09, NStZ 2009, 688).
Worauf der Schluss beruht, der Angeklagte habe die Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr vollenden können, teilt das Urteil nicht mit. Weder setzt es sich mit der körperlichen Konstitution des Angeklagten und der Nebenklägerin auseinander noch verhält es sich dazu, welches Ausmaß die Kraftentfaltung des Angeklagten bereits erreicht hatte. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte auch nach seiner eigenen Vorstellung die von ihm ausgeübte körperliche Gewalt im unmittelbaren Handlungszusammenhang noch hätte steigern und so an sein Ziel gelangen können. Dies liegt bereits deshalb nicht fern, weil der Angeklagte im weiteren Fortgang des Tatgeschehens deutlich intensivere Gewalt (Fußtritte) gegenüber der Geschädigten anwendete.
d) Um dem neuen Tatrichter in Anbetracht des jeweils eng verwobenen Geschehensablaufs insgesamt neue Feststellungen zu ermöglichen, erstreckt der Senat die Aufhebung des Urteils auch auf die Schuldsprüche wegen Diebstahls und, was den Fußtritt gegen die Nebenklägerin betrifft, wegen der weiteren gefährlichen Körperverletzung.
2. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1017
Bearbeiter: Ulf Buermeyer