hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 770

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 318/10, Beschluss v. 26.05.2011, HRRS 2011 Nr. 770


BGH 3 StR 318/10 - Beschluss vom 26. Mai 2011 (LG Wuppertal)

Räuberische Erpressung (Finalität; Kausalität; "Sicherungserpressung"); Nötigung; Betrug.

§ 253 StGB; § 255 StGB; § 263 StGB; § 240 StGB; § 53 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wenden die Angeklagten erst nach der betrügerischen Erlangung eines Vermögensgegenstandes Gewalt an, um den Geschädigten, der nun den fehlenden Zahlungswillen entdeckt hat, zum endgültigen Verzicht auf seine Forderung zu bewegen, kann lediglich eine so genannte Sicherungserpressung vorliegen. Es handelt sich dann um einen Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) mit anschließender - nach Entdeckung begangener - Nötigung (§ 240 StGB). So liegt es, wenn das Nötigungsmittel erst auf Grund eines nach Abschluss der betrügerischen Handlung und nach Eintritt des Betrugsschadens spontan gefassten Entschlusses eingesetzt wurde. In einem solchen Fall ist die Tat weder von Anfang an durch nötigende Elemente geprägt (vgl. BGH NJW 1984, 501), noch führt die spätere Nötigungshandlung zu einer Vertiefung des bereits eingetretenen Vermögensnachteils; es fehlt damit an der Kausalität zwischen der Nötigungsfolge und dem Nachteilseintritt, denn der Vermögensschaden ist bereits zuvor durch den Gewahrsamswechsel eingetreten, dem anschließenden (vorläufigen) Verzicht auf die Geltendmachung von (Rück-)Forderungsansprüchen kommt dabei keine eigenständige Bedeutung zu (BGH NJW 1984, 500).

2. Eine räuberische Erpressung kommt allerdings in Betracht, wenn die - von vornherein beabsichtigte - Gewalt unmittelbar nach der Täuschung eingesetzt worden wäre, um das Opfer zu nötigen, die Schädigung des Vermögens endgültig hinzunehmen (BGHR StGB § 263 Abs. 1 Versuch 1).

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 10. März 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen "schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Nötigung" zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen die Beschwerdeführer die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte F. A. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben bereits mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der Angeklagte F. A. einen Autohandel. Sein Bruder, der Angeklagte A. A., war dort als Angestellter tätig. Der Geschädigte K. unterhielt einen Kfz-Ersatzteilhandel; dort arbeitete sein Schwager, der weitere Geschädigte At. Die Beteiligten kannten sich über ihre Geschäftsbeziehungen.

Am Vormittag des 19. November 2008 suchten die Angeklagten den Geschädigten K. auf. Sie wollten einen Airbag, den sie für 250 € von ihm gekauft hatten, wegen eines Defektes umtauschen. Außerdem wollten sie sich vom Geschädigten einen Betrag von 100 € zurückzahlen lassen, der als Differenz aus verschiedenen zuvor abgeschlossenen Handelsgeschäften zu ihren Gunsten verblieben war. Da der Geschädigte K. keinen funktionierenden Airbag besaß, verlangte der Angeklagte F. A. nun 250 € für den Airbag und zusätzlich die "fehlenden 100 € aus dem rückabgewickelten Lenkgetriebekauf". Der Geschädigte K. war indes nicht zur Zahlung von 350 € bereit. Daraufhin erklärte der Angeklagte F. A. in Gegenwart seines Bruders, er werde nun ein Lenkgetriebe im Wert von 450 € mitnehmen und die seine Forderung übersteigenden 100 € an den Geschädigten K. zahlen. Dieser war damit einverstanden. Tatsächlich wollte der Angeklagte F. A. den Differenzbetrag aber nicht zahlen. Er suchte sich in Begleitung des Geschädigten K. ein passendes Lenkgetriebe aus. Nachdem der Angeklagte F. A. erklärt hatte, das Ersatzteil mitzunehmen, bestand der Geschädigte K. auf Zahlung. Obwohl er nicht zahlungswillig war, antwortete der Angeklagte F. A., er werde das Lenkgetriebe ins Auto bringen, von dort sein Portemonnaie holen und die 100 € begleichen.

Nachdem der Angeklagte A. A. die Halle verlassen hatte, folgte ihm sein Bruder mit dem Getriebe, brachte es zu seinem Fahrzeug und rief dem Geschädigten K. zu, er werde wiederkommen. Der Geschädigte K. ließ ihn gehen, weil er "Probleme" mit beiden Angeklagten vermeiden wollte und auf die "Ernsthaftigkeit" des Zahlungswillens des Angeklagten F. A. vertraute.

Als das Getriebe im Kofferraum verstaut war, nahmen die Angeklagten im Pkw Platz. Der Geschädigte K. bemerkte, dass sie nicht zurückkehrten, lief hinterher und stellte sich vor den Wagen, dessen Motor schon gestartet war. Er wollte die Wegfahrt verhindern und die Angeklagten zur Zahlung bewegen. In der Folge schlugen schließlich beide aus dem Wagen ausgestiegenen Angeklagten auf den Geschädigten K. ein, damit dieser den Weg freigebe und auf die "berechtigte Geldforderung" verzichtete. Beide Angeklagten wirkten bewusst zusammen, um gemeinsam den geleisteten Widerstand des Geschädigten K. zu brechen.

Als der auf das Geschehen aufmerksam gewordene Geschädigte At. seinem Schwager zur Hilfe eilte, drehte sich der Angeklagte A. A. um und zog während der Drehbewegung sein Messer, mit dem er in Kopfhöhe in Richtung des Geschädigten At. stach, um diesen von der Hilfeleistung abzuhalten. Der Geschädigte At. konnte dem Messer ausweichen und flüchtete. Nach einigen Metern Verfolgung ließ der Angeklagte A. A. von ihm ab. Der Angeklagte F. A., der wusste, dass sein Bruder das Messer bewusst griffbereit bei sich führte, hatte das Ziehen des Messers und die Verfolgung des Geschädigten At. gesehen und gebilligt. Er ließ von dem Geschädigten K. ab und verfolgte dessen Schwager At. ebenfalls einige Meter, gab dann aber auch auf.

2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen schwerer räuberischer Erpressung nicht. Der Erpressung macht sich schuldig, wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern (§ 253 Abs. 1 StGB). Der Vermögensnachteil muss Ergebnis einer das Opfer nötigenden Gewaltausübung oder Drohung durch den Täter sein. Daran fehlt es hier.

a) Zwar hat der Geschädigte K. einen Vermögensnachteil erlitten, indes beruhte dieser nicht erst auf der körperlichen Einwirkung durch die Angeklagten. Er war vielmehr schon in dem Augenblick eingetreten, als der Geschädigte irrtumsbedingt den Kaufvertrag abschloss und das Lenkgetriebe übereignete. Erst als er den fehlenden Zahlungswillen entdeckt hatte und die Wegfahrt der Angeklagten zu verhindern suchte, wendeten diese Gewalt an, um ihn zum Verzicht auf seine Forderung zu bewegen.

Es liegt deshalb eine so genannte Sicherungserpressung vor, d.h. ein Betrug (§ 263 Abs. 1 StGB) mit anschließender - nach Entdeckung begangener - Nötigung (§ 240 StGB) zum Zwecke der Sicherung des betrügerisch erlangten Vermögensvorteils. Nach den Feststellungen spiegelte der Angeklagte F. A. dem Geschädigten K. einen nicht bestehenden Zahlungswillen über 100 € vor und erweckte bei diesem einen dementsprechenden Irrtum. Der Geschädigte verfügte irrtumsbedingt über sein Vermögen, indem er dem Angeklagten F. A. das Lenkgetriebe übereignete. Dass der Geschädigte K. den Angeklagten F. A. auch gehen ließ, um "Probleme" mit den Angeklagten zu vermeiden, steht einem Irrtum nicht entgegen. Nach den Feststellungen vertraute der Geschädigte K. auf die Ernsthaftigkeit des geäußerten Zahlungswillens.

Der Umstand, dass der Angeklagte A. A. sein Messer auf und zu klappte, während sein Bruder und der Geschädigte K. über die Bedingungen des neuerlichen Getriebetausches verhandelten, ändert an dieser Beurteilung nichts. Dieses Geschehen hatte nach den Feststellungen keine Auswirkungen auf das Verhalten des Geschädigten K.; es fehlt daher an der notwendigen Zwangswirkung auf das Opfer. Ebenso scheidet eine versuchte schwere räuberische Erpressung auf Basis der Feststellungen aus, da für einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten A. A. nichts festgestellt ist.

b) Eine räuberische Erpressung käme allerdings in Betracht, wenn die - von vornherein beabsichtigte - Gewalt unmittelbar nach der Täuschung eingesetzt worden wäre, um das Opfer zu nötigen, die Schädigung des Vermögens endgültig hinzunehmen (BGH, Beschluss vom 25. Februar 1997 - 1 StR 804/96, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Versuch 1). Den Feststellungen kann indes nicht entnommen werden, dass der Angeklagte F. A. bereits bei Vorspiegelung seines Zahlungswillens bzw. bis zum Beginn der geplanten Wegfahrt den Einsatz des Nötigungsmittels beabsichtigte. Aus der zu Gunsten der Angeklagten vorgenommenen Unterstellung, dass sie sich "spontan zur Tat entschlossen haben, nachdem sie zunächst lediglich vorhatten, den defekten Airbag ... einzutauschen bzw. nachdem sie ... zur Zahlung von insgesamt 350 € aufgefordert hatten", ergeben sich weder der Zeitpunkt des Entschlusses noch die Tat (Betrug bzw. räuberische Erpressung oder Nötigung), auf die sich der Entschluss bezog.

Die Feststellungen legen es vielmehr nahe, dass das Nötigungsmittel erst aufgrund eines nach Abschluss der betrügerischen Handlung und nach Eintritt des Betrugsschadens spontan gefassten Entschlusses eingesetzt wurde. In einem solchen Fall ist die Tat weder von Anfang an durch nötigende Elemente geprägt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1983 - 4 StR 405/83, NJW 1984, 501) noch führt die spätere Nötigungshandlung zu einer Vertiefung des bereits eingetretenen Vermögensnachteils; es fehlt damit an der Kausalität zwischen der Nötigungsfolge und dem Nachteilseintritt, denn der Vermögensschaden ist bereits zuvor durch den Gewahrsamswechsel eingetreten, dem anschließenden (vorläufigen) Verzicht auf die Geltendmachung von (Rück-)Forderungsansprüchen kommt dabei keine eigenständige Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 22. September 1983 - 4 StR 376/83, NJW 1984, 500; AG Tiergarten, Urteil vom 16. Oktober 2008 - (257 Ls) 52 Js 4301/08 (16/08), NStZ 2009, 270; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 253 Rn. 25 mwN). Die Gewaltanwendung beeinflusste die Vermögenssituation des Geschädigten K. als solche nicht. Da ihm die Person seines Schuldners bekannt war, wurde auch die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung der Forderung durch die Schläge nicht beeinträchtigt.

3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird die Bedenken zu berücksichtigen haben, die in verfahrensrechtlicher Hinsicht gegen die Verlesung des Notfallvertretungsscheins des Krankenhauses erhoben worden sind. Auch bedürfte die Annahme von Tateinheit bei gegen verschiedene Geschädigte gerichteten Gewalthandlungen näherer Darlegungen.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 770

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 95; StV 2011, 677

Bearbeiter: Ulf Buermeyer