HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1037
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 190/10, Urteil v. 05.08.2010, HRRS 2010 Nr. 1037
I.1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 18. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten T. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die durch die Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. Die Revisionen der Angeklagten K. und H. werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des "gemeinschaftlichen" schweren Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 25 Abs. 2 StGB schuldig gesprochen. Die Angeklagte K. hat es zur Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, gegen die Angeklagten T. und H. hat es Freiheitsstrafen von fünf Jahren bzw. drei Jahren und sechs Monaten verhängt.
Die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Die Beschwerdeführerin beanstandet insbesondere, dass das Landgericht die festgestellte Tat nicht als besonders schweren Raub gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg und hat hinsichtlich des Angeklagten T. die Aufhebung des Urteils auch zu dessen Gunsten zur Folge (§ 301 StPO).
Die Angeklagten wenden sich mit ihren Revisionen jeweils mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gegen das Urteil des Landgerichts, wobei die Angeklagte K. ihr Rechtsmittel wirksam auf die Überprüfung des Strafausspruchs beschränkt hat. Die Revision des Angeklagten T. ist erfolgreich; die Rechtsmittel der Angeklagten K. und des Angeklagten H. sind hingegen unbegründet.
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die Angeklagten und ein weiterer, anderweitig verfolgter Beteiligter entschlossen sich, einem Freier der als Prostituierte tätigen Angeklagten K. Geld wegzunehmen und diesen dabei mit einer ungeladenen Waffe zu bedrohen. Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend veranlasste die Angeklagte K. das spätere Tatopfer, sich mit ihr zu treffen. Unter dem Vorwand, er könne sie mit seinem Pkw in die Nähe ihrer Wohnung bringen, dirigierte sie den arglosen Zeugen zu einem dunklen Platz, wo die beiden Mitangeklagten und der weitere Tatgenosse warteten. Nachdem das Opfer seinen Pkw angehalten hatte, stieg der Angeklagte H. absprachegemäß durch eine der hinteren Türen in das Kraftfahrzeug ein, umfasste den Überfallenen mit einem Arm am Hals, hielt ihm mit der anderen Hand die Augen zu und sagte ihm, er solle ruhig bleiben und seine Arme auf das Lenkrad legen. Sodann legte der Angeklagte H. - entgegen der ursprünglichen Planung - ein etwa 60 Zentimeter langes, stabiles Kunststoffband in der Art eines Schnürsenkels mit einem Holzanhänger, das er zuvor als Armband getragen hatte, um den Hals des Tatopfers, um dieses zu fixieren und an einer Gegenwehr zu hindern. Dem Überfallenen gelang es jedoch, eine Hand unter das Band zu schieben und es wegzureißen, sodass es auf der Mittelkonsole des Pkw zu liegen kam. Nachdem der nunmehr an der geöffneten hinteren rechten Autotür stehende Angeklagte T. den Zeugen verbal eingeschüchtert hatte, nahm er dessen Mobiltelefon und Jacke an sich, ließ sich dessen Armbanduhr aushändigen und nahm dem Opfer sodann auch die Geldbörse weg, in der sich unter anderem 60 € Bargeld befanden. Entgegen der Erwartung der Täter hatte der Zeuge indes an diesem Abend - anders als am Tag zuvor, als er für die Angeklagte K. wahrnehmbar 33.000 € mit sich geführt hatte - keinen größeren Bargeldbetrag bei sich. Daher ließen die Täter nach einer Durchsuchung des Pkw von ihrem Opfer ab und entfernten sich mit ihrer Beute, die zunächst der Angeklagte T. an sich nahm. Das Mobiltelefon des Opfers verblieb schließlich bei der Angeklagten K. Das weggenommene Geld teilten die Täter unter sich auf.
Dass bei der Tat - wie ursprünglich geplant - eine (ungeladene) Waffe verwendet oder - wie vom Angeklagten T. nach der Tat behauptet - von diesem ein Messer mitgeführt wurde, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
2. Das Landgericht hat diese Tat als - gemeinschaftlich begangenen (§ 25 Abs. 2 StGB) - schweren Raub gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB gewürdigt. Die Strafkammer ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt seien. Ein anderes gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift sei nur ein generell und nicht erst durch die konkrete Art seiner Anwendung gefährlicher Gegenstand. Diese Voraussetzung erfülle das eingesetzte Kunststoffband nicht. Ferner habe der Angeklagte H. das Werkzeug auch nicht verwendet im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes. Zwar wäre das Band grundsätzlich zum Strangulieren geeignet gewesen. Es habe aber nicht festgestellt werden können, dass es hierzu auch benutzt worden sei. Der Angeklagte habe dem Zeugen das Band lediglich über den Kopf geworfen bzw. um den Hals gelegt. Er habe auch nicht damit gedroht, den Zeugen damit zu strangulieren. Dass bei der Tat das Kunststoffband und nicht - wie ursprünglich geplant - eine ungeladene Waffe verwendet worden sei, stelle eine unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom geplanten Kausalverlauf dar, den sich die Angeklagten K. und T. zurechnen lassen müssten.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts hält auf der Grundlage der Feststellungen der Nachprüfung nicht stand. Zwar ist die Ansicht des Landgerichts, dass es sich bei dem von dem Angeklagten H. verwendeten Band nicht um ein objektiv gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB handelt, nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Auffassung der Strafkammer, auch der konkrete Einsatz des Bandes durch den Angeklagten H. könne nicht als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet werden.
a) Ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern auch, wenn sich die objektive Gefährlichkeit eines an sich ungefährlichen (neutralen) Gegenstandes erst aus seiner konkreten Verwendung ergibt, weil diese geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen; die Gefährlichkeit kann sich gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand bestimmungswidrig gebraucht wird (vgl. - je mwN - Fischer, StGB, 57. Aufl., § 250 Rn. 6 f. und 20 f.; MünchKommStGB/Sander, § 250 Rn. 60 f.).
Der Begriff des Verwendens umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch. Nach der Konzeption der Raubdelikte bezieht er sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels im Grundtatbestand, so dass das Verwenden immer dann zu bejahen ist, wenn der Täter zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für deren Leib oder Leben gebraucht (BGH, Urteil vom 11. Mai 1999 - 4 StR 380/98, BGHSt 45, 92, 94 f. mwN; BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 - 3 StR 102/08, NStZ 2008, 687; Sander, aaO, Rn. 58 ff.). Die Drohung kann ausdrücklich oder konkludent geäußert werden (vgl. Fischer, aaO, § 240 Rn. 31 mwN). Das (vollendete) Verwenden eines Werkzeuges zur Drohung setzt voraus, dass das Opfer das Nötigungsmittel als solches erkennt und die Androhung seines Einsatzes wahrnimmt (BGH, Beschluss vom 1. September 2004 - 2 StR 313/04, NJW 2004, 3437). Bedient sich der Täter zur Drohung eines objektiv ungefährlichen Gegenstandes, so verwendet er ihn dann als gefährliches Werkzeug, wenn er ankündigt, ihn in einer Weise zu benutzen, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR 34/07, BGHSt 51, 276, 278; LK-Vogler, 12. Aufl., § 250 Rn. 32).
b) Danach kann der Angeklagte H. den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB entgegen der Ansicht des Landgerichts verwirklicht haben. Dabei kann dahinstehen, ob er dadurch, dass er dem Opfer zu dessen Fixierung das - nach den Feststellungen des Landgerichts zum Strangulieren generell geeignete - Band von hinten um den Hals legte, dieses - insbesondere auch wegen erwarteter Abwehr- oder Fluchtreaktionen - zu einer Gewaltausübung nutzte, die geeignet war, erhebliche Verletzungen zu verursachen; denn naheliegend hat er durch sein Verhalten dem Überfallenen objektiv und subjektiv jedenfalls mit einer konkret gefährlichen Verwendung des Bandes gedroht, nämlich konkludent damit, dieses am Hals zuzuziehen, falls der Zeuge sich der beabsichtigten Wegnahmehandlung widersetzen sollte. Nach seiner wehrhaften Reaktion hat der Genötigte das Band als Nötigungsmittel wahrgenommen und dessen Einsatz wohl auch als Drohung mit einer Strangulation verstanden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es nicht darauf an, dass der Angeklagte den Zeugen tatsächlich nicht stranguliert hat. Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist weiter ohne Belang, dass der Überfallene das Band weg reißen konnte und es im weiteren Fortgang der Tat nicht mehr verwendet wurde; denn die Qualifikation ist verwirklicht, wenn das Werkzeug - wie hier - im Zeitraum vom Ansetzen zum Versuch bis zur Beendigung der Tat eingesetzt wird (Fischer, aaO, § 250 Rn. 18 mwN).
2. Diese Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten H. betreffen auch die Verurteilungen der anderen Angeklagten als Mittäter. Die Sache bedarf daher umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung. Für den Fall einer Verurteilung gemäß § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB wäre auf "besonders schweren Raub" zu erkennen, da die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat die Kennzeichnung der jeweils gegebenen Qualifikation notwendig macht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09 mwN).
3. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten K. ergeben (§ 301 StPO). Sie führt indes wegen eines den Angeklagten T. belastenden Rechtsfehlers auch zu dessen Gunsten zur Aufhebung des Urteils (vgl. unten III. 1.).
III. Revisionen der Angeklagten
1. Die Revision des Angeklagten T. hat Erfolg. Die getroffenen Feststellungen des Landgerichts sind unzureichend und belegen - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - nicht seine Mittäterschaft an dem (gegebenenfalls besonders) schweren Raub des Angeklagten H. Es fehlen zunächst Feststellungen dazu, aus welchen Gründen es nicht zu dem ursprünglich geplanten Einsatz einer ungeladenen Waffe kam und ob der Angeklagte T. Kenntnis davon hatte, dass der Angeklagte H. stattdessen das Kunststoffband als Nötigungsmittel einsetzen wollte. Die getroffenen Feststellungen lassen weiterhin offen, ob der hinzutretende Angeklagte T. das anfängliche - nur kurz andauernde - Legen des Bandes um den Hals des Opfers durch den Angeklagten H. gesehen oder sonst wahrgenommen hat; solches versteht sich auch nach den sonstigen Umständen der Tat nicht von selbst. Der Senat ist daher nicht in der Lage zu überprüfen, ob hinsichtlich des Angeklagten T. - wie das Landgericht annimmt - die Voraussetzungen einer (eventuell sukzessiven) mittäterschaftlichen Beteiligung an dem schweren Raub des Angeklagten H. gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB gegeben sind oder die Verwendung des Kunststoffbandes einen nicht zurechenbaren Exzess dieses Angeklagten darstellte (vgl. Fischer, aaO, § 25 Rn. 20).
2. Die Rechtsmittel der Angeklagten K. und H. sind hingegen aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts unbegründet.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1037
Externe Fundstellen: NStZ 2011, 211
Bearbeiter: Ulf Buermeyer