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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 791

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 147/10, Urteil v. 22.07.2010, HRRS 2010 Nr. 791


BGH 3 StR 147/10 - Urteil vom 22. Juli 2010 (LG Oldenburg)

Verfall (Unterbleiben der Anordnung; Entreicherung; tatrichterliches Ermessen; notwendige Feststellungen).

§ 73 StGB; § 73a StGB; § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die tatrichterliche Feststellung, dass der Wert des aus seinen Straftaten Erlangten im Vermögen eines Angeklagten nicht mehr vorhanden sei, setzt konkrete tatrichterliche Feststellungen dazu voraus, in welchem Umfang und zu welchem Zweck das Erlangte ausgegeben wurde.

2. Erlangt im Sinne der § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB ist ein Vermögensvorteil nur dann, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben hat. Mit der Feststellung allein, mit Straftaten sei ein Umsatz in bestimmter Höhe erzielt worden, wird dies nicht belegt.

3. Eine Zurechnung erlangter Vermögenswerte nach den Grundsätzen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung kommt für jeden Mittäter nur dann in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass gerade diesem Mittäter zumindest Mitverfügungsgewalt über die jeweiligen Erlöse zustehen sollte und er diese auch tatsächlich innehatte.

Entscheidungstenor

1. Das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 25. November 2009 wird

- auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz über einen Betrag in Höhe von 20.000 € hinaus abgesehen hat;

- auf die Revision des Angeklagten mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Strafkammer des Landgerichts Verden zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 7. Mai 2007 wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht hatte den Verfall von Wertersatz nicht angeordnet und dies damit begründet, dass er für den Angeklagten eine unbillige Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB wäre. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hatte der Senat die landgerichtliche Entscheidung mit Urteil vom 26. März 2009 (3 StR 579/08, NStZ 2010, 86) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung des Wertersatzverfalls abgesehen worden war, und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Daher sind der Schuld- und Strafausspruch des Urteils vom 7. Mai 2007 rechtskräftig und die sie tragenden Feststellungen bindend; die nach der Zurückverweisung mit der Sache befasste Strafkammer hatte lediglich nach Maßgabe des Urteils des Senats auf der Grundlage neu zu treffender Feststellungen erneut über die Anordnung des Wertersatzverfalls zu entscheiden.

Das Landgericht hat nunmehr den Verfall von Wertersatz in Höhe von 20.000 € angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Angeklagte habe 192.000 € - den gemäß § 73b StGB geschätzten gesamten Verkaufserlös des Rauschgifts - im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt. Nach der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB sei der Wertersatzverfall in Höhe von 20.000 € angemessen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die beanstandet, dass das Landgericht keinen höheren Betrag für verfallen erklärt hat. Der Angeklagte wendet sich mit einer Aufklärungs- und der Sachrüge gegen die Anordnung des Wertersatzverfalls.

Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

I. Revision der Staatsanwaltschaft

Das wirksam beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Erwägungen, aufgrund derer das Landgericht nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB davon abgesehen hat, einen 20.000 € übersteigenden Betrag für verfallen zu erklären, halten sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Revision rügt zu Recht, dass die Ausführungen der Strafkammer zur Entreicherung des Angeklagten einer tragfähigen Tatsachengrundlage entbehren.

1. Der Senat hat hierzu bereits in seinem Urteil vom 26. März 2009 u. a. ausgeführt:

"Den Gründen des landgerichtlichen Urteils lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass zum Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils der Wert des aus den Straftaten Erlangten in dem Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden war. Dies setzt konkrete tatrichterliche Feststellungen dazu voraus, in welchem Umfang und zu welchem Zweck das Erlangte ausgegeben wurde (vgl. BGH wistra 2009, 23, 25; Schmidt aaO Rn. 12)."

2. Solche konkreten Feststellungen enthält auch das nunmehr angefochtene Urteil nicht. Die Strafkammer führt zur Entreicherung des Angeklagten im Wesentlichen lediglich aus, "nach ihrer Auffassung" seien die Drogengelder heute "zu einem großen Teil" nicht mehr im Vermögen des Angeklagten vorhanden; denn die durchgeführten Vermögensermittlungen hätten keine nennenswerten Vermögenswerte erbracht. Damit beruht die tatgerichtliche Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB auf einer unzureichenden Beurteilungsgrundlage. Im Einzelnen:

a) Die Strafkammer erläutert schon nicht, was sie unter "einem großen Teil" von immerhin 192.000 € versteht; dies ergibt sich auch nicht von selbst. Damit bleibt selbst die ungefähre Höhe, in der die Entreicherung des Angeklagten eingetreten sein soll, im Dunkeln.

b) Zu den näheren Umständen, unter denen die Bereicherung des Angeklagten weggefallen, insbesondere dem Zweck, zu dem das Erlangte ausgegeben worden sein soll, enthalten die Urteilsgründe keine Angaben. Diese verhalten sich auch nicht zu möglicherweise dem Vermögen des Angeklagten zugeflossenen Gegenwerten. Das Landgericht verweist zur Begründung der Annahme einer Entreicherung auf durchgeführte Vermögensermittlungen. Insoweit belegen die Entscheidungsgründe allerdings nur, dass der mit den Ermittlungen betraute Polizeibeamte als Zeuge bekundet hat, als Vermögen des Angeklagten seien ein älteres Fahrzeug, etwas Bargeld sowie eine Forderung gegen eine Volksbank vorhanden gewesen. Ausführungen etwa zu Art und Umfang dieser Ermittlungen bleibt das Landgericht schuldig. Solche wären indes bereits mit Blick auf die vom Angeklagten nach dem Verkauf seiner Gaststätte bis zu seiner Inhaftierung in dieser Sache betriebene 4000 qm große Markthalle mit ca. 200 Ständen erforderlich gewesen.

3. Ob das Landgericht im Übrigen das ihm nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat, bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung.

4. Der Senat weist darauf hin, dass der Zweifelssatz das Tatgericht nicht verpflichtet, von der dem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auszugehen, wenn hierfür keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen (BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147, 148; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 261 Rn. 26; KK-Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 40). Dies gilt auch für den Wegfall der Bereicherung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, wenn der Verbleib des Erlöses nicht aufgeklärt werden kann.

II. Revision des Angeklagten

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge bereits deshalb Erfolg, weil die Urteilsgründe - erneut - keine rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen enthalten, die belegen, in welcher Höhe der Angeklagte aus den Rauschgiftgeschäften etwas im Sinne der § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB erlangt hat. Auf die vom Angeklagten geltend gemachte verfahrensrechtliche Beanstandung sowie seine weiteren materiellrechtlichen Einwendungen kommt es deshalb nicht an.

1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. März 2009 unter Hinweis auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt:

"'Erlangt' im Sinne der § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB ist ein Vermögensvorteil nur dann, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben hat (vgl. BGH NStZ 2003, 198 f.). Mit der pauschalen Angabe, aus den Betäubungsmittelgeschäften sei ein Umsatz von mindestens 135.000 € erzielt worden, wird dieser Umstand nicht belegt. Die bloße Annahme mittäterschaftlichen Handelns vermag die fehlenden Darlegungen des tatsächlichen Geschehens hierzu nicht zu ersetzen; denn eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem Angeklagten zumindest Mitverfügungsgewalt über die jeweiligen Erlöse habe zukommen sollen (vgl. BVerfG StV 2004, 409, 411; BGH NStZ 2003, 198 f.) und er diese auch tatsächlich hatte (BGH NStZ-RR 2007, 121). Feststellungen hierzu hat das Landgericht nicht getroffen."

2. Die Gründe der nunmehr angefochtenen Entscheidung enthalten gleichwohl keine Feststellungen zu dem tatsächlichen Geschehen, die über diejenigen in dem Urteil vom 7. Mai 2007 hinausgehen; die Strafkammer hat lediglich aus den Feststellungen dieses Urteils, insbesondere der Stellung des Angeklagten in der Bande, den Schluss gezogen, "nach ihrer Auffassung" habe er Mitverfügungsgewalt über den gesamten Erlös aus der Veräußerung des Rauschgifts gehabt. Dies ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft:

a) Bereits der tatsächliche Ausgangspunkt des Landgerichts begegnet durchgreifenden Bedenken. Die Strafkammer stellt darauf ab, nach ihrer Überzeugung habe der Angeklagte innerhalb der Bande "zumindest den gleichen Rang" innegehabt wie "J.". Damit setzt sie sich in Widerspruch zu den bindenden Feststellungen des Urteils vom 7. Mai 2007. Danach nahm der Angeklagte zwar innerhalb der Organisation eine maßgebliche Position ein, aus der heraus er das Geschehen mitlenkte. Jedoch war "J." W. der "Chef" bzw. "Rädelsführer" der aus ihm, dem Angeklagten und drei weiteren Personen bestehenden Gruppe, der das Unternehmen steuerte, die Abwicklung der Schmuggelfahrten bestimmte und die notwendigen Kontakte sowohl zu den Lieferanten als auch zu den Abnehmern hergestellt hatte.

b) Im Übrigen bieten die Feststellungen des Urteils vom 7. Mai 2007 für den vom Landgericht gezogenen Schluss, der Angeklagte habe Mitverfügungsgewalt an dem gesamten Verkaufserlös des Rauschgifts gehabt, keine ausreichende tatsächliche Grundlage. Für diese Folgerung reicht allein der Umstand, dass der Angeklagte ein führendes Mitglied der Bande war, die sich zum Transport von Betäubungsmitteln zusammengeschlossen hatte, ebenso wenig aus wie die bloße Feststellung der Mittäterschaft an einer Straftat. Erforderlich waren vielmehr Darlegungen zu dem konkreten, für die Anordnung des Wertersatzverfalls relevanten tatsächlichen Geschehen, die zumindest eine Mitverfügungsgewalt des Angeklagten über den vollständigen Veräußerungserlös belegen. Hieran fehlt es.

Nach den Feststellungen war der Angeklagte Teil einer Bande um "J." W., die Haschisch- und Marihuanatransporte erheblichen Umfangs von den Niederlanden nach England und in andere europäische Länder organisierte und durchführte; auf Liefer- und Abnehmerseite war er nicht Mitglied der Gesamtorganisation. In den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe wurden die Betäubungsmittel aus Amsterdam nach England gebracht und dort vereinbarungsgemäß an unbekannte Abnehmer übergeben. Im letzten Fall sollte der Transport aus den Niederlanden durch Deutschland nach Dänemark stattfinden.

Weder die Gründe des Urteils vom 7. Mai 2007 noch diejenigen der nunmehr angefochtenen Entscheidung enthalten Hinweise z. B. auf den weiteren Verbleib der Betäubungsmittel in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe sowie darauf, welche finanziellen Vereinbarungen die Beteiligten - Lieferanten, Transporteure und Abnehmer des Rauschgifts, die sich in mehreren Ländern aufhielten, - getroffen hatten. So bleibt etwa offen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die für den Transport zuständige Gruppe, welcher der Angeklagte zugehörte, an dem Verkaufserlös partizipieren oder ob sie für das jeweilige Verbringen des Rauschgifts eine feste, naheliegend von Menge und Art bzw. Qualität des transportierten Rauschgifts abhängige Vergütung erhalten sollte. Festgestellt sind lediglich die Beträge, welche die unmittelbaren Kuriere in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe von "J." W. erhielten. Bezüglich der Verteilung des weiteren Gewinns zwischen diesem und dem Angeklagten fehlen demgegenüber belastbare Angaben zu den Absprachen zwischen den Beteiligten und deren tatsächlicher Umsetzung. Die Urteilsgründe teilen insoweit lediglich mit, dass der Angeklagte an den Drogentransporten selbst wirtschaftlich beteiligt war bzw. sich dadurch einen erheblichen finanziellen Gewinn versprach. Hieraus und aus dem weiteren Umstand, dass der Angeklagte wegen des fehlgeschlagenen letzten Transports 60.000 € zu zahlen hatte, von denen er 8.000 € von einem Kurier zurückforderte, lässt sich indes für die Frage, was der Angeklagte aus den Straftaten konkret erlangte, nichts Wesentliches herleiten.

Insgesamt erweist sich unter diesen Umständen der Schluss der Strafkammer, die Beteiligten seien sich darüber einig gewesen, dass dem Angeklagten als Teil allein der für den Transport des Rauschgifts zuständigen Gruppierung Mitverfügungsgewalt über die gesamten in England beim Verkauf des Rauschgifts durch unbekannte Dritte erzielten Erlöse habe zukommen sollen und er diese auch tatsächlich hatte, als reine Spekulation.

III. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 791

Bearbeiter: Ulf Buermeyer