HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 22
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 507/09, Beschluss v. 13.01.2010, HRRS 2011 Nr. 22
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 4. März 2009, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Menschenhandels (zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft) in acht Fällen und wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 25 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; weiter hat es ihm für die Dauer von drei Jahren verboten, "eine selbständige, leitende oder angestellte Tätigkeit von Organisation und Durchführung sowie Vermittlung von Veranstaltungen folkloristischer, kultureller und künstlerischer Art" auszuüben. Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Besetzungsrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachrüge kommt es daher nicht an.
Mit Recht beanstandet der Beschwerdeführer die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 338 Nr. 1 StPO). Der Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 10. Oktober 2007, der die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung der zunächst bei der Strafkammer 3 eingegangenen Sache nachträglich der Hilfsstrafkammer 3c zugewiesen hat, genügt nicht den Anforderungen, die an eine Übertragung (ausschließlich) bereits anhängiger Verfahren im Wege der Änderung der Geschäftsverteilung zu stellen sind. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG erlaubt dem Präsidium die Änderung der Geschäftsverteilung während eines laufenden Geschäftsjahres, wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers erforderlich wird. Zu diesem Zweck kann auch eine Hilfsstrafkammer eingerichtet werden, der Verfahren nach allgemeinen sachlichobjektiven Kriterien zugewiesen werden. Die Zuweisung bereits anhängiger Verfahren ist grundsätzlich nur möglich, wenn die Neuregelung generell gilt, also auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger gleichartiger Fälle erfasst (vgl. BVerfG NJW 2003, 345; 2005, 2689 f. m.w.N.). Nur in Ausnahmefällen, wenn allein so dem Beschleunigungsgebot Rechnung getragen werden kann, ist eine beschränkte Zuweisung allein bereits eingegangener Verfahren zulässig (vgl. BVerfG NJW 2009, 1734 f.). In Anbetracht des Ausnahmecharakters solcher Fälle und des Gewichts des Grundsatzes des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist dann eine detaillierte Dokumentation der Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, nötig (vgl. BGH Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 - Rdnr. 17; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09 - Rdnr. 18). Mängel in der Begründung des Beschlusses kann das Präsidium bis zur Entscheidung über einen nach § 222b StPO erhobenen Besetzungseinwand durch einen ergänzenden, die Gründe für die Umverteilung dokumentierenden Beschluss ausräumen (vgl. BGH Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08 - Rdnr. 20; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09 - Rdnr. 22). Diesen Anforderungen wurde vorliegend nicht Rechnung getragen. Der Präsidiumsbeschluss vom 10. Oktober 2007 beschränkt sich darauf, die 3. Strafkammer als überlastet zu bezeichnen, eine Begründung hierfür enthält er nicht. Diese liegt auch nicht in dem Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2007, denn es wird nicht erläutert, wie sich dieser Beschluss auf die Gesamtbelastung der 3. Großen Strafkammer auswirkte. Eine Heilung durch die dienstliche Äußerung des Präsidenten des Landgerichts ist nicht eingetreten. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob diese Äußerung auf einem - nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlichen - ergänzenden Beschluss des Präsidiums beruht, denn auch in diesem Fall wäre den Begründungsanforderungen nicht genügt. Mit der Äußerung wird nämlich nur dargelegt, dass die Strafkammer 3 nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung in den Monaten Oktober bis Dezember 2007 zusätzliche Verhandlungstage anberaumen musste, um dem Beschleunigungsgebot Genüge zu tun. Wie viele Verfahren welchen Umfangs bei der 3. Strafkammer anhängig waren, ob also insgesamt eine Überlastung eingetreten war, lässt sich dem nicht entnehmen. Zudem erschließt sich der Zusammenhang zwischen einer verstärkten Terminierung bis Dezember 2007 und dem vorliegenden Verfahren, das erst Ende September 2007 bei der 3. Großen Strafkammer eingegangen war und hinsichtlich dessen kaum mit dem Beginn der Hauptverhandlung vor Januar 2008 zu rechnen war, aus der dienstlichen Erklärung nicht. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist somit die Präsidiumsentscheidung bereits auf Grund mangelhafter Begründung nicht als rechtmäßig anzusehen; ob tatsächlich eine Überlastung der 3. Großen Strafkammer bestand, ist für den Erfolg der Besetzungsrüge ohne Belang."
Dem schließt sich der Senat an.
Für die neue Hauptverhandlung geben die Urteilsgründe Anlass zu folgenden Hinweisen:
1. Die bisherigen Feststellungen vermögen den Schuldspruch wegen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft nach § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB, in Kraft getreten am 19. Februar 2005 (Art. 1 Nr. 10, Art. 4 des 37. StrÄndG vom 11. Februar 2005; BGBl I 239), nicht zu tragen.
a) Menschenhandel im Sinne des § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB begeht der Täter nicht bereits dann, wenn er eine sich in einer Zwangslage oder in einem Zustand der auslandsspezifischen Hilflosigkeit befindliche Person in ein als ausbeuterisch zu beurteilendes Beschäftigungsverhältnis übernimmt. Die Vorschrift setzt vielmehr voraus, dass der Täter die Person unter Ausnutzung der Zwangslage oder der Hilflosigkeit zur Aufnahme oder Fortsetzung der Beschäftigung bringt.
aa) Allerdings verlangt der Begriff des "dazu Bringens" im Sinne der §§ 232, 233 StGB, zu dessen Auslegung auch die §§ 180 b, 181 StGB in der bis 18. Februar 2005 geltenden Fassung herangezogen werden können (Schroeder NJW 2005, 1393, 1395), weder eine Einflussnahme von gesteigerter Intensität wie das "Einwirken" (§ 180b aF) noch eine Willensbeeinflussung im Wege der Kommunikation wie das "dazu Bestimmen" (§ 181 aF; vgl. Renzikowski in MünchKommStGB § 180b Rdn. 25; § 181 Rdn. 13). Ist das Merkmal des Ausnutzens erfüllt, genügt jede ursächliche Herbeiführung des Erfolges, gleichgültig auf welche Art und Weise, sei es auch nur durch das Schaffen einer günstigen Gelegenheit oder durch ein schlichtes Angebot (BGH NStZ-RR 2005, 234; Schroeder aaO; Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 233 Rdn. 12; § 232 Rdn. 18; Fischer, StGB 57. Aufl. § 232 Rdn. 12; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 232 Rdn. 2; enger Renzikowski aaO § 233 Rdn. 18; § 232 Rdn. 24 f.).
bb) Indes schützt § 233 StGB die Freiheit der Person, über den Einsatz und die Verwertung ihrer Arbeitskraft zu verfügen (Fischer aaO § 233 Rdn. 2). Tatbestandsmäßig ist deshalb nur ein Handeln, das gerichtet ist auf das Ziel, den Willen des - bereits in der Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigten - Opfers zu beeinflussen und so den in der Aufnahme oder in der Fortsetzung der ausbeuterischen Beschäftigung bestehenden Erfolg herbeizuführen (vgl. Renzikowski aaO § 180 b Rdn. 51 f.; BTDrucks. 15/3045 S. 8). Der Täter muss einen bislang nicht vorhandenen Entschluss des Opfers, ein solches Beschäftigungsverhältnis einzugehen, hervorrufen oder das Opfer von seinem Entschluss, die Beschäftigung aufzugeben, abbringen (vgl. BGH StraFo 2009, 429, 430; NStZ-RR 2004, 233, 234). Hieran fehlt es, wenn für den Erfolg eine vom Opfer unabhängig von seiner Lage getroffene eigenverantwortliche Entscheidung maßgeblich war (Eisele aaO § 232 Rdn. 18; Renzikowski aaO § 233 Rdn. 19; § 232 Rdn. 26).
b) Ob erst die entsprechenden Angebote des Angeklagten den Entschluss der Geschädigten hervorgerufen haben, die ab Sommer 2003 eingegangenen, soweit ersichtlich jeweils auf ein Jahr befristeten Engagements für die von ihm durchgeführten Folkloreveranstaltungen auch in der Zeit nach dem 19. Februar 2005 zu erneuern, lässt sich mangels ausreichender Feststellungen zur Willensrichtung der Geschädigten nicht beurteilen. Festgestellt ist lediglich, dass sie die Verträge weiterhin unterschrieben, weil sie als marokkanische Staatsangehörige eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland anstrebten, sich deshalb fünf Jahre ununterbrochen hier aufhalten mussten und dieses Ziel auf andere Weise nicht erreichen konnten. Diese Interessenlage kann darauf hindeuten, dass die Geschädigten von vornherein entschlossen waren, erwartete Angebote des Angeklagten anzunehmen, ungeachtet dessen, dass wegen des absehbaren Misserfolgs der Veranstaltungen die versprochene Bezahlung auch in Zukunft weithin ausbleiben würde.
2. Das Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 1 AufenthG, § 92a Abs. 1 AuslG aF ist eine zur Täterschaft verselbständigte Beteiligung an einer fremden Tat (Gericke in MünchKommStGB § 96 AufenthG Rdn. 2). Unterstützt der Täter mehrere Ausländer bei der Beschaffung von Aufenthaltstiteln, ist materiellrechtlich eine Tat anzunehmen, soweit sich sein Handeln als einheitliches Geschehen darstellt. Hierzu teilen die Urteilsgründe nichts mit. Worauf die Annahme von 25 Fällen des Einschleusens beruht, wird deshalb nicht ersichtlich.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 22
Externe Fundstellen: NStZ 2011, 157; StV 2010, 296
Bearbeiter: Ulf Buermeyer