HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 20
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 466/09, Beschluss v. 12.01.2010, HRRS 2011 Nr. 20
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. Juli 2009 dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um ein Viertel ermäßigt; die Staatskasse trägt ein Viertel der dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten des Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot in zwei Fällen schuldig gesprochen und ihn deswegen zum einen unter Auflösung der mit Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Mai 2008 gebildeten Gesamtgeldstrafe und Einbeziehung der dort verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten sowie zum anderen zu einer weiteren Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte in der Zeit vom 10. Januar 2007 bis zum 13. März 2009 als Funktionär des KONGRAGEL (Kongra Gele Kurdistan - Volkskongress Kurdistans), einer Nachfolgeorganisation der PKK (Patiya Karkeren Kurdistan - Arbeiterpartei Kurdistan), Verantwortlicher für den Raum Dresden. In Ausübung dieser Tätigkeit sammelte er für die Organisation Spenden und verkaufte bzw. vertrieb Propagandamaterialien.
Durch Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Mai 2008 wurden gegen ihn wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot in zwei Fällen Geldstrafen von jeweils 60 Tagessätzen zu je 15 € verhängt, aus denen das Landgericht eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen bildete. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte am 17. Januar und 14. Februar 2006 in Erfurt und Umgebung Spendengelder für KONGRAGEL eingesammelt und Propagandamaterial verteilt hatte.
1. Die Strafkammer hat angenommen, das bezeichnete Urteil des Landgerichts Gera wirke als Zäsur mit der Folge, dass im vorliegenden Fall zwei materiellrechtliche Taten anzunehmen seien. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das hier abgeurteilte Verhalten des Angeklagten stellt vielmehr nur eine sachlichrechtliche Tat dar.
a) Jedes Zuwiderhandeln gegen ein Betätigungsverbot nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG ist grundsätzlich eine materiellrechtlich selbstständige Straftat (BGHSt 43, 312). Übernimmt ein Täter allerdings im Interesse eines mit einem Betätigungsverbot belegten Vereins ein auf eine gewisse Dauer angelegtes Amt oder einen bestimmten Tätigkeitsbereich mit dem Willen, zur Aufrechterhaltung oder zur Unterstützung der verbotenen Tätigkeit des Vereins beizutragen, so verbindet das übernommene Amt sämtliche in seiner Ausübung begangenen Zuwiderhandlungen gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot zu einer einzigen Tat (Bewertungseinheit) des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG (BGHSt 46, 6).
Danach sind die hier abgeurteilten Tätigkeiten, die der Angeklagte als Verantwortlicher für den Raum Dresden in der Zeit vom 10. Januar 2007 bis zum 13. März 2009 ausübte, materiellrechtlich als eine Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu würdigen.
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt das Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Mai 2008 nicht dazu, dass der Angeklagte zwei Taten nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG begangen hat. Zwar bewirkt die Verurteilung wegen eines Dauerdelikts eine Zäsur mit der Folge, dass das Aufrechterhalten des Dauerzustands nach dem Urteil als selbstständige Tat zu werten ist (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 56; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rdn. 87). Dieser Grundsatz ist sinngemäß auf Straftaten nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG übertragbar, wenn mehrere Tätigkeiten des Angeklagten im Wege der Bewertungseinheit zu einer Tat im materiellrechtlichen Sinne zusammengefasst werden. Jedoch entfaltet eine Verurteilung, die in den zeitlichen Rahmen der Zuwiderhandlungen gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot fällt, welche zu einer Bewertungseinheit zusammengefasst werden, nur dann eine Zäsurwirkung, wenn in dem Urteil bis zu diesem Zeitpunkt ausgeübte Tätigkeiten des Angeklagten sanktioniert werden, die Teile der Bewertungseinheit sind. Eine Verurteilung wegen sonstiger Delikte nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG vermag demgegenüber eine Zäsur nicht zu bewirken.
Daraus folgt, dass die Annahme von zwei materiellrechtlich selbstständigen Taten hier ausscheidet; denn die durch das Landgericht Gera am 29. Mai 2008 abgeurteilten, zu Beginn des Jahres 2006 in Erfurt und Umgebung begangenen Taten sind nicht Teil der Tätigkeit des Angeklagten als Verantwortlicher für den Raum Dresden in der Zeit vom 10. Januar 2007 bis zum 19. März 2009.
2. Der Senat kann den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO umstellen, da auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen zweier materiellrechtlich selbstständiger Vergehen nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG tragen. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen; denn der geständige Angeklagte hätte sich gegen den Vorwurf, nur eine sachlichrechtliche Tat begangen zu haben, nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
3. Der Senat hat mit Blick auf die gebotene Beschleunigung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Strafe auf sechs Monate Freiheitsstrafe festgesetzt. Dies entspricht derjenigen Strafe, die das Landgericht für die von ihm angenommene zweite Tat, mithin für die Tätigkeiten des Angeklagten in seiner Funktion als Raumverantwortlicher in der Zeit vom 30. Mai 2008 bis zum 13. März 2009, für angemessen erachtet hat. Es ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht für die strafbaren Handlungen des Angeklagten in dem gesamten Tatzeitraum vom 10. Januar 2007 bis zum 13. März 2009 eine geringere Strafe festsetzen würde.
Die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nach § 55 StGB mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Mai 2008 kommt nicht in Betracht. Die hier abgeurteilte Tat erstreckte sich bis zum 13. März 2009; sie war folglich nicht vor der früheren Verurteilung beendet. Die in dem Urteil des Landgerichts Gera verhängten Einzelstrafen und die daraus gebildete Gesamtstrafe bleiben somit neben der Strafe im hiesigen Verfahren bestehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 20
Externe Fundstellen: NStZ 2010, 455
Bearbeiter: Ulf Buermeyer