HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1023
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 350/09, Beschluss v. 24.09.2009, HRRS 2010 Nr. 1023
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Anordnung im Urteil des Landgerichts Kiel vom 19. Februar 2009, dass der Angeklagte für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen aus der Staatskasse zu entschädigen ist, wird verworfen; der Ausspruch wird jedoch wie folgt neu gefasst:
Der Angeklagte ist für die vorläufige Festnahme am 29. August 2008 und für die vom 30. August 2008 bis zum 19. Februar 2009 erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten hieraus erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung ist der Angeklagte am 29. August 2008 vorläufig festgenommen worden und hat sich vom 30. August 2008 bis zum 19. Februar 2009 in Untersuchungshaft befunden. Im Hauptverfahren hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, weil es ein Handeln in Nothilfe nicht hat ausschließen können. Es hat weiter entschieden, dass der Angeklagte "für die erlittene Untersuchungshaft" zu entschädigen ist. Gegen den Freispruch hat die Staatsanwaltschaft Revision, gegen den Ausspruch über die Entschädigungspflicht hat sie sofortige Beschwerde erhoben. Sie ist der Auffassung, der Angeklagte habe die Strafverfolgungsmaßnahmen grob fahrlässig verursacht. Durch Urteil vom heutigen Tage hat der Senat die Revision der Staatsanwaltschaft verworfen. Damit ist über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu befinden. Das Rechtsmittel führt lediglich zur Neufassung des Ausspruchs.
1. Der Senat ist nach § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig, da er mit der zugleich eingelegten Revision sachlich befasst war und nach derer Verwerfung keine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist (vgl. BGHSt 29, 168, 169, 173).
2. Das zulässige Rechtsmittel greift nicht durch. Der freigesprochene Angeklagte ist nach § 2 Abs. 1 StrEG für die gegen ihn ergriffenen Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen. Die Entschädigung ist nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte die Maßnahmen nicht grob fahrlässig verursacht hat.
a) § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG enthält einen Ausnahmetatbestand. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschuldigte Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben hat, ist deshalb ein strenger Maßstab anzulegen (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 255, 256). Der Entschädigungsanspruch entfällt, wenn der Beschuldigte sie durch die Tat oder durch sein Prozessverhalten herausgefordert hat; er muss in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen (BGH StraFo 2008, 352; Meyer-Goßner, 52. Aufl. § 5 StrEG Rdn. 9, 11). Zum Ausschluss der Entschädigung für eine freiheitsentziehende Maßnahme genügt es nicht, dass der Beschuldigte sich irgendwie verdächtig gemacht hat, vielmehr muss er durch eigenes Verhalten einen wesentlichen Ursachenbeitrag zur Begründung des - nach §§ 112 Abs. 1, 127 Abs. 2 StPO erforderlichen - dringenden Tatverdachts geleistet haben (BVerfG NJW 1996, 1049, 1050).
b) Das Verhalten des Angeklagten erfüllt diese Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG nicht.
Einen wesentlichen Ursachenbeitrag für die Annahme des dringenden Tatverdachts bildeten zwar die von Anfang an außer Zweifel stehenden Messerstiche des Angeklagten gegen die Zeugen K. und B. Ungewiss blieb wegen insoweit unklarer Beweislage lediglich, ob die Messerstiche als Nothilfe gerechtfertigt waren, weil der Angeklagte weitere Fußtritte der Geschädigten gegen den Zeugen R. D. abwenden wollte. Vor diesem Hintergrund kann den Angeklagten aber der Vorwurf, er habe in ungewöhnlichem Maß die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten außer Acht gelassen, nicht bereits deshalb treffen, weil er sich trotz absehbarer Konfrontation mit der gegnerischen Gruppierung auf eine Begleitung des Zeugen zum Amtsgericht eingelassen und sich damit in eine für die Strafverfolgungsbehörden nicht von vornherein erkennbare Nothilfesituation gebracht hat. Wollte man in solchem erlaubten Tun bereits einen wesentlichen Ursachenbeitrag für die Annahme des dringenden Tatverdachts sehen, hieße dies, dem Angeklagten die Beweislast für den Rechtfertigungsgrund aufzubürden.
Auch dass der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Angeklagte aus Sorge vor einer eventuellen Identifizierung für eine einheitliche Bekleidung seiner Begleiter gesorgt und sich nach dem Vorfall provokativ verhalten hat, vermag den Ausschluss der Entschädigung nicht zu rechtfertigen. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 14. August 2009 Bezug.
3. Der Senat fasst den Ausspruch über die Entschädigung neu. Aus den Urteilsgründen erschließt sich, dass das Landgericht die Entschädigung nicht nur für die erlittene Untersuchungshaft (§ 2 Abs. 1 StrEG), sondern zutreffend auch für die vorläufige Festnahme (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 StrEG) gewähren wollte. Dies ist in der Formel klarzustellen (vgl. § 8 Abs. 2 StrEG); im Übrigen ist bei freiheitsentziehenden Maßnahmen auch deren Zeitraum zu bezeichnen (Meyer-Goßner aaO § 8 StrEG Rdn. 11).
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1023
Bearbeiter: Ulf Buermeyer