HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 785
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 27/09, Beschluss v. 17.02.2009, HRRS 2010 Nr. 785
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 30. September 2008 im Maßregelausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat außerdem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat zum Maßregelausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Angeklagte leidet etwa seit dem Jahr 2002 an einer wahnhaften Störung in Form eines Querulantenwahns. Seit Anfang 2005 wurde er wegen dieser Erkrankung vielfach, zuletzt aufgrund vormundschaftsgerichtlicher Anordnung in psychiatrischen Krankenhäusern behandelt. Nach den zu den Anlasstaten getroffenen Feststellungen warf der Angeklagte am 4. Oktober 2007 mit einem Telefon nach dem Rechtspfleger der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts W., nachdem sich dieser geweigert hatte, ihm bei der Wohnungssuche behilflich zu sein. Das Telefon traf das Tatopfer am Kinn (Fall II 1). Nach seiner vormundschaftsgerichtlich angeordneten Einweisung in eine psychiatrische Klinik versetzte er am 4. April 2008 während der Oberarztvisite zwei Ärzten und einem Krankenpfleger mit einer Metallstange mehrere, zum Teil erhebliche Schläge, nachdem diese ihm erklärt hatten, eine Entlassung aus der Klinik komme im Hinblick auf die richterliche Anordnung nicht in Betracht (Fall II 2). Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner psychischen Erkrankung bei beiden Taten erheblich vermindert war.
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar begegnet die Annahme verminderter Schuldfähigkeit rechtlich keinen Bedenken. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die für die Anordnung nach § 63 StGB weitere Voraussetzung eines fortdauernden Zustandes beim Angeklagten gegeben ist.
Gleichwohl hat der Maßregelausspruch keinen Bestand, weil die Strafkammer die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, zwar bejaht, seine Begründung erschöpft sich jedoch in dem Hinweis, "es sei von einer erheblichen Wiederholungsgefahr bezüglich Gewaltdelikten auszugehen".
Den erhöhten Anforderungen, die an die Begründung der Gefährlichkeitsprognose zu stellen sind, ist damit nicht im Ansatz genügt.
Es ist bereits zu besorgen, dass das Landgericht seiner Beurteilung einen falschen Maßstab zugrunde gelegt und verkannt hat, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur angeordnet werden darf, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die Möglichkeit häufiger schwerer Störungen des Rechtsfriedens bestehen (BGH NStZ-RR 2006, 265).
Diese vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Gewalttaten ist auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Die bisherigen Feststellungen zu dem strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten belegen die Gefährlichkeitsprognose nicht. Der Angeklagte wurde zwar einmal im Jahr 1986 - mithin vor Ausbruch seiner psychischen Erkrankung - wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Ferner führte die Staatsanwaltschaft gegen ihn in den Jahren ab 2005 verschiedene Ermittlungsverfahren, u. a. wegen räuberischen Diebstahls und wegen Körperverletzungsdelikten, die wegen Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellt wurden. Die diesen Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte teilt das Urteil indes nicht mit. Ob diesen Taten Symptomcharakter für die Gefährlichkeit des Angeklagten zukommt, ist daher nicht zu erkennen.
Zwar können auch allein die Anlasstaten die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit begründen. Dies hätte hier jedoch besonderer Prüfung und Erörterung bedurft, da es sich bei der Tat zum Nachteil des Rechtspflegers um einen eher geringfügigen Vorfall handelte, und die Tat zum Nachteil des Klinikpersonals im Rahmen der stationären Unterbringung des Angeklagten begangen wurde. Eine solche Tat ist jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden Situation hat, für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB nur eingeschränkt verwertbar (vgl. BGH StV 2005, 21). Auch hiermit hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt.
3. Die der Maßregelanordnung zugrunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da sie für sich genommen Rechtsfehler nicht aufweisen. Soweit zum strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten ergänzende Feststellungen zu treffen sind, wird der neue Tatrichter dies nachzuholen und auf der erweiterten Tatsachengrundlage unter Hinzuziehung eines Sachverständigen die Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neu zu beurteilen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 785
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 169; NStZ-RR 2009, 306
Bearbeiter: Ulf Buermeyer