hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 133

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 45/08, Beschluss v. 05.08.2008, HRRS 2009 Nr. 133


BGH 3 StR 45/08 - Beschluss vom 5. August 2008 (LG Lüneburg)

Verbotene Vernehmungsmethoden (ausnahmsweise Verwertung); effektive Verteidigung; Aufklärungspflicht.

§ 136a StPO; § 244 Abs. 2 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. Aussagen, die unter Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden gewonnen worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt (§ 136a Abs. 3 Satz 2 StPO).

2. Der Senat lässt offen, ob Fälle denkbar sind, in denen aus übergeordneten verfassungs- oder menschenrechtlichen Prinzipien die Verwertung solcher Erkenntnisse dennoch in Betracht kommen könnte. Derartiges mag allenfalls dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn der Angeklagte zum einen etwa durch entsprechenden Beweisantrag auf den ihm durch § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO gewährten individuellen Schutz verzichtet, und zum anderen aufzeigt, dass ihm eine effektive Verteidigung ohne die Verwertung des an sich gesperrten Beweisstoffes verwehrt ist und daher die auch im Allgemeininteresse garantierten Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens hinter seinen ebenfalls vom Rechtsstaatsprinzip umfassten Anspruch auf wirksame Verteidigung zurücktreten müssen.

3. Aufgrund der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) allein ist das Gericht nicht gehalten, eine ihm durch § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO einfachrechtlich verbotene Sachaufklärung zu betreiben.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 16. Oktober 2007 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Ergänzend zu der Begründung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

1. Die Rüge des Angeklagten Dr. H., die Strafkammer hätte über den Inhalt der Äußerungen der Mitangeklagten B. anlässlich deren versuchter polizeilicher Vernehmung vom 21. März 2007 durch Anhörung der Polizeibeamten Beweis erheben und das Ergebnis dieser Beweisaufnahme sodann ungeachtet der Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden jedenfalls insoweit in die Beweiswürdigung einfließen lassen müssen, als es der Entlastung des Angeklagten gedient hätte, hat keinen Erfolg.

Aussagen, die unter Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden gewonnen worden sind, dürfen nicht verwertet werden. Dies gilt auch dann, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt (§ 136a Abs. 3 Satz 2 StPO). Der Senat kann offen lassen, ob Fälle denkbar sind, in denen entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes aus übergeordneten verfassungs- oder menschenrechtlichen Prinzipien die Verwertung derartiger Erkenntnisse dennoch in Betracht kommen könnte; denn jedenfalls kann das Gericht nicht allein aufgrund der ihm einfachrechtlich auferlegten Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gehalten sein, eine ihm durch § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO einfachrechtlich verbotene Sachaufklärung zu betreiben. Derartiges mag vielmehr allenfalls dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn der Angeklagte zum einen - etwa durch entsprechenden Beweisantrag - unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er auf den ihm durch § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO gewährten individuellen Schutz verzichtet, und zum anderen aufzeigt, dass ihm eine effektive Verteidigung ohne die Verwertung des an sich gesperrten Beweisstoffes verwehrt ist und daher die durch § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO auch objektiv im Allgemeininteresse garantierten Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens im Wege einer Güterabwägung hinter seinen ebenfalls vom Rechtsstaatsprinzip umfassten Anspruch auf wirksame Verteidigung gegen den Tatvorwurf zurücktreten müssen. Daran fehlt es hier. Vielmehr hat die Verteidigung im Verlauf des Verfahrens mehrfach auf den Verstoß gegen § 136a StPO hingewiesen und im Rahmen des Plädoyers lediglich darauf aufmerksam gemacht, das Landgericht werde "zu prüfen haben, ob das widerspruchsunabhängige Verwertungsverbot des § 136a StPO ... einer Berücksichtigung des Inhalts dieser Aussagen ausschließlich zugunsten dieses Angeklagten ... nicht entgegensteht." Der Senat kann daher offen lassen, ob eine "verfassungskonforme Auslegung" des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO im oben umrissenen Sinne im Hinblick auf dessen eindeutigen gegenteiligen Wortlaut überhaupt möglich wäre. Ebenso bedarf keiner Erörterung, ob - wie der Angeklagte meint - im Falle einer durch sein Verlangen bewirkten Verwertbarkeit der an sich gesperrten Erkenntnisse diese ausschließlich zu seinen Gunsten berücksichtigt werden dürften; dies läge nach Ansicht des Senats indessen fern.

2. Zur Entscheidung über die vom Angeklagten K. bei Einlegung der Revision und von der Angeklagten B. im Rahmen der Revisionsbegründung erhobenen Beschwerden gegen den Bewährungsbeschluss ist der Senat nicht zuständig, da das Landgericht in beiden Fällen keine Abhilfeentscheidung getroffen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 305a Rdn. 5 m. w. N.).

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 133

Externe Fundstellen: NStZ 2008, 706; StV 2009, 113

Bearbeiter: Ulf Buermeyer