HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 294
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 459/07, Beschluss v. 04.12.2007, HRRS 2008 Nr. 294
Auf die Revisionen der Angeklagten B. und K. wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 23. April 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, auch soweit es den Mitangeklagten L. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten B. und den Mitangeklagten L. jeweils des erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit schwerem Raub, der versuchten schweren räuberischen Erpressung und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen; gegen den Angeklagten B. hat es eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten (so im Urteilstenor; in den Urteilsgründen dagegen: sieben Jahre und sechs Monate) und gegen den Mitangeklagten L. eine solche von fünf Jahren verhängt. Den Angeklagten K. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten B. und K. die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben Erfolg; sie führen zur Aufhebung des Urteils auch gegen den nicht revidierenden Mitangeklagten L. (§ 357 StPO).
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts bot der Zeuge M. dem in Zahlungsschwierigkeiten befindlichen Mitangeklagten L. an, ihm per Internet Geld auf ein ausländisches Bankkonto zu überweisen; das Geld könne über verschiedene Firmen laufen und sodann "gereinigt" abgehoben werden. L. informierte den Angeklagten B., der an dem Geschäft partizipieren sollte, und erhielt über diesen die Daten eines spanischen Kontos des Nebenklägers Bu. Nachdem L. die Daten an M. weitergegeben hatte, spiegelte dieser wahrheitswidrig vor, über vier Millionen Euro auf das Konto überwiesen zu haben. L. informierte B. hierüber. Auf entsprechende Nachfrage konnte der Nebenkläger den Angeklagten B. zunächst davon überzeugen, dass auf dem Konto kein Geldeingang zu verzeichnen war. Da M. jedoch weiterhin versicherte, die Überweisung veranlasst zu haben, blieben B. und L. gegenüber dem Nebenkläger misstrauisch und suchten ihn auf, um - gegebenenfalls unter Einsatz von Gewalt und Waffen - zu versuchen, an das Geld zu kommen. Sollten sie das Geld im Hause des Nebenklägers finden, so wollten sie es an sich nehmen. Ansonsten wollten sie den Nebenkläger bedrohen und unter Druck setzen, damit er ihnen - sollte das Geld auf sein Konto überwiesen worden sein - offenbarte, wo es sich befand, und ihnen den Zugriff hierauf ermöglichte. Sie überwältigten den Nebenkläger in dessen Haus und bedrohten ihn mit einer funktionsfähigen und geladenen Pistole sowie einem Messer. L. ging besonders aggressiv zu Werke und schlug den Nebenkläger mehrfach. B. und L. fanden das gesuchte Geld zwar nicht, entwendeten jedoch mehrere Mietkautionsbücher, einen Laptop sowie die Fahrzeugschlüssel des Firmenwagens. Sie verbrachten den Nebenkläger zunächst auf einen Hundetrainingsplatz und danach in den Kellerraum einer Werkstatthalle, wo sie ihn fesselten und mit dem Tode bedrohten, ohne indes einen festen Plan für ihr weiteres Vorgehen zu haben. Sodann fuhren sie mit ihm in die Wohnung des Angeklagten K. Auf der Fahrt erklärten sie dem Nebenkläger, dass auf seinem spanischen Konto Geld eingehen werde, das abgeholt werden solle. Deshalb werde man gemeinsam nach Ma. fahren. In der Wohnung des K. unterhielt B. sich erneut mit dem Nebenkläger und gewann den Eindruck, dass dieser tatsächlich nicht über das Geld verfügte oder etwas über seinen Verbleib wusste. Hiervon berichtete er L., woraufhin sie den Nebenkläger zurück zu seinem Wohnhaus brachten. B. wies ihn an, er solle einige Sachen einpacken. In ein paar Tagen würden sie ihn wieder abholen, um mit ihm wegen der Geldangelegenheit nach Ma. zu fahren. Der Nebenkläger wagte es in der Folgezeit nicht, die Polizei zu informieren. Drei Tage später rief B. ihn an und forderte ihn auf, sich bereit zu halten, da er demnächst abgeholt werde. Weitere acht Tage später flog B. nach Absprache mit L. allein nach Ma., um dort ein eigenes Konto zu eröffnen und mit diesem den Zeugen M. zu testen. Zu der gemeinsamen Ma. reise von B. und L. mit dem Nebenkläger kam es nicht.
II. Revision des Angeklagten B.
Der Schuldspruch gegen den Angeklagten B. hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zum einen belegen die Feststellungen des Urteils nicht, dass er sich wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat (1.). Zum anderen begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht hinsichtlich der versuchten schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 StGB die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 StGB) nicht erörtert hat (2.).
1. Den lückenhaften Feststellungen lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, dass der Angeklagte den subjektiven Tatbestand einer der hier in Betracht kommenden Varianten des erpresserischen Menschenraubes erfüllt hätte.
§ 239a Abs. 1 1. Alt. StGB erfordert im sog. Zweipersonenverhältnis in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz des Täters bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale zunächst, dass er beim Entführen oder Sichbemächtigen des Opfers die Absicht hat, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 239a Rdn. 5). Dies setzt voraus, dass die Bemächtigungssituation sich nach der Vorstellung des Täters in gewissem Umfang stabilisieren und neben den Nötigungsmitteln des § 253 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangen wird (vgl. BGHSt 40, 350, 359; BGH NStZ 2007, 32). Darüber hinaus muss aus der Sicht des Täters zwischen der Entführungs- oder Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung ein solcher funktionaler und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden, dass dem Opfer während der Dauer der Zwangslage die erstrebte Vermögensverfügung abgenötigt werden soll; denn der Zweck des § 239a StGB besteht gerade darin, das Entführen oder Sichbemächtigen des Opfers deshalb besonders unter Strafe zu stellen, weil der Täter seine Drohung während der Dauer der Zwangslage jederzeit realisieren kann. Der Tatbestand ist deshalb nicht erfüllt, wenn die dem Opfer abgepresste Handlung erst nach der Freilassung erfolgen soll (vgl. BGH StV 1997, 302, 303; StV 2007, 354; Beschl. vom 20. September 2007 - 4 StR 334/07). Dies gilt auch dann, wenn der Täter eine aus anderen Motiven begründete Entführungs- oder Bemächtigungslage zu einer Erpressung ausnutzen will (§ 239 a Abs. 1 2. Alt. StGB; vgl. Fischer aaO § 239 a Rdn. 10).
Hier bedeutet dies:
a) Soweit die Angeklagten B. und L. ursprünglich planten, das Geld an sich zu bringen, sollte es sich im Hause des Nebenklägers befinden, lässt sich den Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen, dass nach ihren Vorstellungen zur Durchsetzung ihres Vorhabens eine stabile Bemächtigungssituation geschaffen werden musste, die neben den eingesetzten Nötigungsmitteln im Sinne der §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB eigenständige Bedeutung für den Erpressungserfolg erlangen werde.
Soweit die beiden Angeklagten für den Fall, dass sich das Geld nicht im Hause des Nebenklägers befand, beabsichtigten, diesen zu bedrohen und unter Druck zu setzen, damit er ihnen - sofern das Geld auf sein Konto gelangt war - offenbarte, wo es sich befand und ihnen den Zugriff hierauf ermöglichte, wird nicht erkennbar, dass der Nebenkläger nach ihrem alternativen Tatplan die vermögensschädigende Verfügung noch während der Bemächtigungslage vornehmen sollte.
Derartige Vorstellungen der Angeklagten B. und L. bei Begründung der Bemächtigungslage in Bezug auf die näheren Umstände der Erlangung des Geldes lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Es ergibt sich auch nicht aus deren Zusammenhang, dass die beiden Angeklagten planten, die Bemächtigungslage so lange aufrecht zu erhalten, bis dem Nebenkläger das Geld tatsächlich abgepresst war. Vielmehr sprechen die weiteren Feststellungen des Landgerichts eher dagegen, dass B. und L. beabsichtigten, den Nebenkläger bis zu diesem Zeitpunkt in ihrer Gewalt zu behalten. Denn zumindest im Laufe des weiteren Tatgeschehens verlagerten sich ihre Planungen dahin, dass sie mit dem Nebenkläger zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem sie ihn wieder nach Hause gebracht und aus ihrer Gewalt entlassen hatten, nach Spanien reisen wollten, um dort an das Geld zu kommen. Diese Absicht, auf die das Landgericht im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung abgestellt hat, vermag - sei sie bereits ursprünglich vorhanden gewesen, sei sie erst nach Begründung der Bemächtigungslage entstanden - die Verurteilung aus den dargelegten Gründen in keiner der Tatalternativen des § 239 a Abs. 1 StGB zu tragen.
Den Urteilsfeststellungen lässt sich entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch nicht entnehmen, dass B. und L. durch das vom Nebenkläger während der Bemächtigungslage mit einer spanischen Firma geführten Telefonat eine Handlung veranlassen wollten, die nach ihrer Vorstellung eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs darstellte (vgl. BGH NStZ 2006, 36 f. zu § 239 b StGB). Welche erhebliche Bedeutung diesem Gespräch nach der Vorstellung der beiden Angeklagten zukommen sollte, erschließt sich aus den - wie auch der Generalbundesanwalt insoweit zu Recht ausführt - in diesem Zusammenhang knappen Urteilsgründen nicht.
b) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kommt zwar in Betracht, dass sich der Angeklagte B. deswegen des erpresserischen Menschenraubs im Sinne der 2. Alternative des § 239 a Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, weil er zusammen mit L. während der Dauer der Bemächtigung durch die Wegnahme der Sparbücher sowie der weiteren Gegenstände aus dem Haus des Nebenklägers einen besonders schweren Raub gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB beging; denn da der Tatbestand der Erpressung den des Raubes mit umfasst (stdg. Rspr., vgl. BGH NStZ 2002, 31, 32; NStZ-RR 2004, 333, 334; NStZ 2006, 448, 449), vermag dies grundsätzlich die Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes zu begründen. Jedoch hat das Landgericht diese Tatbestandsalternative nicht in den Blick genommen und keine Feststellungen dazu getroffen, ob gerade die von den Tätern geschaffene Bemächtigungslage den Raub ermöglichte und ob B. und L. diese Verknüpfung auch subjektiv herstellten (vgl. Fischer aaO § 239 a Rdn. 10). Nach dem mitgeteilten objektiven Sachverhalt liegt dies indessen nahe.
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten B. wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 StGB verurteilt hat, hat es rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob insoweit ein strafbefreiender Rücktritt in Betracht kommt. Es hat lediglich festgestellt, dass B. und L. ihr Vorhaben nicht weiter ausführten, und es insbesondere zu der geplanten Ma. reise mit dem Nebenkläger nicht mehr kam. Damit ist die Möglichkeit eines Rücktritts nicht ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts belegen die Feststellungen nicht, dass ein solcher bereits deshalb ausscheidet, weil der Versuch der schweren räuberischen Erpressung fehlgeschlagen war. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass er eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzt (vgl. BGHSt 41, 368, 369). Die Angeklagten gingen indes, auch nachdem sie den Zeugen Bu. zurück zu seinem Haus gebracht hatten, noch davon aus, dass sie diesen aufgrund der eingesetzten Nötigungsmittel dazu veranlassen konnten, ihnen den Zugriff auf das Geld zu ermöglichen. Trotz des gewissen zeitlichen Abstands zu der geplanten Fortsetzung des Tatgeschehens liegt deshalb bei wertender Betrachtung ein insgesamt einheitlicher Lebensvorgang und damit ein unbeendeter Versuch vor (vgl. BGHSt 40, 75, 77), von dem die Angeklagten durch freiwillige Aufgabe der weiteren Ausführung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB zurücktreten konnten. Das Landgericht war somit gehalten, weitere Feststellungen zu dem Geschehen und insbesondere zu den Gründen zu treffen, aus denen es schließlich zu der geplanten gemeinsamen Reise nach Spanien nicht mehr kam.
II. Revision des Angeklagten K.
Da aus den dargelegten Gründen ein erpresserischer Menschenraub als Haupttat nicht ausreichend festgestellt ist, entfällt auch die Strafbarkeit des Angeklagten K. wegen Beihilfe gemäß § 239 a Abs. 1, § 27 StGB. Der Senat weist im Hinblick auf das Vorbringen der Revision im Übrigen darauf hin, dass dann, wenn der neue Tatrichter eine entsprechende Haupttat feststellt, der Angeklagte K. jedenfalls dadurch, dass er auf den Zeugen Bu. aufpasste, als dieser sich in seiner Wohnung befand, einen möglicherweise ausreichenden objektiven Tatbeitrag leistete. Der neue Tatrichter wird jedoch auch in den Blick zu nehmen haben, dass der für eine strafbare Beihilfe notwendige Vorsatz nur bejaht werden kann, wenn der Gehilfe die wesentlichen Merkmale der Haupttat kennt, obgleich er von deren Einzelheiten keine bestimmte Vorstellung zu haben braucht (vgl. Fischer aaO § 27 Rdn. 22).
III. Erstreckung der Revision auf den Mitangeklagten L.
Die auf die Sachrüge veranlasste Aufhebung des gegen die Angeklagten B. und K. ergangenen Urteils erstreckt sich gemäß § 357 StPO auch auf die Verurteilung des Mitangeklagten L., der keine Revision eingelegt hat; denn die Gründe, die zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten B. führen, treffen in gleicher Weise auf den Mitangeklagten L. zu.
IV. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass eine Verurteilung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraussetzt, dass die Körperverletzung mittels, d. h. durch die zweckgerichtete Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen wird. Der neue Tatrichter wird im Hinblick auf die Abweichung von Urteilstenor und -gründen betreffend die Höhe der gegen den Angeklagten B. verhängten Strafe zudem zu beachten haben, dass die verkündete Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten maßgebend ist und das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO es verbietet, den Angeklagten nach Zurückverweisung der Sache zu einer höheren Strafe zu verurteilen (vgl. BGHSt 34, 11, 13; Kuckein in KK 5. Aufl. § 358 Rdn. 19).
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 294
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 16
Bearbeiter: Ulf Buermeyer