HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 287
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 248/07, Urteil v. 18.10.2007, HRRS 2008 Nr. 287
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 14. Februar 2007 wird das Verfahren im Fall 5. der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
2. Das vorgenannte Urteil wird
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung, der Körperverletzung in drei Fällen und der Vergewaltigung schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Körperverletzung in drei Fällen und Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es ihn frei gesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt in den Fällen II. 1. bis 3. sowie 6. und 7. der Urteilsgründe ohne Erfolg. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Im Fall 5. führt das Rechtsmittel zur Einstellung des Verfahrens.
1. Die Verurteilung im Fall 5. hat keinen Bestand, weil es hinsichtlich der abgeurteilten Tat an einer wirksamen Anklage fehlt. Nach der zugelassenen Anklage soll der Angeklagte (auch) diese Tat, einen Geschlechtsverkehr, bei dem er das Tatopfer vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert haben soll, in dem Zeitraum zwischen August 2001 und September 2003 begangen haben; nach den Urteilsgründen hat er die Tat dagegen möglicherweise schon im Februar 1998 begangen. Die Tatschilderung in der Anklage und im Urteil beschränkt sich auf die Darstellung der den Tatbestand erfüllenden Umstände. Weitere Besonderheiten, die das Geschehen derart prägten, dass schon daraus die Identität von angeklagter und abgeurteilter Tat belegt würde, werden nicht mitgeteilt. Unter diesen Umständen muss angesichts der unterschiedlichen Angaben zum Tatzeitpunkt davon ausgegangen werden, dass es sich um verschiedene Taten handelt. Dementsprechend war das Verfahren einzustellen.
Dies steht der Erhebung einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderungen entsprechenden Anklage nicht entgegen (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 13 m. w. N.).
2. Die Einstellung im Fall 5. führt zur Änderung des Schuldspruchs, zum Wegfall der verhängten Einzelstrafe, zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe mit den insoweit getroffenen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zur Festsetzung einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht ohne die Verurteilung im Fall 5. die anderen Einzelstrafen geringer bemessen hätte.
Für das weitere Verfahren sieht der Senat Anlass, auf die Bedeutung hinzuweisen, die dem Zeitpunkt der Tatbegehung unter dem Gesichtspunkt der Verjährung zukommen kann.
1. Hätte der Angeklagte, wovon das Landgericht im angefochtenen Urteil ausgeht, das Tatopfer bereits bei einem Geschlechtsverkehr im Februar 1998 mit dem HI-Virus infiziert, so stünde der Verfolgung dieser Tat als vollendete gefährliche Körperverletzung das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen.
a) Die maßgebliche Verjährungsfrist betrüge in diesem Fall fünf Jahre.
Vor dem 1. April 1998 verjährten Taten der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB i. V. m. § 223a StGB aF nach fünf Jahren. Als Folge der Ersetzung von § 223a durch § 224 und der damit verbundenen Anhebung der gesetzlichen Höchststrafe für gefährliche Körperverletzung von fünf Jahren auf zehn Jahre hat sich zwar die Verjährungsfrist von fünf Jahren auf zehn Jahre verlängert; dies hat hier aber außer Betracht zu bleiben: Wenn die Änderung der Verjährungsfrist nur Ergebnis einer Änderung der materiellrechtlichen Strafdrohung ist, ergibt sich auch die maßgebliche Verjährungsfrist aus § 2 StGB. Das danach anwendbare Strafgesetz (hier: § 223a StGB aF) bestimmt auch die maßgebende Verjährungsfrist (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. vor § 78 Rdn. 11 m. w. N.).
b) Die danach geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren ist bei dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt im Februar 1998 in Gang gesetzt worden und war daher vor der ersten Unterbrechungshandlung, der Anordnung der Beschuldigtenvernehmung am 28. Juni 2004, bereits abgelaufen.
Die Tat war, sollte der Angeklagte das Tatopfer - wie es das Landgericht für möglich hält - bereits im Februar 1998 infiziert haben, schon mit dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs, bei dem das Virus übertragen wurde, im Sinne des § 78a Satz 1 StGB beendet. Weiterer Handlungen des Angeklagten, durch die der tatbestandsmäßige Erfolg vertieft oder - wie dies etwa beim Diebstahl der Fall sein mag - gesichert werden konnte, bedarf es nicht. Mit der Infizierung der Nebenklägerin, d. h. mit der Übertragung des Virus, ist auch der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten. Daran ändert nichts, dass der Verlauf der Aids-Erkrankung große individuelle Unterschiede aufweist und die beschwerdefreie Zeit des Opfers bis zum offenen Ausbruch des klinisch manifesten Immundefekts nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft bis zu zehn Jahre andauern kann. Denn bereits durch die Ansteckung mit dem HI-Virus hat der Angeklagte die Gesundheit des Tatopfers beschädigt.
Als Gesundheitsbeschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen, gleichgültig, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt; mit einer Schmerzempfindung braucht sie nicht verbunden zu sein. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass auch die Ansteckung eines anderen mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit - auch und insbesondere mit einer Geschlechtskrankheit - eine Verschlechterung der Gesundheit darstellt. In Anbetracht dessen, dass ein HIV-Infizierter mit dem Eintritt des Virus in den Organismus seinerseits infektiös wird und dies für die gesamte Dauer seines weiteren Lebens bleibt, muss dies in gleicher Weise und erst recht für die Ansteckung mit der - bislang nicht heilbaren und bei Ausbruch regelmäßig tödlich verlaufenden - Immunschwächekrankheit Aids gelten. Dabei tritt - wie auch bei anderen gefährlichen Infektionen - die Schädigung der Gesundheit und damit die Körperverletzung bereits mit der bloßen Infizierung als solcher ein, da diese - objektiv - den körperlichen Normalzustand des Opfers tiefgreifend verändert (BGHSt 36, 1, 6 f. m. zahlr. w. N.).
Verändert aber bereits die Ansteckung - objektiv - den körperlichen Zustand des Opfers tiefgreifend, ist, auch solange die Krankheit noch nicht offen ausgebrochen ist, für zu diesem Krankheitsbild gehörende Verschlechterungen des Gesundheitszustandes keine andere rechtliche Bewertung in dem Sinne möglich, dass erst der jeweils mit einer gravierenden Veränderung verbundene Krankheitszustand eine vollständige Verwirklichung des tatbestandsmäßigen Erfolges nach § 223a StGB bewirkt (vgl. zu dieser Frage Schmitz, Unrecht und Zeit, 2001 S. 227 f.; LG Frankfurt NStZ 1990, 592, 593; Mitsch in MünchKomm § 78 Rdn. 2 bis 4; § 78 a Rdn. 9).
2. Dem angefochtenen Urteil ist zu den bisherigen körperlichen Auswirkungen der Ansteckung auf die Nebenklägerin Näheres nicht zu entnehmen. Sollte ein neuer Tatrichter feststellen, dass bei ihr inzwischen der Immundefekt offen ausgebrochen ist und bereits schwere Folgen im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB (Verfallen in Siechtum, Lähmung oder Behinderung) eingetreten sind, so käme eine Bestrafung des Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung nach § 226 StGB in Betracht. Dies gilt ohne weiteres, soweit die Voraussetzungen der Qualifikation nach § 226 Abs. 2 StGB festzustellen wären. Denn für die wissentliche Verursachung dieser Körperverletzungsfolgen galt bereits im Februar 1998 eine zehnjährige Verjährungsfrist. § 225 Abs. 2 StGB i. d. F. vom 28. Oktober 1994 drohte eine Freiheitsstrafe von zwei bis zehn Jahren an.
Dies gilt aber auch, wenn sich die Tat nur als schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGB darstellen würde. Zwar war die schwere Körperverletzung (Verfallen in Siechtum, Geisteskrankheit oder Lähmung als Folge der Körperverletzung) im Februar 1998 nur mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis fünf Jahren bedroht (§ 224 Abs. 1 StGB i. d. F. vom 28. Oktober 1994). Gleichwohl wäre die Tat auch mit nur fahrlässig herbeigeführtem Erfolg noch nicht verjährt, da nach § 78a Satz 2 StGB die Verjährung, wenn ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später eintritt, mit diesem späteren Zeitpunkt beginnt. So läge es hier. Die schwere Körperverletzung ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt. Solche Taten sind erst mit dem Eintritt der schweren Folge beendet (Jähnke in LK 11. Aufl. § 78a Rdn. 13; Rudolphi/Wolter in SK-StGB § 78 a Rdn. 4; Fischer, StGB 55. Aufl. § 78a Rdn. 7).
3. Sollte im Falle einer erneuten Verhandlung festgestellt werden, dass der Angeklagte nach dem 1. April 1998 (Inkrafttreten des § 224 StGB i. d. F. des 6. StrRG) bis zum Februar 2002 (Vergewaltigung, Fall II. 2. der Urteilsgründe) in weiteren Fällen ungeschützten Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin hatte, könnte er dadurch jeweils den Tatbestand der versuchten gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt haben. Auch diese Taten wären nicht verjährt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB).
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 287
Externe Fundstellen: NStZ 2009, 34; StV 2008, 350
Bearbeiter: Ulf Buermeyer