HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 933
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 180/07, Beschluss v. 21.06.2007, HRRS 2007 Nr. 933
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 8. November 2006
a) bezüglich des Angeklagten O. im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Totschlags und wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt ist, sowie im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben;
b) bezüglich des Angeklagten M. aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellung zur fehlenden Vorhersehbarkeit des Todes des Opfers - aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten O. wegen Mordes und wegen gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen den Angeklagten M. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Die Revisionen der Angeklagten haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnten die beiden Angeklagten sowie der später getötete N. im selben Anwesen. Am Tattag gerieten die Männer in alkoholisiertem Zustand untereinander in Streit. Deshalb schlug zuerst der Angeklagte O. dem Angeklagten M. mit einer Pistole mehrfach heftig auf den Kopf, so dass dieser eine Schädelprellung und eine Orbitabodenfraktur erlitt. Im Anschluss daran unterhielten sich die beiden Angeklagten über N. Der Angeklagte M. erzählte wahrheitswidrig, es sei N. gewesen, der Stunden zuvor die Polizei in das Haus gerufen hatte. Der Angeklagte O. erzählte, dass N. entgegen seinen Beteuerungen noch nichts unternommen habe, um seine Schulden beim Angeklagten M. zu begleichen. Auf diese Weise gerieten beide Angeklagten über N. in Wut. Zuerst schlug einer von ihnen - welcher Angeklagte es war, hat die Kammer nicht klären können - auf N. ein, der dadurch eine Kopfplatzwunde erlitt. Nach einiger Zeit schlugen beide Angeklagte in wechselseitigem Einverständnis mit den Handlungen des jeweils anderen auf N. ein. Als dieser deswegen zu Boden stürzte, trat der Angeklagte O. mit seinen Springerstiefeln auf ihn ein und versetzte ihm zehn wuchtige Tritte gegen Kopf und Rippen. Auch der Angeklagte M. trat N. mindestens einmal gegen den Brustkorb. Dieser verstarb an den dadurch hervorgerufenen Verletzungen. Bei den Tritten gegen Kopf und Körper des Opfers erkannte der Angeklagte O., dass dieses dadurch zu Tode kommen konnte, und nahm eine solche Entwicklung auch billigend in Kauf. Beim Angeklagten M. hat das Landgericht hingegen nicht feststellen können, dass der Tod des N. für ihn vorhersehbar war, obwohl er um die "Gefährlichkeit" der Tritte wusste.
1. Die Verurteilung des Angeklagten O. wegen (grausam sowie aus niedrigen Beweggründen begangenen) Mordes hält rechtlicher Überprüfung nicht Stand.
a) Grausam tötet, wer seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. Die besonderen Leiden müssen sich aus der Tatausführung ergeben. Das Landgericht hat indes bei der Beurteilung der Tat als grausam auch Umstände berücksichtigt, die noch nicht bzw. nicht mehr im Zusammenhang mit Tötungshandlungen standen. Die von einem der Angeklagten verursachte Kopfplatzwunde war noch nicht vom Tötungsvorsatz umfasst. Die nach den Fußtritten am Opfer vorgenommenen Handlungen der Angeklagten waren zwar äußerst widerwärtig, führten aber nicht zu weiteren Verletzungen. Dass der Angeklagte O. dabei weiterhin den Tod des N. billigend in Kauf genommen hätte, ist nicht festgestellt und liegt auch nicht nahe. Die eigentlichen Tötungshandlungen dauerten nur bis zum Eingreifen eines Tatzeugen und waren deshalb nahe liegend nur von kürzerer Dauer. Entgegen der Würdigung des Landgerichts hat sich das zur Beurteilung der Grausamkeit relevante Tatgeschehen deshalb nicht über einen längeren Zeitraum hingezogen.
b) Aus niedrigen Beweggründen tötet, wessen Motive zur Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen. Das Landgericht hat darauf abgestellt, der Angeklagte habe die Tat aus Verärgerung über die Einschaltung der Polizei durch das Opfer begangen, dies stelle einen "absolut nichtigen und nicht nachvollziehbaren Anlass" für die Tat dar, mit der er "seine besondere Geringschätzung des Lebensrechts des N. zum Ausdruck gebracht" habe.
Eine über die Benennung des Motivs hinausgehende Konkretisierung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Umschreibung des Mordmerkmals nimmt das Landgericht nicht vor. Es fehlt die erforderliche Gesamtwürdigung, die alle für die Handlungsantriebe des Angeklagten maßgeblichen Faktoren, die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Angeklagten und seine Persönlichkeit einschließt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 211 Rdn. 9 ff. m. w. N.). Zudem fehlt es an Feststellungen zu den subjektiven Erfordernissen des Mordmerkmals. Hierzu gehört, dass der Täter die Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, ins Bewusstsein aufgenommen hat und dass er, soweit bei der Tat gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen eine Rolle spielen, in der Lage war, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 6 und 12 jeweils m. w. N.).
Das Landgericht lässt somit unerörtert, dass der Angeklagte und das Tatopfer bislang ohne Konflikte im selben Haus gewohnt hatten, dass der Angeklagte aufgrund einer wahrheitswidrigen Beschuldigung aufgebracht war und sich spontan zu einer Gewalttat hat hinreisen lassen, deren Ziel nicht die Tötung des Opfers war, und dass der Angeklagte dabei infolge vorangegangenen Alkoholkonsums und einer Persönlichkeitsstörung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.
c) Der Senat schließt aus, dass der neue Tatrichter unter den gegebenen Umständen Mordmerkmale rechtsfehlerfrei wird feststellen können, und ändert deshalb den Schuldspruch. Dies führt zur Aufhebung der lebenslangen (Einzel-)Freiheitsstrafe, der Gesamtstrafe und des Maßregelausspruchs. Die Einzelstrafe von vier Jahren für die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Angeklagten M. hat ebenfalls keinen Bestand. Zum einen ist nicht auszuschließen, dass sich die Strafe für die Tötung auf sie ausgewirkt hat, zum anderen könnten der Versagung einer Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB Bedenken entgegenstehen (vgl. dazu nachstehend 3.). Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung ist hingegen rechtsfehlerfrei und kann bestehen bleiben.
2. Die Verurteilung des Angeklagten M. hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht Stand.
a) Der Rechtsfolgenausspruch muss aufgehoben werden, weil das Landgericht bei der konkreten Strafzumessung eine wegen der verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in Betracht kommende Verschiebung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht erörtert hat. Eine Fallbesonderheit, bei der ausnahmsweise hierauf hätte verzichtet werden können, liegt nicht vor. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Angeklagte vor der Tat Alkohol zu sich genommen hatte (zur Versagung der Strafmilderung in Fällen verschuldeter Trunkenheit vgl. BGHSt 49, 239; Senat BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31, 33), denn die Schuldfähigkeit des Angeklagten war nicht allein wegen des zuvor genossenen Alkohols, sondern wegen eines Zusammenwirkens mit einer Persönlichkeitsstörung und der möglicherweise kurz vor der Tat durch den Angeklagten O. verursachten Gehirnerschütterung erheblich eingeschränkt.
b) Dies führt hier auch zur Aufhebung des Schuldspruchs. Dieser ist rechtsfehlerhaft, weil die Strafkammer eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) abgelehnt hat, obwohl der Angeklagte nach ihrer Überzeugung die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung verübte (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und deshalb die Umstände erkannte, aus denen sich die allgemeine Lebensgefährlichkeit der konkreten Verletzungshandlungen ergab. Zwar ist der Angeklagte durch diesen Fehler nicht beschwert. Der Senat hebt indes den Schuldspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine zutreffende Beurteilung des festgestellten Sachverhalts und eine insgesamt neue Grundlage für die Straffestsetzung zu ermöglichen. Die Feststellungen zur Person, zum objektiven Tatgeschehen und zum Vorsatz sind von dem Fehler nicht erfasst und können deshalb bestehen bleiben. Aufgehoben ist allein die Feststellung zur fehlenden Vorhersehbarkeit des Todes des N.
3. Sollte der neue Tatrichter erneut zu der Feststellung gelangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten O. bei Tatbegehung erheblich vermindert war, wird er der Bedeutung des Alkoholkonsums des Angeklagten für das Tatgeschehen sowie für eine von dem Angeklagten etwa auszugehende Gefahr für die Allgemeinheit erneut besondere Aufmerksamkeit schenken müssen. Die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung ist bislang nicht rechtsfehlerfrei begründet.
Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf einer Trunkenheit des Angeklagten, so ist Voraussetzung für die Versagung der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in jedem Fall, dass dem Angeklagten der Alkoholkonsum uneingeschränkt vorwerfbar ist (BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31, 33; so auch BGHSt 49, 239 - Trunkenheit vom Angeklagten zu verantworten). Hieran bestehen nach den bisherigen Feststellungen Zweifel. Das Landgericht hat sachverständig beraten dargelegt, dass der Angeklagte weder alkoholkrank sei noch vom Alkohol weitgehend beherrscht werde (UA S. 67). Dies steht in einem Widerspruch zu den Ausführungen im Zusammenhang mit der Maßregelanordnung: Danach hat der Angeklagte den "psychischen Hang", in alltäglichen Stresssituationen Alkohol als Katalysator zu benutzen, der schon in geringer Dosierung zusammen mit der dissozialen Persönlichkeitsstörung die Gefahr gewalttätiger Ausbrüche gegenüber Dritten in sich birgt (UA S. 71).
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 933
Externe Fundstellen: NStZ 2008, 29
Bearbeiter: Ulf Buermeyer