HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 601
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 89/06, Urteil v. 22.06.2006, HRRS 2006 Nr. 601
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 15. November 2005 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung freigesprochen, weil es nicht auszuschließen vermochte, dass dessen Steuerungsfähigkeit bei der Tat aufgehoben war. Von der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat es abgesehen, weil es eine dafür erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten verneint hat. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.
1. Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung stand.
a) Das Landgericht hat sich in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen davon überzeugt, dass der Angeklagte an einer angeborenen dauerhaften geistigen Behinderung in Form einer ausgeprägten intellektuellen Minderbegabung mit Verhaltensauffälligkeiten leidet. Es hat deshalb das Eingangskriterium des Schwachsinns im Sinne von § 20 StGB als erfüllt angesehen. Es ist dem Sachverständigen weiterhin darin gefolgt, dass die durch die Störung mit Sicherheit erheblich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten jedenfalls dann nicht ausschließbar vollständig aufgehoben war, wenn dieser sich bei der Tat in einem starken Erregungszustand befunden hatte. Hiergegen ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
b) Dass das Landgericht das Vorliegen eines solchen Erregungszustandes nicht auszuschließen vermochte, wäre nur zu beanstanden, wenn zu besorgen wäre, es könnte insoweit eine bloß gedankliche, abstrakttheoretische Möglichkeit unterstellt haben, die realer Anknüpfungspunkte entbehrt. Zweifeln, die sich auf die Unterstellung einer solchen Möglichkeit gründen, darf der Tatrichter nicht Raum geben; andernfalls überspannt er die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (BGH NStZ-RR 1998, 275 m. w. N.). So liegt es hier aber nicht.
Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte einem Mitbewohner der psychiatrischen Einrichtung mit einer geringfügig gefüllten Plastikflasche drei- bis viermal auf den Kopf geschlagen und dabei geäußert: "Hol mir einen runter, Du Schwein!" Auf den Zuruf des Zeugen B. - einem in der Klinik mit Baumaßnahmen beschäftigten Handwerker - hatte er von dem Mitpatienten sofort abgelassen. Über den unmittelbaren Moment der Gewalteinwirkung hinaus konnte das Landgericht den Sachverhalt nicht aufklären.
Der Angeklagte, der über 20 Jahre in der psychiatrischen Einrichtung - davon ungefähr 13 Jahre auf einer offenen Station - gelebt hat, ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. Inzwischen lebt er seit über einem Jahr in einer Wohngruppe außerhalb des Zentrums mit beanstandungsfreiem Verhalten. Die für ihn erkennbar untypische Aggressionshandlung beging der Angeklagte in Anwesenheit mehrerer Mitpatienten. Angesichts dieser Besonderheiten hat das Landgericht die Anforderungen an seine Überzeugungsbildung nicht überspannt.
2. Die Maßregelentscheidung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit künftiger schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht (BGH NStZ 1986, 572; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16, 25). Eine solche Gefährlichkeit hat das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen im Zeitpunkt der Hauptverhandlung rechtsfehlerfrei verneint.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 601
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 265
Bearbeiter: Ulf Buermeyer