HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 382
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 63/06, Urteil v. 06.04.2006, HRRS 2006 Nr. 382
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 22. November 2005 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des Landgerichts Oldenburg zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in fünf Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg.
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Revisionsbegründung hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 4 StPO durch Zurückweisung eines Beweisantrags auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hinsichtlich der Zeugin Z. ist unbegründet. Das Landgericht hat sich zu Recht eigene Sachkunde zugetraut. Daran war es auch durch den Umstand nicht gehindert, dass die Zeugin - nach ihren eigenen Angaben - während des Ermittlungsverfahrens zeitweise an Bulimie gelitten hatte.
2. Der Strafausspruch unterliegt hingegen der Aufhebung. Die Auffassung des Landgerichts, dass "ein Absehen von der Annahme eines besonders schweren Falles" nach § 177 Abs. 2 StGB "hinsichtlich keiner der Taten ernsthaft in Betracht" gekommen sei, hält rechtlicher Prüfung nicht Stand. Angesichts der Vielzahl der vom Landgericht zu Recht herangezogenen gewichtigen strafmildernden Umstände (der Angeklagte ist nicht vorbestraft; die Taten liegen lange Zeit - in einem Fall sieben Jahre - zurück; Tatopfer waren zwei Intimpartnerinnen des Angeklagten, die sich durch die Taten nicht zur Beendigung der Beziehung veranlasst sahen, sondern auch nach ihrer Begehung einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihm ausübten; die vom Angeklagten angewandte Gewalt lag nach ihrer Intensität im unteren Bereich der tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen) wirft diese Wertung die Frage auf, in welchen Fällen der Verwirklichung eines Regelbeispiels überhaupt die Anwendung des Normalstrafrahmens in Betracht kommt. Sie lässt zudem besorgen, dass das Landgericht der insoweit ersichtlich auch bei der Strafrahmenwahl zu Lasten des Angeklagten angestellten Erwägung, er habe "den Schutzraum der gemeinsamen Wohnung zur Tatbegehung und bewusst das bestehende Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Opfer zu seinem sexuellen Übergriff ausgenutzt" - unbeschadet der vom Landgericht vorgenommenen Einschränkung, dies werde bei Beziehungstaten regelmäßig der Fall sein - zu großes Gewicht beigemessen hat. Im Übrigen hat das Landgericht die berücksichtigte (bewusste) Ausnutzung der Wohnungen und der vorhandenen Vertrauensverhältnisse zur Tatbegehung durch den Angeklagten nicht festgestellt.
Bedenken gegen den Strafausspruch ergeben sich auch im Hinblick darauf, dass das Landgericht eingangs seiner Beweiswürdigung mitteilt, der Angeklagte sei "zu Beginn der Hauptverhandlung ersichtlich bemüht" gewesen, "ein positives Bild von sich zu vermitteln" - was insbesondere an seinen widersprüchlichen Angaben zu seinem Alkoholkonsum zu erkennen gewesen sei - und bereits hier sei der Eindruck entstanden, dass dem Angeklagten "nicht ernsthaft an der Aufklärung des Sachverhalts gelegen" gewesen sei. Dies vermittelt den Eindruck, die Strafkammer könnte das beschriebene Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu seinen Ungunsten gewertet haben. Dies wäre rechtsfehlerhaft. Denn der Angeklagte durfte sich in der mitgeteilten Art und Weise verteidigen und war rechtlich auch nicht verpflichtet, an der im Rahmen der Hauptverhandlung stattfindenden Feststellung des ihm zur Last liegenden Sachverhalts mitzuwirken. Zwar hat das Landgericht dieses - ersichtlich nicht eine Rechtsfeindschaft ausdrückende oder die Grenzen zulässiger Verteidigung überschreitende - Verhalten bei seiner Strafzumessung nicht ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt. Indes kann der Senat angesichts der Vielzahl strafmildernder Umstände und der demgegenüber hohen Strafen nicht völlig ausschließen, dass diese Umstände für die Strafkammer gleichwohl auch im Rahmen der Strafzumessung von Bedeutung waren und sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.
Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hat von § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 382
Bearbeiter: Ulf Buermeyer