HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 194
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 451/06, Urteil v. 21.12.2006, HRRS 2007 Nr. 194
Auf die Revision der Nebenklägerin B. wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 12. Juli 2006 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe der Geiselnahme in Tateinheit mit schwerer Vergewaltigung schuldig ist.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin (Fall II. 2. der Urteilsgründe) und wegen sexueller Nötigung unter Einbeziehung einer weiteren Freiheitsstrafe zu einer Gesamtstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision der Nebenklägerin erstrebt mit der Sachrüge in dem sie betreffenden Fall eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen Geiselnahme. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den getroffenen Feststellungen hielt der Angeklagte der Nebenklägerin einen Kugelschreiber an den Hals, täuschte so ein Messer vor und nötigte sie hierdurch zu einem mehrminütigen Fußweg, der sie aus dem bebauten Bereich einer Kleinstadt an einer Polizeistation vorbei in freies Gelände zu einer abgelegenen Koppel führte. Entsprechend seiner vorgefassten Absicht verübte der Angeklagte dort die Vergewaltigung, die das Landgericht zutreffend gemäß § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB abgeurteilt hat.
Das Vorliegen einer tateinheitlich begangenen Geiselnahme hat das Landgericht mit der Erwägung verneint, zwar habe der Angeklagte sich der Nebenklägerin bemächtigt und zudem eine Ortsveränderung verursacht, es habe jedoch an einer stabilen Bemächtigungslage gefehlt, der eigenständige Bedeutung zukomme. Die Strafkammer ist der Meinung, dem Angeklagten sei es nicht darum gegangen, sich die Lage seines Opfers für die Vergewaltigung zu Nutze zu machen.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat die Nebenklägerin entführt, denn er hat sie - unter Einsatz eines Nötigungsmittels - an einen Ort verbracht, an dem sie seinem ungehemmten Einfluss ausgesetzt war (vgl. BGHSt 40, 350, 359; BGHR StGB § 239b Entführen 3). Dementsprechend braucht nicht entschieden zu werden, ob der Angeklagte sich des Tatopfers, läge keine Entführung vor, auch im tatbestandsmäßigen Sinne bemächtigt und die dafür erforderliche stabile Bemächtigungslage geschaffen hat.
Da die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen für eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 Alt. 1 StGB ausreichen, hat der Senat den Schuldspruch entsprechend geändert. Dem steht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen. Es ist ausgeschlossen, dass sich der geständige Angeklagte gegen die Änderung der rechtlichen Bewertung seiner Tat effektiver hätte verteidigen können, zumal die den Tatbestand der Geiselnahme ausfüllenden tatsächlichen Feststellungen - mit Ausnahme der Verwendung des Kugelschreibers - bereits Gegenstand des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der unverändert zugelassenen Anklage waren.
Bei der Fassung des Schuldspruchs war zudem das Vorliegen der Qualifikation nach § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB durch die Bezeichnung der Tat als "schwere Vergewaltigung" zum Ausdruck zu bringen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 177 Rdn. 78 m. w. N.).
Der Rechtsfolgenausspruch kann in vollem Umfang bestehen bleiben. Die für die Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren ist im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO angemessen. Diese Vorschrift findet auch Anwendung, wenn das von der Staatsanwaltschaft - oder wie hier der Nebenklage - zu Ungunsten des Angeklagten angefochtene Urteil einen diesen begünstigenden Rechtsfehler aufweist (vgl. BGH NJW 2006, 1822, 1824, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 51, 18). Nach den gesamten Umständen, insbesondere wegen des Geständnisses des Angeklagten, seiner verminderten Schuldfähigkeit, der Kürze der Entführung und der objektiven Ungefährlichkeit des als Drohmittel verwendeten Kugelschreibers, stellt sich die Tat trotz des erheblichen Gewichts der erzwungenen Handlung und der vorhandenen Vorstrafen bezogen auf das Delikt der Geiselnahme - anders als für die Vergewaltigung, deren Bewertung als minder schwerer Fall (§ 177 Abs. 5 StGB) unter den gegebenen Umständen offensichtlich ausgeschlossen ist - als ein minder schwerer Fall (§ 239b Abs. 2 i. V. m. § 239a Abs. 2 StGB) dar. Innerhalb des dafür anzuwendenden Strafrahmens von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe ist es gerechtfertigt, auf das auch von der Strafkammer gefundene Maß von drei Jahren Freiheitsstrafe zu erkennen, zumal die Verurteilung zu der Maßregel nach § 63 StGB im Vordergrund steht.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 194
Bearbeiter: Ulf Buermeyer