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HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 192

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 428/06, Beschluss v. 05.12.2006, HRRS 2007 Nr. 192


BGH 3 StR 428/06 - Beschluss vom 5. Dezember 2006 (LG Lübeck)

Akkusationsprinzip; Anklageprinzip; Anklageschrift (Konkretisierung der vorgeworfenen Tat; Eingrenzung des Verfahrensgegenstandes); Eröffnungsbeschluss.

§ 200 StPO; § 203 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird

a) das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 9. Juni 2006 aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 4 und 5 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last;

b) das vorbezeichnete Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen schuldig ist;

bb) im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision macht der Angeklagte für einen Teil der abgeurteilten Taten das Fehlen einer Prozessvoraussetzung geltend; darüber hinaus rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs, bleibt im Übrigen jedoch ohne Erfolg.

1. In den Fällen II. 4 und 5 der Urteilsgründe fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklage und eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. In der - unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen - Anklage vom 6. Juni 2005 legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten insoweit zur Last, zwischen 1991 und dem 12. September 2004 der - am 7. Februar 1989 geborenen und in diesem Zeitraum daher zwischen einem Jahr und zehn Monaten und 15 Jahren und sieben Monaten alten - Nebenklägerin in einer von zwei in Betracht kommenden Wohnungen einmal den Finger in die Scheide gesteckt sowie einmal ihre Hände an sein Geschlechtsteil geführt zu haben, damit sie ihn dort streichele. Eine weitere Konkretisierung der Taten findet nicht statt; rechtlich vorgeworfen werden sie dem Angeklagten - trotz der im genannten Tatzeitraum in Betracht kommenden Schutzaltersgrenzen (vgl. §§ 174, 176, 182 StGB; siehe dazu BGH NStZ 2005, 282, 283) - lediglich als Missbrauch einer Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Trotz des großzügigeren Maßstabs, der in Verfahren wegen einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen auf Kinder und/oder Jugendliche anzulegen ist, werden Anklage und Eröffnungsbeschluss damit insoweit nicht mehr den Anforderungen gerecht, die - auch zur Ermöglichung einer wirksamen Verteidigung - an die Konkretisierung der vorgeworfenen Taten und damit an die Eingrenzung des Verfahrensgegenstandes in Anklage und Eröffnungsbeschluss zu stellen sind. Dass eine weitere Konkretisierung möglich gewesen wäre, zeigen die in der Hauptverhandlung ergänzend getroffenen Feststellungen.

Gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO ist das Verfahren demgemäß in den genannten beiden Fällen einzustellen; dies führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe.

2. Im Übrigen hat das angefochtene Urteil Bestand.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist der Tatvorwurf in Ziffer 1. der Anklageschrift vom 27. Oktober 2005 (Fall II. 10 der Urteilsgründe) hinreichend konkretisiert. Die Tatzeit ist erheblich eingegrenzt und der Tatort genau bestimmt, insbesondere wird die Tat jedoch deutlich von denkbaren anderen vergleichbaren Missbrauchsfällen durch das besondere Detail abgehoben, dass der Angeklagte der Nebenklägerin nach Vollzug des Geschlechtsverkehrs ein bestimmtes Handy schenkte, welches sich die Nebenklägerin gewünscht hatte.

Die sonstigen formellen und die sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revision sind, soweit sie sich nicht ohnehin durch die Aufhebung der Gesamtstrafe erledigt haben, im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. Oktober 2006 zutreffend dargelegt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 192

Bearbeiter: Ulf Buermeyer