HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 931
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 326/06, Beschluss v. 26.10.2006, HRRS 2006 Nr. 931
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 22. November 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die gegen den Angeklagten erkannte Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Oberlandesgericht hatte den Angeklagten wegen Brandstiftung und versuchter Brandstiftung in jeweils zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat auf eine Verfahrensrüge aufgehoben (BGH NStZ 2005, 46). Nunmehr hat das Oberlandesgericht den Angeklagten der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit versuchter Brandstiftung in zwei Fällen schuldig gesprochen und erneut auf eine Jugendstrafe von zwei Jahren erkannt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat einen Teilerfolg.
1. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch richtet, ist sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2. Auch die Bemessung der Jugendstrafe hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend macht die Revision allerdings geltend, dass die Erledigung des Verfahrens nach der Aufhebung des ersten Urteils in dieser Sache teilweise in einer Form verzögert worden ist, die mit den grundrechtlichen Gewährleistungen des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie den konventionsrechtlichen Garantien des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK nicht in Einklang steht:
Die erste Hauptverhandlung gegen den Angeklagten war nach acht Wochen abgeschlossen. Nachdem das dort verkündete Urteil aufgehoben werden musste und sich daher der Verfahrensabschluss weiter verzögerte, hätte die zweite Hauptverhandlung - unbeschadet der zwischenzeitlichen Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft - mit besonderer Beschleunigung betrieben werden müssen. Dies ist nicht geschehen. Vielmehr hat das Oberlandesgericht, ohne dass sich am Verfahrensgegenstand und der Beweislage etwas geändert hatte, die zweite Hauptverhandlung über 33 Wochen geführt. In diesem Zeitraum hat es jedoch nur 17 Hauptverhandlungstermine anberaumt, zwischen denen die Hauptverhandlung dreimal für sechs Tage, zweimal für sieben Tage, einmal für 13 Tage, fünfmal für 14 Tage, einmal für 19 Tage, zweimal für 20 Tage, einmal für 21 Tage und einmal für 27 Tage unterbrochen wurde. Hinzu kommt, dass ab dem achten Terminstag nur noch am Vormittag und dabei teilweise nur kurze Zeit verhandelt wurde. Ein nachvollziehbarer Grund für eine derart zögerliche Terminierungspraxis ist nicht erkennbar. Darüber hinaus wurde das Verfahren auch dadurch in nicht gerechtfertigter Weise weiter verzögert, dass die Ausfertigung des am 22. November 2005 verkündeten Urteils den Verteidigern erst am 19. Mai 2006 zugestellt worden ist. Das Urteil umfasst 48 Seiten und besteht in weiten Teilen aus der wörtlichen Wiedergabe verschiedener Urkunden. Die Abfassung eines solchen Urteils nebst der Herstellung der erforderlichen Ausfertigungen und deren Zustellung durfte vor dem Hintergrund der bisherigen Verfahrensdauer nicht nahezu sechs Monate in Anspruch nehmen.
Der Senat stellt aufgrund der dargelegten Umstände fest, dass die Erledigung des Verfahrens gegen den Angeklagten zwischen dem Beginn der zweiten Hauptverhandlung am 5. April 2005 und der Zustellung der Urteilsausfertigung an die Verteidiger am 18. Mai 2006 um insgesamt sechs Monate in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden ist. Eine über diese Feststellung (vgl. hierzu EGMR EuGRZ 1983, 371) hinausgehende Kompensation des Konventionsverstoßes zugunsten des Angeklagten in der Form eines bezifferten Abschlags auf die gegen ihn - für sich rechtsfehlerfrei - erkannte Jugendstrafe kommt dagegen nicht in Betracht. Das Oberlandesgericht hat die Verhängung von Jugendstrafe auch wegen schädlicher Neigungen des Angeklagten für erforderlich gehalten, die Strafe von zwei Jahren allein nach erzieherischen Erfordernissen bemessen und in diesem Rahmen auch den langen Zeitraum zwischen der Tatbegehung und dem Urteilszeitpunkt berücksichtigt. In einem derartigen Fall ist es nicht möglich, im Wege der Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung einen bezifferten Abschlag von der erzieherisch gebotenen Strafe vorzunehmen (BGH NStZ 2003, 364).
3. Dagegen hält die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die Vollstreckung der Jugendstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Oberlandesgericht verneint eine positive Sozialprognose im Sinne des § 21 Abs. 1 Satz 1 JGG allein unter Hinweis auf die in den Taten des Angeklagten zutage getretenen Persönlichkeitsmängel, nimmt aber nicht - wie gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 JGG geboten - auch die Entwicklung des Angeklagten nach seinen Straftaten in Betracht. So setzt es sich insbesondere nicht damit auseinander, welche Wirkungen der nahezu einjährige Vollzug der Untersuchungshaft für die weitere Lebensführung des Angeklagten entfaltet hat. Hierbei hätte in die gebotene Gesamtwürdigung einbezogen werden müssen, dass der Angeklagte sich seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft ersichtlich straffrei geführt und erneut ein Studium aufgenommen hat sowie ein Verlöbnis eingegangen ist. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht, hätte es alle maßgeblichen Gesichtspunkte in seine Erwägungen einbezogen, zu der Erwartung gelangt wäre, der Angeklagte lasse sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen und er werde allein aufgrund der erzieherischen Einwirkung der Bewährungszeit einen rechtschaffenen Lebenswandel führen.
Die Urteilsgründe belegen auch nicht, dass die Vollstreckung der durch Anrechnung der Untersuchungshaft noch nicht erledigten Jugendstrafe im Sinne des § 21 Abs. 2 JGG geboten ist. Sie beschränken sich auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts. Es ist somit nicht erkennbar, dass das Oberlandesgericht die gebotene Prüfung der maßgeblichen Einzelfallumstände vorgenommen hat. Über die Bewährungsfrage muss daher nochmals befunden werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 931
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2007, 61; StV 2008, 113
Bearbeiter: Ulf Buermeyer