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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 840

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 212/06, Beschluss v. 08.08.2006, HRRS 2006 Nr. 840


BGH 3 StR 212/06 - Beschluss vom 8. August 2006 (LG Mönchengladbach)

Verwertungsverbot (kindlicher Zeuge; Zeugnisverweigerungsrecht; Belehrung des Ergänzungspflegers); Protokollverlesung zur Gedächtnisunterstützung; Öffentlichkeit des Verfahrens (Wiederherstellung); Sitzungsprotokoll (Entwurf; endgültige Fassung mit drei Änderungen).

§ 169 GVG; § 274 StPO; § 52 StPO; § 261 StPO; § 253 Abs. 1 StPO

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 23. August 2005 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

Näherer Erörterung bedürfen nur drei Rügen, bei denen die Revision jeweils Einzelheiten der Hauptverhandlung vorträgt und sich zum Beweis auf einen Entwurf der Sitzungsniederschrift bezieht. Damit hat es folgende Bewandnis:

Nach Zustellung des Urteils hat der Verteidiger Akteneinsicht genommen und zur Begründung der Revision Ablichtungen aus dem in der Akte befindlichen Hauptverhandlungsprotokoll gefertigt. Dieses war indes - von allen Beteiligten erkennbar unbemerkt - zu diesem Zeitpunkt vom Vorsitzenden noch nicht unterschrieben und deshalb noch nicht fertig gestellt. Das Versehen ist erst der Staatsanwaltschaft bei der Vorbereitung der Revisionsgegenerklärung aufgefallen. Daraufhin hat der Vorsitzende in Übereinstimmung mit dem Urkundsbeamten mehrere Änderungen und Ergänzungen des Protokollentwurfs vorgenommen. Der Text ist neu ausgedruckt worden, Vorsitzender und Protokollführer haben das Protokoll unterzeichnet. Die ursprüngliche Fassung (der Protokollentwurf) ist nicht bei den Sachakten verblieben. Die nunmehr fertig gestellte Niederschrift beweist (§ 274 StPO), dass die gerügten Verfahrensverstöße nicht geschehen sind.

Auf den Umstand, dass ihm bei der Begründung der Revision nur ein Protokollentwurf vorgelegen hat, ist der Verteidiger, obwohl dies zumindest zweckmäßig (wenn nicht geboten) gewesen wäre, bei der erneuten Zustellung des Urteils nicht hingewiesen worden. Eine Unterrichtung des Verteidigers erfolgte auch nicht, nachdem dieser auf die Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft erwidert und sich erneut auf das ihm vorliegende "unzweideutige" Protokoll berufen hat.

Der Senat kann gleichwohl in der Sache entscheiden, da die Verfahrensrügen auch unter Berücksichtigung des Protokollentwurfs, der erkennbar Grundlage für die Revisionsbegründung war, keinen Rechtsfehler aufzeigen. Hierzu im Einzelnen:

1. Die Rüge einer "Verletzung des § 261 StPO" (S. 23 der Revisionsbegründung) ist zulässig. Ihr kann - auch wenn eine geordnete, auf die erheblichen Verfahrenstatsachen konzentrierte Darstellung zu vermissen ist - im Ergebnis noch mit ausreichender Deutlichkeit entnommen werden, dass sie sich gegen die Verwertung einer den Angeklagten belastenden Aussage wendet, die die damals siebenjährige Zeugin H. bei einer polizeilichen Anhörung im Ermittlungsverfahren gemacht hatte; diese Aussage war der Zeugin in der Hauptverhandlung, in der sie ihre früheren Angaben als falsch und auf einer Beeinflussung durch die Schwester beruhend bezeichnet hat, vorgehalten worden; zudem war die Niederschrift verlesen worden. Bei der polizeilichen Anhörung war, obwohl sich das Strafverfahren gegen den Vater der Zeugin richtete, kein Ergänzungspfleger (§ 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB) bestellt und deshalb weder die nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO notwendige Zustimmung zur Vernehmung eingeholt noch zuvor die nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO vorgeschriebene Belehrung erteilt worden.

Ein Verwertungsverbot besteht nicht. Der Zeugin durften Vorhalte gemacht, die Niederschrift durfte zur Gedächtnisunterstützung verlesen werden (§ 253 Abs. 1 StPO), weil die Zeugin in der Hauptverhandlung nach ordnungsgemäßer Belehrung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verzichtet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 52 Rdn. 32). Ausweislich des (nach Eingang der Revisionsbegründung fertig gestellten) Protokolls hat die Zeugin ausgesagt, nachdem sowohl sie als auch die Ergänzungspflegerin belehrt worden sind und sich die Zeugin auf diese Belehrung zur Aussage entschlossen hatte. Nach dem der Verfahrensrüge zugrunde liegenden Protokollentwurf ist zwar nur die Zeugin selbst belehrt worden; soweit es darin heißt, die Zeugin sei über ihr "Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht" belehrt worden, ist - was auch die Revision nicht in Zweifel zieht - trotz fehlerhafter Bezeichnung eine Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO beurkundet. Nach dem Entwurf fehlt es hingegen an der Belehrung der Ergänzungspflegerin; zur Ergänzungspflegerin war indes eine Rechtsanwältin bestellt worden mit dem Aufgabenkreis "Vertretung des Kindes H. im Verfahren vor der Jugendschutzkammer". Die Ergänzungspflegerin hat das Kind in die Hauptverhandlung begleitet und war während der Zeugenaussage im Sitzungssaal anwesend. Aus all dem ergibt sich für den Senat, dass sie das Weigerungsrecht gekannt hat und der Zeugenaussage auch bei ordnungsgemäßer Belehrung zugestimmt hätte (vgl. BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 5).

2. Die Rüge, in der Hauptverhandlung am 16. März 2005 seien die Vorschriften über die Öffentlichkeit verletzt worden, ist ebenfalls unbegründet.

Die Strafkammer hatte beschlossen, "während der Vernehmung der Zeugin" bzw. "für die Dauer der Vernehmung" die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Behauptung, nach der Vernehmung sei lediglich beschlossen worden, die Öffentlichkeit wiederherzustellen, der Beschluss sei aber nicht umgesetzt und die Öffentlichkeit tatsächlich nicht wiederhergestellt worden, ist nicht bewiesen. Das Gegenteil ergibt sich nicht nur aus der Sitzungsniederschrift ("Die Öffentlichkeit wird wieder hergestellt werden."), sondern auch aus dem von der Revision mitgeteilten Protokollentwurf. Dieser enthält nicht nur den Beschluss "Die Öffentlichkeit soll wiederhergestellt werden", sondern im Anschluss daran auch den Vermerk, dass die während der Vernehmung mit der Zeugin erörterten und als Anlagen zum Protokoll genommenen Unterlagen "in öffentlicher Sitzung nochmals erörtert" werden. Damit ist vermerkt, dass nach der Zeugenvernehmung in öffentlicher Sitzung weiterverhandelt worden ist (vgl. BGH, Beschl. vom 19. April 1977 - 5 StR 191/77 - bei Holtz MDR 1977, 810).

3. Unbegründet ist auch die weitere Rüge eines Verstoßes gegen § 169 GVG.

Die Strafkammer hatte am 1. August 2005 beschlossen, die Öffentlichkeit "für die heutige Hauptverhandlung einschließlich des Ortstermins" auszuschließen. Die Revision behauptet, die Öffentlichkeit sei nach diesem Tag auch während der beiden folgenden, letzten Hauptverhandlungstage nicht wiederhergestellt worden, und stützt sich zum Beweis auf das Protokoll (i.e. den Protokollentwurf) vom 1. August 2005, in dem eine Wiederherstellung der Öffentlichkeit nicht vermerkt ist. Einer solchen Feststellung bedurfte es indes nicht, nachdem die Öffentlichkeit, wie auch aus dem Entwurf des Protokolls zu entnehmen ist, für den gesamten Verhandlungstag ausgeschlossen war. Zur Feststellung, ab wann wieder in öffentlicher Sitzung verhandelt wurde, reicht hier der Eintrag in der Niederschrift des nächsten Verhandlungstages. Zu deren Inhalt verhält sich die Revision indes nicht. Die (fertig gestellte) Sitzungsniederschrift enthält zu Beginn der beiden letzten Sitzungstage (wie im Übrigen für jeden anderen Sitzungstag auch) jeweils die Mitteilung, es sei in "Öffentlicher Sitzung" verhandelt worden. Es spricht nichts dafür, dass der von der Verteidigung der Revisionsbegründung zugrunde gelegte Protokollentwurf anderes ausgewiesen haben könnte.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 840

Bearbeiter: Ulf Buermeyer