HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 352
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 245/04, Urteil v. 10.03.2005, HRRS 2005 Nr. 352
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 17. Februar 2004 dahin geändert, daß der Angeklagte wegen Unterstützens des organisatorischen Zusammenhalts eines verbotenen Vereins in Tateinheit mit Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 17 € verurteilt ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Unterstützens des organisatorischen Zusammenhalts eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 17 € verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat lediglich den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im übrigen unbegründet.
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte ist seit Jahren Anhänger der Organisation "Kalifatsstaat". Dieser radikal islamistische Verein wurde durch Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 18. Dezember 2001 verboten und der Sofortvollzug des Verbots angeordnet. Die Klage des Vereins gegen die Verbotsverfügung wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27. November 2002 abgewiesen.
Vor dem Erlaß der Verbotsverfügung verbreitete der "Kalifatsstaat" sein Gedankengut über eine wöchentlich erscheinende verbandseigene Zeitung.
Seit Januar 2002 gab der Verein - wiederum wöchentlich erscheinend - eine Zeitung mit anderem Namen heraus, die die Ziele des Vereins mit allen Ideen weiterhin vertrat. In Kenntnis des Verbots ließ sich der Angeklagte - wie er es bereits seit 1998 getan hatte - die einzelnen Ausgaben dieser Zeitung in jeweils höherer Stückzahl zusenden, hielt sie vorrätig und verteilte sie. Ferner unternahm er Hausbesuche, um weitere Anhänger für den "Kalifatsstaat" zu gewinnen.
Am 11. Juni 2002 erschien der Angeklagte trotz eines bestehenden Hausverbots in der Praxis des Dr. Ö., nachdem er bereits zuvor eine Zeitschrift in den Briefkasten des Arztes geworfen hatte. Er legte im Wartezimmer mehrere Zeitschriften auf einen Tisch, um auf diese Weise deren Inhalt anderen Patienten zugänglich zu machen.
Eine Durchsuchung in der Wohnung des Angeklagten am 26. Juli 2002 ergab, daß dieser insgesamt 309 Exemplare - von einer Ausgabe bis zu 90 Stück - der im Laufe des Jahres 2002 durch den "Kalifatsstaat" herausgegebenen Wochenblattes sowie mehrere hundert Exemplare aus den Jahren 1998 bis 2001 vorrätig hielt.
2. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt ohne nähere Begründung rechtlich als zwei selbständige im Verhältnis der Tatmehrheit stehende Fälle der Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts eines verbotenen Vereins, in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch bewertet.
Das Landgericht hat den Angeklagten im Ergebnis zu recht wegen Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts des verbotenen Vereins gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG verurteilt.
1. Der "Kalifatsstaat" war zum Zeitpunkt der Tat verboten. Der vor dem Verbot unzweifelhaft gegebene organisatorische Zusammenhalt (zur Definition dieses Begriffs BGHSt 20, 287, 289) bestand auch danach fort. Der Revision ist zwar zuzugeben, daß das angefochtene Urteil nähere Darlegungen zum Fortbestand des organisatorischen Zusammenhalts vermissen läßt. Seine Feststellung kann aber der Gesamtheit der Urteilsgründe noch mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden. So implizieren bereits die Wendungen des Landgerichts, nach denen der Angeklagte auch nach Erlaß der Verbotsverfügung für den "Kalifatsstaat" unterstützend tätig war, ihn in Kenntnis des Verbots unterstützte oder Hausbesuche durchführte mit dem Ziel, weitere Anhänger für den verbotenen Verein zu gewinnen, daß der "Kalifatsstaat" - nach Überzeugung der Strafkammer - fortbestanden hat. Hierfür spricht auch der Umstand, daß der "Kalifatsstaat" die verbandseigene Zeitung bereits seit 1998 herausgab und dazu auch nahtlos im Anschluß an die Verbotsverfügung in der Lage war. Sowohl vor als auch nach dem Erlaß des Verbots handelte es sich um eine regelmäßig wöchentlich erscheinende Zeitschrift mit einer beträchtlichen Auflage, wie etwa der sich aus dem Urteil ergebende Umstand zeigt, daß der Angeklagte von einer Ausgabe bis zu 90 Exemplare vorhielt. Es wurde lediglich der Name der Zeitung geändert, die Zeitschrifteninhalte waren gleichartig.
In den Beiträgen werden jeweils Ziele und Gedankengut des Vereins, insbesondere die Errichtung eines weltumspannenden islamisch geprägten Staates mit Kaplan als politischem Oberhaupt und die Unvereinbarkeit der demokratischen Staatsform mit dem Islam, weiterhin unverändert vertreten. All dies und die Bewältigung des weiteren mit der Herausgabe und Verbreitung einer Wochenzeitung verbundenen Aufwands waren für das Landgericht ersichtlich Gründe dafür, vom Fortbestand des verbotenen Vereins auszugehen.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ein Bild des "Weitermachens" (vgl. dazu - u. a. auf die Identität der Ziele und die Fortführung der Publikationen abstellend - BGH NStE VereinsG § 20 Nr. 3).
2. Der Angeklagte hat den organisatorischen Zusammenhalt des verbotenen Vereins in tatbestandsmäßiger Weise unterstützt. § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG setzt lediglich voraus, daß das Handeln des Täters auf die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts abzielt und geeignet ist, eine für den organisatorischen Zusammenhalt der verbotenen Vereinigung vorteilhafte Wirkung hervorzurufen.
a) Gegenstand der Unterstützung muß der organisatorische Zusammenhalt sein; nicht ausreichend ist eine die verbotene Organisation nur allgemein unterstützende Handlung. Der Gesetzgeber hat mit der differenzierenden Ausgestaltung der Tatbestände des Vereinigungsstrafrechts zum Ausdruck gebracht, daß nicht jede Unterstützung einer Vereinigung ausreicht, auch deren organisatorischen Zusammenhalt zu fördern. Dies zeigt ein Vergleich der § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG, § 84 Abs. 2 StGB und § 85 Abs. 2 StGB, die ein Unterstützen des organisatorischen Zusammenhalts voraussetzen, mit den § 129 Abs. 1, § 129 a Abs. 5 StGB, die lediglich eine Unterstützung der Vereinigung verlangen. Ein Gleichsetzen der Unterstützung der Vereinigung mit der Unterstützung ihres organisatorischen Zusammenhalts verbietet sich also. Daher muß die Tathandlung im Fall des § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG auf den organisatorischen Zusammenhalt bezogen sein und der Täter mit ihr auf einen organisationsbezogenen Erfolg abzielen (BGH, Urt. vom 10. Dezember 1997 - 3 StR 389/97, insoweit in NStZ-RR 1998, 276 nicht abgedruckt; BGHSt 43, 312, 315).
Allerdings könnten die Wendungen in der Entscheidung BGHSt 26, 258, 260 f., daß "Hilfeleistungen, denen eine meßbare organisationswirksame Bedeutung" nicht zukommt, straflos bleiben oder in denen auf den durch eine Tathandlung erzielten "Erfolg im Sinne einer konkreten Förderung des organisatorischen Zusammenhalts" abgestellt wird, dahin verstanden werden, daß es für eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG eines Erfolgseintritts im Einzelfall bedürfe. Mit den zitierten Urteilspassagen sollte jedoch lediglich auf die Organisationsbezogenheit des Täterverhaltens abgestellt und solche Unterstützungshandlungen aus der Tatbestandsmäßigkeit ausgeschieden werden, von denen bereits für sich betrachtet keine fördernde Wirkung auf den organisatorischen Zusammenhalt der verbotenen Vereinigung ausgehen kann (vgl. auch BGH NStZ 1999, 87, 88). Indes wird dadurch nicht vorausgesetzt, daß der Täter durch seine Unterstützung im konkreten Fall tatsächlich einen Erfolg erzielt.
Dies belegen bereits Wortlaut und Konstruktion der Vorschrift, die - ebenso wie die unter dem Titel "Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats" im StGB enthaltenen Tatbestände des Vereinigungsstrafrechts - als abstraktes Gefährdungsdelikt einzustufen ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 85 Rdn. 1 und § 84 Rdn. 2; Laufhütte in LK 11. Aufl. § 85 Rdn. 1; Steinmetz in MünchKomm StGB § 85 Rdn. 2) und demnach keinen aufgrund der Tat eingetretenen Erfolg voraussetzt. Einen Taterfolg in dem Sinne zu verlangen, daß die Tathandlung zu einem meßbaren Nutzen, etwa einer Stärkung oder Festigung des organisatorischen Zusammenhaltes geführt haben muß, widerspräche auch dem Begriff der Unterstützung, der keinen durch den Täter verursachten meßbaren organisatorischen Nutzen voraussetzt (BGHSt 20, 90). Zudem ließe sich im Rahmen der Beweisaufnahme ein solcher Nutzen nicht feststellen. Denn dafür fehlt es an einem handhabbaren und verläßlichen Maßstab.
b) Ausgehend von den aufgezeigten Grundsätzen ergibt sich, daß die auf Dauer angelegte Übernahme einer Funktion innerhalb der Verteilerorganisation sowie die Ausübung der Verteilertätigkeit nicht nur die verbotene Vereinigung allgemein unterstützen, sondern darüber hinaus geeignet sind, ihren organisatorischen Zusammenhalt zu fördern und auf einen organisationsbezogenen Erfolg abzielen.
Die wöchentliche Herausgabe einer Vereinszeitung, die nach ihrem Sinn und Zweck stets auch der Aufrechterhaltung und Stärkung des organisatorischen Zusammenhalts eines Vereins dient, bliebe ohne Verteilung der Druckwerke, die sich nur mit einem dauerhaft organisierten Netz von Verteilungsstellen bewältigen läßt, wirkungslos. Es liegt auf der Hand, daß diejenigen, die sich als Teil dieser Verteilerorganisation zur Verfügung stellen, dadurch einen zur Förderung und Stärkung des organisatorischen Zusammenhalts geeigneten Beitrag leisten, zumal eine Verteilung der Vereinspublikationen für die Organisation bewirkt, daß ihre Arbeit und Ziele sowohl innerhalb der Vereinigung als auch nach außen hin dargestellt und verbreitet werden. Bei einer verbotenen Organisation kommt hinzu, daß das regelmäßige Erscheinen der Vereinszeitung allen Empfängern verdeutlicht, daß der organisatorische Zusammenhalt weiterhin vorhanden ist und - trotz des Verbotes - aufrechterhalten wird. Deshalb unterstützt derjenige, der sich der Verteilerorganisation über längere Zeit als regelmäßiger Empfänger und Verteiler von Vereinszeitungen in größerer Zahl zur Verfügung stellt, organisationsbezogen den Verein und seine Führung unmittelbar und trägt mit seiner Tätigkeit innerhalb des konspirativen Apparates dazu bei, die Organisation in ihrem Kern aufrechtzuerhalten (vgl. Paeffgen in NK-StGB § 84 Rdn. 17).
Durch das Verteilen der Zeitungen werden Inhalte, Gedankengut und Auffassungen des Vereins, die Tätigkeiten, Pläne und Zielsetzungen der Führung des Vereins und seiner Organe dargestellt, vermittelt und verbreitet, die verbotene Vereinigung in ihren Bestrebungen gefördert sowie gleichzeitig ein Beitrag dazu geleistet, neue Mitglieder oder an den Vereinszielen bislang nicht interessierte Dritte zu gewinnen. Auch die Verteilertätigkeit zielt damit - ebenso wie die Übernahme einer Funktion innerhalb des Verteilernetzes - darauf hin, die Organisation zu unterstützen und zu festigen (vgl. BGHSt 26, 260, 264).
c) Daran gemessen können die Feststellungen des Landgerichts, daß der Angeklagte Vereinszeitungen vorrätig gehalten, in den Briefkasten des Zeugen Dr. Ö. eingeworfen und in dessen Praxis ausgelegt hat, für sich betrachtet den Schuldspruch nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG zwar nicht tragen.
Indes ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Urteils, daß der Angeklagte die Rolle eines Zeitschriftenverteilers im dargestellten Sinne dauerhaft übernahm und ausübte, so daß die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe den organisatorischen Zusammenhalt des Vereins "Kalifatsstaat" unterstützt, im Ergebnis zutrifft.
1. Nach diesen Maßstäben liegt nur eine Unterstützungshandlung durch Übernahme und Ausübung der Verteilerfunktion vor; tateinheitlich tritt der rechtsfehlerfrei festgestellte Hausfriedensbruch hinzu. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
2. Der Strafausspruch kann ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs, die ohne Einfluß auf den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat bleibt, bestehen bleiben. Der Senat kann zum einen angesichts der Strafzumessungserwägungen des Landgerichts und der an sich fehlerfrei festgesetzten Einzelstrafen ausschließen, daß der Angeklagte zu einer milderen Strafe verurteilt worden wäre, wenn das Landgericht nur eine Tathandlung angenommen hätte; zum anderen ist die verhängte Rechtsfolge im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO angemessen (vgl. zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift auch bei Änderungen des Schuldspruchs Senat, Beschl. vom 2. Dezember 2004 - 3 StR 273/04, NJW 2005, 913 zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 352
Externe Fundstellen: NJW 2005, 2164; NStZ 2006, 356
Bearbeiter: Ulf Buermeyer