HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 85
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 61/02, Urteil v. 15.12.2005, HRRS 2006 Nr. 85
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. November 2001 wird
a) das Verfahren in den Fällen II. 5. (betreffend 600 Ecstasytabletten), 14. und 18. der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) der Angeklagte im Fall II. 20. freigesprochen; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last,
c) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf Fällen und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen schuldig ist, und
d) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. In den Fällen II. 5. (600 Ecstasy-Tabletten), 14. und 18. der Urteilsgründe hat der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, da die Feststellung der nicht geringen Menge nicht unproblematisch erscheint.
2. Im Fall II. 20. ist der Angeklagte vom Vorwurf vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freizusprechen. Hier hatte der Angeklagte einen Freund beauftragt, die Telefonnummer eines "A." zu erkunden, um festzustellen, ob er etwas von ihm kaufen könne. Hierbei handelt es sich zwar auch um eine auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, doch ist sie noch weit im Vorfeld des beabsichtigten, noch nicht näher konkretisierten Drogenumsatzes angesiedelt und wird daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Vorbereitungsstadium des Handeltreibens zugerechnet (vgl. BGH - Großer Senat, Beschl. vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05 - S. 19, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Der Angeklagte hat sich auch im Fall II. 19. des vollendeten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht, weil er einen Freund beauftragt hatte, ihm 10.000 Ecstasy-Tabletten zu einem Preis von 9.000 DM zu besorgen. Ungeachtet seiner Zweifel, ob dieser dazu in der Lage sei, hat er damit ernsthafte Ankaufsbemühungen unternommen. Entgegen den Bedenken des Senats (Vorlagebeschluss vom 13. Januar 2005, NJW 2005, 1589) ist bei einem solchen Sachverhalt das Handeltreiben vollendet (Beschl. vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05 - zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
b) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 7. März 2002 im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, ist in den nach der vorgenommenen Teileinstellung verbliebenen Fällen die nicht geringe Menge auch bei Zugrundelegung des zutreffenden Grenzwertes von 30 g MDMA-Base (BGHSt 42, 255) rechtsfehlerfrei ermittelt worden. Insoweit hat es daher keine Auswirkung, dass das Landgericht von einem nicht mehr der Rechtsprechung entsprechenden Wert von 24 g MDMA-Base ausgegangen war.
4. Der Wegfall von vier der 21 Fälle führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der neue Tatrichter wird zu prüfen haben, welche Jugendstrafe aus erzieherischen Gründen im jetzigen Zeitpunkt noch geboten ist. Er wird dabei die zwischenzeitliche Entwicklung des Angeklagten und hier auch den Umstand, dass das Revisionsverfahren außerordentlich lange gedauert hat, ohne dass dies der Angeklagte zu vertreten hätte, zu berücksichtigen haben. Vom Eingang der Sache beim Senat bis zur Entscheidung sind etwa drei Jahre und neun Monate vergangen. Bereits die damit verbundene außergewöhnliche Verfahrensdauer, die sich nach Erlass des angefochtenen Urteils ergeben hat, muss sich in erheblicher Weise zu Gunsten des Angeklagten auswirken. Es kommt hinzu, dass in dieser Verfahrensdauer ein Zeitraum enthalten ist, der als Verfahrensverzögerung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK bewertet werden muss. Zwar kann die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat des Bundesgerichtshofs für Strafsachen nach § 132 GVG als solche eine Verfahrensverzögerung nicht begründen. Die Aufgabe des Bundesgerichtshofs besteht nicht nur darin, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidungen zu überprüfen, sondern auch zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung und zu einer geordneten Fortentwicklung des gesetzten Rechts beizutragen. Der Senat hat in diesem und in einem ähnlichen Fall Anlass gesehen, die Frage der Definition des Begriffs des Handeltreibens und insbesondere die Abgrenzung von Versuch und Vollendung zum Gegenstand eines solchen Vorlageverfahrens zu machen. Wegen der großen Bedeutung dieser Rechtsfragen und ihrer Schwierigkeit erforderte das vorausgehende Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG ebenso wie das Vorlageverfahren selbst eine intensive und zeitraubende Befassung zunächst sämtlicher Strafsenate des Bundesgerichtshofs und sodann des Großen Senats. Gleichwohl hätte das gesamte Revisionsverfahren einschließlich Anfrage- und Vorlageverfahren nach § 132 GVG in deutlich kürzerer Zeit abgeschlossen sein müssen. Es wird Aufgabe des neuen Tatrichters sein, diese Verfahrensverzögerung, die nach Einschätzung des Senats mit eindreiviertel Jahren zu veranschlagen ist, angemessen zu kompensieren (vgl. BGH NStZ 1999, 181).
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 85
Bearbeiter: Ulf Buermeyer