Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 59/01, Beschluss v. 23.03.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 8. September 2000 mit den Feststellungen aufgehoben; von der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zur Anlaßtat und zum Vortatverhalten, die bestehen bleiben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
1. Nach den Feststellungen griff der Beschuldigte eine Prostituierte an, die Hilfe holen wollte, nachdem sie ihn mehrmals vergeblich aufgefordert hatte, das Bordell zu verlassen. Während eines 10 bis 15 Minuten dauernden Kampfes drückte der Beschuldigte seine Hand so fest auf den Mund und die Nase der Frau, daß diese kaum Luft bekam und deshalb in Todesangst geriet.
Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB bejaht, weil der Beschuldigte entweder an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie oder möglicherweise auch an einem Borderline-Syndrom mit psychotischen Inhalten leide. Auf der Grundlage der paranoid-halluzinatorischen Psychose sei von einer Schuldunfähigkeit auszugehen. Bei der möglicherweise vorliegenden Borderline-Erkrankung müsse eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit angenommen werden. Da zudem eine psychotische Grenzüberschreitung wahrscheinlich sei, sei auch in diesem Fall eine Schuldunfähigkeit nicht ausschließbar.
2. Die bisherigen Erwägungen des Landgerichts rechtfertigen die angeordnete Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht, weil sein Krankheitszustand widersprüchlich beschrieben wird.
Die Ausführungen der Strafkammer, im Falle einer Borderline-Erkrankung sei eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit gegeben, belegen nicht zweifelsfrei, daß der Beschuldigte die Tat - was Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 63 StGB ist (vgl. BGHSt 34, 22, 26: Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 6) - zumindest im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen hat.
Beide Alternativen des § 21 StGB können nicht gleichzeitig angewandt werden (st.Rspr., vgl. BGHSt 40, 341, 349; Tröndle/Fischer, aa0 § 21 Rdn. 3). Zunächst hätte die Strafkammer zweifelsfrei klären müssen, ob die möglicherweise vorliegende Borderline-Erkrankung die erhebliche Verminderung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit bewirkt hat. Denn erst nach einer solchen Klärung kann sich eine nachprüfbare Erörterung anschließen, ob von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1 und 3). Dies hat das Landgericht mit einer krankheitsbedingten Affektlabilität sowie einer emotionalen Impulsivität des Beschuldigten und dessen fehlender Akzeptanz gesellschaftlicher Normen bejaht und somit fehlerhaft auf beide Alternativen der §§ 20, 21 StGB abgestellt.
Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich jedoch erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsichtsfähigkeit zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (BGHSt 40, 341, 349; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6 m.w.Nachw.). Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe läßt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, wie sich die im Falle einer Borderline-Erkrankung verminderte Einsichtsfähigkeit beim Beschuldigten ausgewirkt hat. Solange die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der Einsicht ausgelöst und dadurch zu Straftaten geführt hat, ist unter diesem Gesichtspunkt die Sicherung der Allgemeinheit durch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht veranlaßt (vgl. BGHSt 34, 22, 26 f.). Es käme dann nur eine Unterbringung wegen - bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht - erheblicher Verminderung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit in Betracht.
3. Durch die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Anwendung des § 63 StGB werden die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Anlaßtat und zum Vortatverhalten nicht betroffen, so daß sie bestehen bleiben können. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
Bearbeiter: Rocco Beck