Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 614/98, Beschluss v. 10.03.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 20. März 1998
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte im Fall 3 der Urteilsgründe der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall 3 und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen "gemeinschaftlichen schweren Raubes und wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Falle tateinheitlich mit erpresserischem Menschenraub", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge hin zu einer Änderung des Schuldspruchs im Fall 3 der Urteilsgründe sowie zu einer Teilaufhebung des Strafausspruchs. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den zu Fall 3 getroffenen Feststellungen betraten der Angeklagte und der gesondert verurteilte Y. die Filiale einer Bank, um sich Geld zu beschaffen. Nach dem Tatplan sollte der Kassierer durch Einsatz einer ungeladenen Gaspistole dazu veranlaßt werden, ihnen entweder aus Angst um das eigene Leben oder um das von Bankkunden Geld auszuhändigen. Während Y. im Eingangsbereich die ungeladene Gaspistole aus einer Entfernung von ca. 2,5 m zeitweise auf einen 71jährigen Bankkunden richtete, der den sich anbahnenden Überfall frühzeitig bemerkt und sich daraufhin auf einen Stuhl in der Ecke des Kundenraums gesetzt hatte, begab sich der Angeklagte zum Kassenschalter, wo er einen Jutebeutel durch die Durchreiche schob. Der Kassierer, der die Bedrohung des Bankkunden mit der für echt gehaltenen Waffe anders als der Kunde selbst - erkannte, nahm aus Angst um dessen Leben sämtliche Banknoten, insgesamt 15.000 DM, aus der Zahlschublade und stopfte sie in den Beutel. Mit der Beute flüchteten der Angeklagte und Y. sodann aus der Bank.
Bei dieser Sachlage hat der Angeklagte mittäterschaftlich handelnd nicht nur - wie vom Landgericht angenommen - eine schwere räuberische Erpressung begangen, sondern darüber hinaus tateinheitlich auch den Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239 a Abs. 1 StGB verwirklicht. Ein Sichbemächtigen im Sinne des § 239 a Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsänderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muß (BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 5). Dies ist auch in der Weise möglich, daß das Opfer über eine größere Distanz mit einer scheinbar echten Schußwaffe bedroht und derart in Schach gehalten wird, daß es an einer freien Bestimmung über sich selbst gehindert ist (BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 1 und 3; BGH NStZ 1986, 166). So lag der Fall hier. Daß der Bankkunde die Bedrohung mit der Waffe selbst nicht wahrnahm, ist für die Annahme eines erpresserischen Menschenraubs ohne Bedeutung (BGH GA 1975, 53; BGH NStZ 1985, 455 zu § 239 b StGB). Der Senat hat dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend den Schuldspruch insoweit geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil der geänderte Schuldspruch mit der rechtlichen Würdigung in der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage übereinstimmt.
Der Einzelstrafausspruch im Fall 3 der Urteilsgründe kann wegen der Rechtsänderung durch das am 1. April 1998 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts nicht bestehen bleiben (§ 354 a StPO). Auf der Grundlage des zur Tatzeit geltenden Rechts hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 2 StGB a.F. abgelehnt und die Einzelstrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe dem § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. entnommen. Nach der Neugestaltung des § 250 StGB durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts erfüllt die festgestellte Tathandlung, da eine als Drohmittel eingesetzte ungeladene Gaspistole nicht als Waffe oder anderes gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 StGB n.F. anzusehen ist, lediglich den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB n.F. (BGHSt 44,103; BGH StV 1998, 487; BGH NStZ 1998, 567). Diese Vorschrift ist wegen der niedrigeren Mindeststrafe - drei Jahre statt fünf Jahre - im Verhältnis zum alten Recht das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann sich die Neuregelung des § 250 StGB trotz des tateinheitlich verwirklichten erpresserischen Menschenraubs bei der Bemessung der Einzelstrafe zu Gunsten des Angeklagten auswirken. Zwar sieht § 239 a Abs. 1 StGB als Normalstrafrahmen für den erpresserischen Menschenraub Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vor und enthält daher dieselbe Strafandrohung wie der von der Strafkammer angewandte § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. Das Landgericht hat jedoch - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob ein minder schwerer Fall des erpresserischen Menschenraubs nach § 239 a Abs. 2 StGB in Betracht kommt, für den das Gesetz einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe eröffnet. Angesichts der festgestellten Tatumstände kann der Senat die Annahme eines minder schweren Falls des erpresserischen Menschenraubs nicht völlig ausschließen. Nach der Regelung des § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB wäre in diesem Fall die Einzelstrafe dem neugefaßten § 250 StGB zu entnehmen. Dies hätte, da die Strafkammer die Mindeststrafe des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. verhängt hat, möglicherweise eine niedrigere Einzelstrafe zur Folge. Insoweit bedarf es einer erneuten tatrichterlichen Strafzumessung.
Die Aufhebung der Einzelstrafe führt zum Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe. Die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, ohne daß dies ihre Ergänzung ausschließt.
Externe Fundstellen: StV 1999, 646
Bearbeiter: Karsten Gaede