Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 433/95, Beschluss v. 25.10.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 6. Februar 1995 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
1. Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 22. September 1992 wegen (fortgesetzten) Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen ließ der Angeklagte, ein Kassenarzt und Facharzt für Nuklearmedizin, im Tatzeitraum von Oktober 1980 bis Juli 1985 mit Gesamtvorsatz handelnd in die im abgelaufenen Quartal jeweils angefallenen Behandlungsausweise seiner Patienten überhöhte Kosten eintragen. Die Behandlungsausweise reichte er in zwanzig Einzelfällen für die aufeinanderfolgenden Quartale III/1980 bis II/1985 bei der Kassenärztlichen Vereinigung zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen ein, denen dadurch ein Mindestschaden von 1.130.000 DM entstand.
Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Verfahren mit Urteil vom 20. Juli 1994 - 2 StR 645/92 - teilweise nach § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen vor dem 4. August 1983 beendeter Betrugstaten verurteilt wurde. Zwar habe das Landgericht die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Betrugs - auch hinsichtlich jeder einzelnen Einreichung von Behandlungsausweisen - rechtsfehlerfrei festgestellt. Nach dem Beschluß des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 40, 138) sei jedoch die Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs für die Fälle des Betrugs ausgeschlossen. Die vierteljährlichen Einreichungen der Behandlungsausweise mit überhöhten Kosten seien damit als rechtlich selbständige Betrugstaten zu beurteilen. Die Taten von 1980 bis einschließlich der Anfang April 1983 erfolgten Einreichung der Behandlungsausweise aus dem I. Quartal 1983 seien deshalb verjährt.
Darüber hinaus hat der Senat das Urteil des Landgerichts im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision des Angeklagten wurde verworfen. Für die neue Hauptverhandlung wurde in den Gründen des Urteils abschließend darauf hingewiesen, daß verjährte Betrugstaten, soweit sie wiederum festgestellt werden, entsprechend ihrer Bedeutung strafschärfend verwertet werden können.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen Betrugs zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Grundlage des Strafausspruchs war der in Rechtskraft erwachsene Schuldspruch, der noch neun nicht verjährte Einzelfälle (Abrechnungen des II. Quartals 1983 bis einschließlich des II. Quartals 1985) betraf, auf die ein Gesamtschaden von 485.000 DM entfiel. Ferner ging das Landgericht davon aus, daß aufgrund des Urteils des Bundesgerichtshofs auch die Feststellungen im Ersturteil des Landgerichts Mainz vom 22. September 1992 zu den verjährten Einzelfällen, hinsichtlich derer das Verfahren eingestellt wurde, in Rechtskraft erwachsen und somit für die neue Entscheidung bindend seien. Bei der Strafzumessung wurden dem Angeklagten die verjährten Einzelfälle angelastet.
Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Er macht geltend, die Kammer hätte die verjährten Betrugstaten nur dann strafschärfend berücksichtigen dürfen, wenn sie hierzu eigene Feststellungen getroffen hätte. Durch die Teileinstellung des Verfahrens sei das Ersturteil mit den Feststellungen insoweit gegenstandslos geworden. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Das Landgericht ist zu Recht der Ansicht, daß die im ersten landgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen zu den verjährten Betrugstaten, derentwegen der Senat das Verfahren eingestellt hat, bestehen geblieben und für das weitere Verfahren bindend sind. Die verjährten Taten konnten deshalb bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, obwohl sie das Landgericht nicht erneut festgestellt hat. An seinem abweichenden Hinweis in dem Urteil vom 20. Juli 1994 hält der Senat nicht fest.
1. Die Feststellungen zum Tatgeschehen wurden mit der Teileinstellung des Verfahrens auch in bezug auf die verjährten Taten nicht aufgehoben. Aufgehoben wurde nach dem eindeutigen Urteilstenor nur der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen. Hierzu gehören nicht die Feststellungen zum verjährten Teil des Tatgeschehens. Deren Aufhebung ergibt sich auch nicht aus dem allgemein gehaltenen Hinweis des Senats in den Urteilsgründen, daß verjährte Betrugstaten strafschärfend verwertet werden dürfen, soweit sie wiederum festgestellt werden.
2. Die Verfahrensweise des Senats entspricht § 353 Abs. 2 StPO und der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Einstellung von Verfahren. Ob die in einem eingestellten Verfahrensteil getroffenen Feststellungen bestehen bleiben können, richtet sich nach der Art des Verfahrenshindernisses (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 353 Rdn. 13 m.w.N.).
In den Fällen der Verjährung sieht der Bundesgerichtshof regelmäßig davon ab, über die Verfahrenseinstellung hinaus das angefochtene Urteil und die darin getroffenen Feststellungen aufzuheben (vgl. u.a. Beschluß vom 18. Oktober 1994 - 4 StR 517/94; Beschluß vom 15. Juli 1994 - 3 StR 207/94; Beschluß vom 4. Mai 1993 - 5 StR 206/93; Beschluß vom 8. Juli 1986 - 5 StR 305/86). In BGHSt 22, 213, 217 und 27, 271, 273 wird zwar ausgeführt, die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung nehme dem Urteil seine rechtlichen Wirkungen. Dies betrifft aber allein den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch und besagt nicht, daß das angefochtene Urteil oder die Feststellungen als aufgehoben anzusehen sind (a.A. offenbar Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 206 a Rdn. 66). Auch aus § 353 Abs. 2 StPO läßt sich dies nicht herleiten. Nach dieser Vorschrift werden Urteilsfeststellungen nur insoweit aufgehoben, als sie von der Gesetzesverletzung betroffen sind. Der Grundgedanke dieser Regelung trifft auf die Verfolgungsverjährung nicht zu. Gemäß § 78 Abs. 1 StGB hat die Verjährung lediglich die Wirkung, daß die Ahndung der Straftat ausgeschlossen ist. Sie bildet ein Hindernis für die Einleitung oder Fortsetzung des Verfahrens, beseitigt aber nicht die frühere Tat (vgl. Jähnke, Festschrift für Salger S. 47, 49) und macht die hierzu getroffenen Feststellungen auch nicht rechtsfehlerhaft.
Dementsprechend wurden auch im Falle des möglichen Eingreifens eines Straffreiheitsgesetzes die tatsächlichen Feststellungen aufrechterhalten, weil der Aufhebungsgrund diese Feststellungen nicht berührte (vgl. BGHSt 4, 287, 290).
Etwas anderes kann dagegen bei sonstigen Verfahrenshindernissen gelten: Fehlt eine Prozeßvoraussetzung, wird das angefochtene Urteil regelmäßig insgesamt - einschließlich der Feststellungen - aufgehoben (vgl. u.a. bei Fehlen der Anklage: Beschluß vom 27. Mai 1992 - 2 StR 94/92; Beschluß vom 14. Mai 1991 - 2 StR 158/91; bei Fehlen des Eröffnungsbeschlusses: Beschluß vom 13. Februar 1991 - 2 StR 30/91; bei Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit: BGHR StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Auslieferung 1), weil in diesen Fällen das Gericht von vornherein gehindert ist, bindende Feststellungen zu treffen (BGHR StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Auslieferung 1).
Da das Landgericht nach dem Ergebnis der revisionsrechtlichen Prüfung die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Betrugs für jeden Einzelfall rechtsfehlerfrei festgestellt hatte, bestand kein Anlaß, die Feststellungen zu den verjährten Taten aufzuheben.
3. Diese Feststellungen sind auch nicht gegenstandslos oder sonst unwirksam geworden. Stellt das Revisionsgericht das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung teilweise ein, verlieren lediglich der Schuld- und Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils ihre rechtliche Wirkung, soweit sie von der Teileinstellung betroffen sind. Hieraus folgt aber nicht, daß vom Tatgericht bereits rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen keinen Bestand haben. Denn auch die Einstellungsentscheidung benötigt eine Sachverhaltsgrundlage. Erst auf dieser Grundlage läßt sich die Verjährungsfrage beurteilen. In nicht wenigen Fällen sind deshalb eine umfassende Beweisaufnahme und detaillierte Feststellungen zum Tatgeschehen erforderlich, bevor die Verjährungsfrage beurteilt werden kann. Dies gilt u.a. bei Kapitalverbrechen, bei denen der Verjährungseintritt davon abhängen kann, ob die Tat als Totschlag zu werten ist, der verjähren kann, oder als Mord, der nicht verjährt. Die Feststellungen werden in derartigen Fällen daher weder gegenstandslos, noch müssen sie aufgehoben werden, da anderenfalls der Einstellungsentscheidung zugleich die erforderliche tatsächliche Grundlage entzogen würde. Zudem sind die Feststellungen für das weitere Verfahren von Bedeutung, weil verjährte Straftaten entsprechend ihrer Bedeutung strafschärfend berücksichtigt werden können (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 11, 19, 20, 24). Im übrigen wäre es nicht sachgerecht, wenn - wie im vorliegenden Fall - bei einer Serie gleichartiger Taten, die der Tatrichter insgesamt rechtsfehlerfrei festgestellt hat, nur hinsichtlich der Taten, die dem rechtskräftigen Schuldspruch zugrundeliegen, eine Bindungswirkung bestünde, hinsichtlich der verjährten Taten, die nur noch für die Strafzumessung von Bedeutung sind, hingegen nicht. Es widerspräche dem Grundsatz der Prozeßökonomie, eine erneute Beweisaufnahme durchzuführen, obwohl die erforderlichen Feststellungen in demselben Verfahren bereits rechtsfehlerfrei getroffen wurden.
4. Die Feststellungen zu den verjährten Taten waren für die nach der Zurückverweisung zuständig gewordene Strafkammer somit bindend. Von einer erneuten Beweisaufnahme zu den verjährten Taten hat das Landgericht deshalb zu Recht abgesehen.
Die Bindungswirkung von im Strengbeweisverfahren getroffenen Feststellungen zu verjährten Taten greift nur dann nicht ein, wenn diese auf einer erkennbar unvollständigen Beweisaufnahme beruhen oder wenn sich die Feststellungen bei der revisionsrechtlichen Prüfung sonst als rechtsfehlerhaft erweisen und deshalb aufgehoben werden. Diese Voraussetzungen lagen hier jedoch nicht vor.
5. Soweit der Senat in seinen Urteilen vom 20. Juli und 29. Juni 1994 - 2 StR 645/92 und 650/93 - in Hinweisen an den neuen Tatrichter in Übereinstimmung mit einem Hinweis des 5. Strafsenats in seinem Beschluß vom 4. Mai 1993 - 5 StR 206/93 - davon ausging, verjährte Taten dürften nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, "sofern sie wiederum festgestellt werden," hält der Senat hieran nicht fest. Da es sich lediglich um Hinweise handelt, besteht insoweit weder eine Selbstbindung des Senats durch sein erstes Revisionsurteil, noch ist er durch den Hinweis des 5. Strafsenats an der getroffenen Entscheidung gehindert.
Der Strafausspruch hat allerdings auch dann Bestand, wenn die verjährten Taten außer Betracht bleiben. Bei dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten, derer der Angeklagte schuldig ist, liegt die festgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren an der untersten Grenze dessen, was als tat- und schuldangemessen angesehen werden kann. Eine noch mildere Strafe wäre rechtsfehlerhaft. Sie würde sich in unzulässiger Weise von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach unten lösen, daß sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums läge (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 345, 349).
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 305; NJW 1996, 1293; NStZ 1996, 197; StV 1996, 251
Bearbeiter: Rocco Beck