Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 160/94, Urteil v. 29.06.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Oktober 1993 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten und seine Ehefrau, gegen die das Verfahren zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen ist, wegen (fortgesetzten) Betruges in Tateinheit mit (fortgesetzter) Urkundenfälschung und wegen falscher Versicherung an Eides statt zu Freiheitsstrafen verurteilt. Der Angeklagte wendet sich gegen diese Entscheidung mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel ist unbegründet, da das Urteil keine den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufweist (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Annahme einer fortgesetzten Handlung, die rechtlicher Nachprüfung nicht standhält (vgl. Beschl. des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 1994 - NJW 1994, 1663 f) beschwert den Angeklagten nicht, da ausgeschlossen werden kann, daß bei zutreffender Bewertung die zu bildende Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wäre.
Zu Erörterungen Anlaß gibt nur die Frage, ob die Vorgehensweisen des Angeklagten bei der Bestellung von Waren bei verschiedenen Versandhäusern neben dem Tatbestand des Betruges (§ 263 StGB) in allen Fällen auch den Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) erfüllen.
1. Die Strafkammer hat dazu festgestellt:
Der Angeklagte und seine Ehefrau bestellten bei verschiedenen Versandhäusern Gegenstände des persönlichen Gebrauchs, später auch hochwertige technische Geräte wie Stereoanlagen, Fernsehgeräte, Videokameras, obwohl sie nicht über die finanziellen Mittel zur Bezahlung des Kaufpreises verfügten. Da ihre persönlichen Daten, wie sie wußten, computermäßig hinsichtlich des Rufnamens, des Familiennamens, des Geburtsdatums und der Anschrift erfaßt und gespeichert waren und bei Überschreitung der von der Lieferfirma jeweils individuell festgelegten "Bonitätsgrenze" Bestellungen nicht mehr ausgeführt wurden,
a) veränderten sie die Schreibweise ihrer Namen durch Weglassen oder Hinzufügen einzelner Buchstaben, zum Beispiel in (es folgen einige Beispiele)
b) benutzten sie die Vornamen ihrer Kinder T. und B.,
c) wandelten sie die Schreibweise ihrer Rufnamen ab oder benutzten allein die weiteren Vornamen des Angeklagten (H. und A.), die sie teilweise auch abänderten zum Beispiel in A.t,
d) gaben sie falsche Geburtsdaten an,
e) variierten sie die Schreibweise der Lieferanschrift, wobei sie zutreffend damit rechneten, daß der Postbote abweichende Namen und Zustellanschriften als unerheblich ansehen werde,
f) mieteten sie Wohnungen oder Appartements unter falschen Namen an, um auf diese Art und Weise neue Lieferanschriften zu gewinnen. Teilweise befestigte der Angeklagte an den angemieteten Wohnungen weitere Schilder mit erfundenen Namen, unter denen er ebenfalls Waren bestellte und erhielt.
Durch die aufgeführten Manipulationen gelang es dem Angeklagten, die Bonitätskontrolle der Versandhäuser zu unterlaufen und Waren im Gesamtwert von mindestens 106.000 DM zu erhalten.
2. Soweit der Angeklagte unter Angabe eines falschen Vor- oder/und Familiennamens, auch soweit nur die Schreibweise geändert wurde, Bestellungen vorgenommen hat, ist das für die Tatbestandsverwirklichung des § 267 StGB geforderte Merkmal der "Identitätstäuschung" gegeben.
Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht, wenn also der Anschein erweckt wird, ihr Aussteller sei eine andere Person als diejenige, von der sie herrührt (BGHSt 1, 117, 121; 9, 44, 45; 33, 159, 160; BGH NStZ 1993, 491). Entscheidend ist dabei die Täuschung über die Identität des Ausstellers, nicht über seinen Namen (BGHSt 33, 159, 160 m.w.N.). Deshalb ist die Angabe eines unrichtigen Namens dann nicht tatbestandsmäßig, wenn der Aussteller der Urkunde so gekennzeichnet ist, daß über seine Person kein Zweifel bestehen kann (RGSt 48, 238, 241; BGHSt 1, 117, 121) oder die Richtigkeit der Namensangabe unter Berücksichtigung des Verwendungszweckes der Urkunde ohne Bedeutung ist (BGHSt 33, 159, 160).
Durch die Angabe eines unrichtigen Familiennamens bei den Warenbestellungen hat der Angeklagte, wie von ihm beabsichtigt, über seine Identität getäuscht. Bei der Bearbeitung der Bestellung durch die Datenverarbeitungsanlagen der Warenhäuser (vgl. zur Problematik automatisierter Rechtsvorgänge: Köhler AcP 182, 127 f; Redeker NJW 1984, 2390 f sowie Computer und Recht 1990, 469 f; Clemens NJW 1985, 1998 f) wurde der Angeklagte trotz gleichbleibender Anschrift und gleichlautenden Geburtsdatums als neuer Kunde erfaßt. Die Veränderung des Namens führte dazu, daß als Besteller eine mit dem bisherigen Kunden, an den nicht mehr geliefert werden sollte, nicht identische Person angesehen wurde (vgl. BayObLG NJW 1994, 208). Dabei ist es angesichts der Besonderheiten der über Datenverarbeitungsanlagen abgewickelten Bestellungen unerheblich, ob der gesamte Name oder nur Teile des Namens verändert wurden. Denn für die Datenverarbeitung bedeutete, was der Angeklagte wußte und wollte, auch die Veränderung der Schreibweise, selbst wenn es sich nur um einen Buchstaben handelte, das Vertragsangebot eines neuen, bisher nicht erfaßten Kunden.
3. Das Vorgehen des Angeklagten ist auch in den Fällen als Urkundenfälschung zu bewerten, in denen er zwar die Bestellung unter seinem richtigen Vor- und Familiennamen vornahm, jedoch einen ihm an sich zustehenden Vornamen, den er aber früher nicht verwendet hatte, angab, ein unrichtiges Geburtsdatum oder eine unrichtige Anschrift einfügte.
Eine mit dem richtigen Namen unterschriebene Urkunde kann unecht im Sinne von § 267 StGB sein, wenn damit der Eindruck erweckt werden soll, die Urkunde stamme von einer anderen Person als derjenigen, die sie tatsächlich hergestellt hat (RGSt 4, 157, 158; 13, 171, 174; 37, 196, 197; 55, 173, 174; Tröndle in LK 10. Aufl. Rdn. 130 f; Lackner StGB 20. Aufl. Rdn. 19; Cramer in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. Rdn. 52 jeweils zu § 267 StGB; Steinmetz, Der Echtheitsbegriff im Tatbestand der Urkundenfälschung, 1991, S. 218 f). Diese Auslegung ist im Hinblick auf das durch § 267 StGB geschützte Rechtsgut geboten, nämlich die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden. Der Anschrift, dem Geburtsdatum und weiteren Vornamen kommt im Geschäftsverkehr im Hinblick auf die Identität eines Vertragspartners und zu dessen Identifizierung häufig keine besondere Bedeutung zu, da Ruf- und Familienname grundsätzlich genügen. Etwas anderes muß aber gelten, wenn die beteiligten Verkehrskreise eine Summe von Merkmalen zur Kennzeichnung einer bestimmten Person verwenden. Denn zur Beurteilung der Frage, ob eine Identitätstäuschung vorliegt, kommt es auf den Verwendungszweck der Urkunde, ihre Beweisrichtung und den Kreis der Beteiligten an (RGSt 48, 238, 241). Im Geschäftsverkehr der Versandhäuser, der unter Zuhilfenahme von Datenverarbeitungsanlagen abgewickelt wird, bestehen solche Besonderheiten. Hier erfolgt die Unterscheidung der einzelnen Personen nicht nur an Hand des Ruf- und Familiennamens, sondern auch mittels der Anschrift und des Geburtsdatums. Mittels dieser Daten wird eine Bestellung einer bestimmten Person zugeordnet (vgl. auch Redeker a.a.O. S. 2393). Alle diese Angaben dienen somit als Unterscheidungsmerkmale im Rechtsverkehr, sie sind Grundlagen der "Identitätsfeststellung", die bei der Entscheidung über die Annahme des Vertragsangebotes von erheblicher Bedeutung ist.
a) Die Hinzufügung anderer Vornamen als des Rufnamens (H., A.) durch den Angeklagten bedeutete bei dieser Sachlage eine Identitätstäuschung. Er hat nämlich den Eindruck hervorgerufen, die Bestellung von Waren sei durch eine Person erfolgt, die bisher nicht Kunde gewesen ist. Dem steht nicht entgegen, daß der Angeklagte berechtigt gewesen ist, im Rechtsverkehr neben oder anstelle seines Rufnamens weitere Vornamen zu verwenden und daß das Schriftstück deshalb an sich, da es von der als Aussteller erkennbaren Person tatsächlich stammt, echt war (RGSt 13, 171, 175; BGH; Urt. v. 28. April 1964 - 1 StR 74/64). Denn das allein genügt nicht, vielmehr muß auch der Verwendungszweck der Urkunde bei der Prüfung der Echtheit im Sinne von § 267 StGB berücksichtigt werden. Der war aber durch den Gebrauch neuer, zusätzlicher Vornamen auf die Täuschung des Rechtsverkehrs angelegt. Die Verläßlichkeit des Beweisverkehrs, das geschützte Rechtsgut des § 267 StGB, wird durch ein solches Vorgehen ebenso tangiert wie durch den Gebrauch eines unrichtigen Namens (vgl. RGSt 13, 174; Tröndle a.a.O. Rdn. 130; Cramer a.a.O. Rdn. 52 jeweils zu § 267 StGB; Ohr JuS 1967, 255, 256).
b) Auch in den Fällen, in denen der Angeklagte unter seinem Namen, aber unter Angabe eines unrichtigen Geburtsdatums oder einer unrichtigen Anschrift Bestellungen aufgegeben hat, liegt eine Identitätstäuschung vor.
aa) Der Name einer Person bildet im Rechtsverkehr zwar das wichtigste und auch das verläßlichste, keineswegs aber das einzige Identifikations- und Unterscheidungsmerkmal. Wie dem Ruf- und dem Familiennamen kommt dem Geburtsdatum als unveränderlicher Größe insoweit wesentliche Bedeutung zu. Gerade im Versandhandel, wo bei der Vielzahl von Kunden eine Namensübereinstimmung hinsichtlich Vor- und Familiennamen nichts Ungewöhnliches ist, dient die Angabe des Geburtsdatums als Unterscheidungsmerkmal, so daß derjenige, der bewußt sein Geburtsdatum unrichtig angibt, auch über seine Identität täuscht.
bb) Etwas anderes muß grundsätzlich für die Anschrift desjenigen gelten, der eine Urkunde ausstellt. Dabei handelt es sich nämlich üblicherweise nicht um ein zur Identifizierung geeignetes Merkmal einer Person mit selbständiger Bedeutung für die Identitätsbestimmung. Eine insoweit bewußt unrichtige Angabe erschwert zwar den Rechtsverkehr, ist aber grundsätzlich keine "Identitätstäuschung" im Sinne von § 267 StGB, da nicht vorgegeben wird, der Aussteller sei eine andere Person als diejenige, die nach dem Wortlaut der Urkunde als solche erscheint (vgl. BGH StV 1993, 308). Für Rechtsgeschäfte, die mittels Datenverarbeitungsanlagen abgewickelt werden, kann dies nicht uneingeschränkt gelten. Insoweit ist maßgebliches Kriterium, ob auf Grund der vorhandenen Daten diese Person bereits erfaßt ist. Wenn eine andere Anschrift angegeben wird, gilt der Besteller als neuer Kunde. Es erfolgt nicht, wie im Rechtsverkehr üblich, eine Rückfrage, ob ein Wohnsitzwechsel vorgenommen wurde und deshalb Personenidentität vorliegt. Die Datenprogramme der Versandhäuser sind, wie die Urteilsgründe ergeben, so gestaltet, daß eine neue Anschrift auch bei gleichbleibenden sonstigen Daten als Hinweis auf einen neuen Kunden behandelt wird. Familien-, Vorname, Geburtsdatum und Anschrift sind bei dieser Art von Rechtsgeschäften Unterscheidungskriterien von gleichem Gewicht und gleicher Bedeutung, die in ihrer Gesamtheit zur Identifizierung des Kunden dienen. Unrichtige Angaben des Unterzeichners einer Urkunde hinsichtlich solcher zusätzlicher Individualisierungskriterien, die für den Empfänger wichtig und für die Vertragsgestaltung von besonderer Bedeutung sind, machen deshalb eine Urkunde unecht und nicht nur unwahr (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Mai 1958 - 1 StR 171/58; BGH LM Nr. 11 zu § 267 StGB; Puppe JuS 1987, 277 m.w.N.).
Externe Fundstellen: BGHSt 40, 203; NJW 1994, 2628; NStZ 1994, 486
Bearbeiter: Karsten Gaede