HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1377
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, StB 55/24, Beschluss v. 04.09.2024, HRRS 2024 Nr. 1377
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. Juli 2024 (2 BGs 587/24) wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Islamischer Staat“ - IS) in sieben Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und Bestrafung unter Verstoß gegen rechtsstaatliche Garantien und mit Mord nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 7 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 211 Abs. 1, Abs. 2 Gruppe 1 Variante 4, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 25. Juli 2024 die Durchsuchung der Person des Beschuldigten und der von diesem genutzten Wohn- und Nebenräume sowie Kraftfahrzeuge nach näher beschriebenen Beweismitteln angeordnet.
Gegen die Durchsuchungsanordnung hat der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. August 2024 Beschwerde erhoben, diese jedoch nicht begründet.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde mit Verfügung vom 15. August 2024 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Einer Umdeutung in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme bedarf es nicht. Die Durchsuchung dauert angesichts der noch nicht abgeschlossenen Durchsicht vorläufig sichergestellter elektronischer Speichermedien weiterhin an (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. September 2023 - StB 40/23, juris Rn. 8; vom 16. Mai 2023 - StB 20/23, juris Rn. 4 mwN).
2. Sie erweist sich jedoch als unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) waren gegeben.
a) Gegen den Beschuldigten bestand zumindest ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB. Der Senat sieht deshalb aus Gründen der Prozessökonomie an dieser Stelle von weiteren Darlegungen zu den übrigen Tatvorwürfen ab.
aa) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, BVerfGK 9, 149, 153; BGH, Beschluss vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 7 mwN; LR/Tsambikakis, StPO, 27. Aufl., § 103 Rn. 1).
bb) Daran gemessen bestanden bei Erlass des angefochtenen Beschlusses zureichende Gründe für einen die Durchsuchung rechtfertigenden Tatverdacht.
(1) In diesem Sinne war von folgendem Sachverhalt auszugehen:
(a) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die von Schiiten dominierte Regierung im Irak und das Assad-Regime in Syrien auch unter beabsichtigter Verursachung ziviler Opfer zu stürzen sowie einen zumindest das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ (Syrien, Libanon, Jordanien, Israel sowie die palästinensischen Autonomiegebiete) umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten. Ihre Ziele und Zwecke setzte die Organisation im Irak und in Syrien sowohl durch offenen militärischen Bodenkampf sowie durch Sprengstoff- und Selbstmordanschläge als auch durch rücksichtslose und brutale Kriegsverbrechen wie Entführungen und inszenierte grausame Hinrichtungen durch. Nach der Eroberung der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul am 10. Juni 2014 rief der damalige offizielle Sprecher des IS, Abu Muhammad Al-Adnani, in einer Botschaft vom 29. Juni 2014 das „Kalifat“ aus und erklärte, dass Abu Bakr Al-Baghdadi zum „Kalifen“ ernannt worden sei. Seit Sommer 2014 kontrollierte der IS die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks und bemühte sich, dort staatliche Strukturen aufzubauen. Die Organisation warb für ein Leben in einem sunnitisch geprägten „Staatsgebiet“. Mit dieser Propagandastrategie zog der IS tausende ausländische Kämpfer aus der ganzen Welt an, darunter auch mehrere hundert Personen aus Deutschland.
Seit Ende des Jahres 2015 geriet die Organisation militärisch zunehmend unter Druck und verlor im Jahr 2019 die letzten von ihr besetzten Gebiete. Seitdem führt der IS den gewaltsamen Dschihad im Wege der asymmetrischen Kriegsführung fort. Nachfolger des Ende Oktober 2019 getöteten Anführers al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi, der jedoch am 3. Februar 2022 bei einer US-Militäroperation ums Leben kam. Am 10. März 2022 verkündete der IS - Medienberichten zufolge - die Ernennung von Abu al-Hasan al-Hashimi al-Qurashi zum neuen Kalifen.
Seit der Ausrufung des Kalifats verübte der IS immer wieder Anschläge außerhalb Iraks und Syriens, vor allem in Europa. Diese stellten ein zentrales Mittel dar, dem selbstformulierten Führungsanspruch innerhalb der globalen Dschihad-Bewegung trotz der erlittenen militärischen Rückschläge weiterhin gerecht zu werden. Der IS bekannte sich insbesondere zu Anschlägen in Paris am 13. November 2015 und Brüssel am 22. März 2016 sowie zu einem Anschlag mit 13 Todesopfern und zahlreichen Verletzten auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016. In Selbstbezichtigungsschreiben reklamierte er einen Sprengstoffanschlag vom 22. Mai 2017 in Manchester, einen Anschlag vom 17. August 2017 in Barcelona und einen Anschlag vom 2. November 2020 in Wien für sich.
Inzwischen agiert der IS auch außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und ist für fortwährende terroristische Aktivitäten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai (ISPS), West- und Zentralafrika (ISPW und ISPZ) sowie in der von ihm sogenannten Provinz Khorasan, unter anderem bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan (ISPK), verantwortlich.
(b) Der Beschuldigte und mehrere Mitbeschuldigte waren ab etwa 2012 Mitglieder der „Liwa Osman“, einer in Muhassan (Syrien) ansässigen Gruppierung der Freien Syrischen Armee (FSA). Von Anfang bis Juni 2014 betätigten sich die Personen in Muhassan zunächst in einer Schläferzelle des IS, während sie nach außen hin weiter offiziell als Mitglieder der FSA auftraten. Sie führten als Teil dieser Schläferzelle fortlaufend Handlungen für den IS in Syrien aus, etwa durch Botengänge oder durch das Zusammentragen von Informationen. Der Beschuldigte stellte der Schläferzelle sein Restaurant als Treffpunkt zur Verfügung. Die Stadt Muhassan wurde vom IS nach monatelanger Planung ohne nennenswerte Gegenwehr ab dem 17. Juni 2014 eingenommen. Der Beschuldigte und die Mitbeschuldigten waren in diese Operation eingeweiht und unterstützten sie tatkräftig.
Spätestens am 19. Juni 2014 offenbarte der Beschuldigte seine IS-Mitgliedschaft. Zu seinen Aufgaben innerhalb der vom IS errichteten Verwaltung in Muhassan gehörte es, die vom IS gefangen genommenen Personen zu registrieren, ihnen im Keller unterhalb des IS-Stützpunktes eine Zelle zuzuweisen und sie zu überwachen. Derart betätigte er sich bis mindestens September 2014 für den IS in Muhassan.
Am Abend des 17. Juni 2014 beteiligten sich mehrere Mitbeschuldigte zunächst an der Festnahme dreier ranghohen FSA-Offiziere und dreier weiterer noch unbekannter Personen durch Mitglieder des IS. Im Zuge der Festnahme kam es zu einem kurzen Schusswechsel auf offener Straße in Muhassan. Einer der Mitbeschuldigten bedrohte die Gefangenen mit einer Waffe. Die Festnahme erfolgte, weil einer der Offiziere zuvor erklärt hatte, gegen den IS kämpfen zu wollen.
Ein Mitbeschuldigter misshandelte zumindest diesen Offizier in den folgenden Tagen an einem unbekannten Ort schwer. Dabei wurde der Gefangene im Gesicht und am linken Arm verletzt. Die Tatopfer wurden im Keller des örtlichen IS-Stützpunktes inhaftiert.
Zwischen der Festnahme und dem Sonnenuntergang des 19. Juni 2014 fällte ein Scharia-Richter durch eine Fatwa (ein Rechtsurteil eines islamischen Gelehrten) das Todesurteil gegen alle sechs Personen. Ein ordentliches Gerichtsverfahren fand nicht statt. Vor Sonnenuntergang am 19. Juni 2014 wurden alle in der Nähe befindlichen Mitglieder des IS per Funk zu einem Muhassan nahe gelegenen Ort am Ufer des Euphrat zusammengerufen, um der Vollstreckung der Todesurteile beizuwohnen. Der Beschuldigte brachte gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des IS die sechs zuvor festgenommenen Personen dorthin. Hierzu holte er sie aus ihren Zellen, verband ihnen die Augen und brachte sie zu den Fahrzeugen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er bereits, dass an ihnen die verhängte Todesstrafe vollstreckt werden sollte. Nach Verbringung der Tatopfer zum Ufer des Euphrat las ein IS-Kämpfer einen Bericht vor, der die Hinrichtung der sechs Tatopfer damit rechtfertigte, dass diese Abtrünnige und Feinde des IS seien. Danach erschossen zwei der Mitbeschuldigten alle sechs Gefangenen.
(2) Der Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten hat sich maßgeblich aus den Angaben eines Zeugen ergeben. Dieser hat bekundet, dass der Beschuldigte IS-Mitglied gewesen sei, und detaillierte Ausführungen zu den einzelnen Tätigkeiten des Beschuldigten sowohl als Gefängniswärter als auch im Zusammenhang mit dem Hinrichtungsgeschehen gemacht. Zudem hat er den ihm langjährig bekannten Beschuldigten bei einer Wahllichtbildvorlage eindeutig wiedererkannt.
cc) In rechtlicher Hinsicht lag demnach ein Anfangsverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB vor.
Diese Tat ist nicht verjährt. Durch die Anordnung der Vernehmung des Beschuldigten am 31. Mai 2024 ist die Verjährung gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 StGB unterbrochen worden.
b) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Der Tatort unterlag effektiv keiner staatlichen Strafgewalt; zudem waren terroristische Handlungen im Tatzeitraum auch nach syrischem Recht mit Strafe bedroht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2021 - AK 10/21, juris Rn. 42).
c) Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses sind nach § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Nr. 1 GVG gegeben.
3. Die Anordnung der Durchsuchung entsprach unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
a) Sie war zur Ermittlung der Tat geeignet und erforderlich, da - wie der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zutreffend ausgeführt hat - unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen führen würde, mit deren Hilfe eine Strafbarkeit des Beschuldigten nachgewiesen werden konnte.
Weniger einschneidende Mittel waren nicht gegeben. Eine vorherige Beschuldigtenvernehmung kam als milderes Mittel schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht feststand, dass der Beschuldigte mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren würde und die bei ihm aufgefundenen Gegenstände freiwillig und vollständig herausgegeben hätte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler StPO, 67. Aufl., § 102 Rn. 15a mwN).
b) Die angeordnete Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der aufzuklärenden Straftat und der Stärke des aufgezeigten Tatverdachts. Die Schwere der aufzuklärenden Straftat ist erheblich. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland stellt ein Verbrechen dar und eröffnet einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Die Stärke des Tatverdachts ist mit Rücksicht auf die detaillierten und plausiblen Angaben des Zeugen ebenfalls als hoch zu bewerten.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1377
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede