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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 51

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 91/24, Beschluss v. 27.11.2024, HRRS 2025 Nr. 51


BGH AK 91/24 - Beschluss vom 27. November 2024

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und Umfang der Ermittlungen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte ist am 15. Mai 2024 festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Mai 2024 (2 BGs 417/24).

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich spätestens seit Dezember 2016 im Irak und ab Januar 2023 in Deutschland als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB.

Die zunächst vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungen sind mit Verfügung vom 22. August 2024 an die Generalstaatsanwaltschaft München abgeben worden. Der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts München hat die Akten mit Beschluss vom 25. Oktober 2024 (OGs 75/24) dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Haftfortdauer nach § 121 Abs. 2 und 4 StPO vorgelegt.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate liegen vor.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seitdem ernannte die Organisation mehrere Nachfolger, die ebenfalls getötet wurden.

Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen werden vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er Massaker an Zivilisten und Terroranschläge außerhalb seines Machtbereichs. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet der IS militärisch unter Druck und musste schrittweise territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde die Vereinigung aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt sie - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass sie als solche zerschlagen wäre.

Inzwischen agiert der IS auch außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und ist für fortwährende terroristische Aktivitäten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai (ISPS), West- und Zentralafrika (ISPW und ISPZ) sowie in der von ihm sogenannten Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan (ISPK) verantwortlich.

bb) Der Beschuldigte ist irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und lebte bis zu seiner Ausreise im Jahr 2022 im Irak. Die Machtübernahme des IS im Jahr 2014 betrachtete er als „Befreiung“, weil sie seiner Ansicht nach die jahrzehntelange Unterdrückung der Sunniten beendete. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt sympathisierte er mit der Vereinigung und identifizierte sich mit ihren Zielen. Spätestens 2016 schloss sich der Beschuldigte ihr an, wurde in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen und erhielt von ihr monatliche Alimentationszahlungen. Bis 2022 war er im Irak in verschiedenen Funktionen für sie tätig. So war er zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt auf Seiten des IS an Kampfhandlungen beteiligt, in deren Rahmen er Verletzungen am Rücken durch Granatsplitter erlitt. Ferner war der Beschuldigte in den Jahren 2016 und 2017 als Teil der Generalpolizei der Vereinigung in der Provinz Kirkuk für die Einhaltung der religiösen und gesellschaftlichen Regeln zuständig, bei deren Missachtung - wie ihm bekannt war - etwa Festnahmen, öffentliche Bestrafungsaktionen wie Auspeitschungen oder die Todesstrafe drohten. Zu einem späteren Zeitpunkt sicherte er in der Stadt A. (Provinz Kirkuk) einen Grenzübergang, um Fluchtversuche aus dem vom IS beherrschten Gebiet zu verhindern.

Im Juli 2022 verließ der Beschuldigte den Irak und reiste nach Zwischenaufenthalten in mehreren Ländern Anfang 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auch hier setzte er seine Tätigkeit für den IS unvermindert fort, mit dessen Zielen er sich weiterhin identifizierte. Insbesondere erklärte er sich bereit, für die Vereinigung ein Selbstmordattentat in Europa zu verüben. Zu dessen Vorbereitung nahm er um den 11. Oktober 2023 einen Betrag von 2.500 US-Dollar in Empfang, der ihm zuvor von IS-Angehörigen im Irak auf noch unbekanntem Weg übermittelt worden war. Bereits im April 2023 kontaktierte er mehrere Personen in Deutschland telefonisch oder persönlich, um von ihnen Spenden für im Irak inhaftierte IS-Angehörige beziehungsweise Witwen von Kämpfern der Vereinigung zu sammeln. Zudem wirkte er seit dem 23. April 2023 über eine WhatsApp-Gruppe daran mit, für den IS durch Beiträge im sozialen Netzwerk TikTok Unterstützer gegen die aktuelle irakische Regierung zu gewinnen, um deren Sturz zu erreichen. Dem Beschuldigten kam dabei die Aufgabe zu, als Teil des „Nachrichtendienstes“ der Gruppe Informationen zu sammeln und Strategien zu entwickeln, um die politischen Aktivitäten der irakischen Regierung auf TikTok-Kanälen zu untergraben.

b) Der Beschuldigte hat sich zu den Tatvorwürfen bisher nicht eingelassen. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS beruht er auf einem Auswertebericht des Bundeskriminalamtes zu einem Strukturermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. Jener gründet seinerseits auf einer Vielzahl von Dokumenten und öffentlichen Verlautbarungen der Vereinigung, Zeugenaussagen sowie sonstigen Erkenntnissen.

bb) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der Mitgliedschaft im IS und den Beteiligungshandlungen im Zeitraum bis einschließlich 2022 ergibt sich aus einer von einem ausländischen Dienst übermittelten Mitgliederliste, aus der hervorgeht, dass der Beschuldigte jedenfalls 2016 und 2017 in der Provinz Kirkuk in der Generalpolizei des IS tätig war. Dies wird durch Angaben von Zeugen gestützt, denen gegenüber der Beschuldigte sich nicht nur als Mitglied des IS zu erkennen gab, sondern auch Detailwissen über Zuständigkeit und Arbeitsweise der Generalpolizei offenbarte. So wusste er zu berichten, dass diese in Aufklärungs- und Vollstreckungseinheiten untergliedert war, der Zigarettenhandel mit dem Tode und das Rasieren des Bartes mit 21 Peitschenhieben bestraft wurde. Gleichlautende Äußerungen tätigte er in einem verdeckt überwachten Gespräch am 6. März 2023, in einer Unterredung mit einem Verdeckten Ermittler („VE1“) am 22. Februar 2024 sowie einem am selben Tag geführten Telefonat. Darüber hinaus ist die - fortdauernde - Identifikation des Beschuldigten mit den Zielen des IS durch weitere Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung und die Auswertung seiner Mobiltelefone belegt. In Chats bezeichnete er unter anderem die Eroberung seiner Heimatregion durch den IS als „Befreiung“, weil durch sie die Unterdrückung der Sunniten beendet worden sei. Die Beteiligung an Kampfhandlungen auf Seiten des IS und die Tätigkeit im Rahmen der Grenzsicherung ergeben sich aus den Angaben eines Zeugen, dem gegenüber der Beschuldigte beide Verwendungen mehrfach geschildert und insbesondere angegeben hat, bei einem der Einsätze für die Vereinigung durch Granatsplitter verletzt worden zu sein. Letzteres deckt sich mit einer auf dem Mobiltelefon des Beschuldigten aufgefundenen Fotoaufnahme, die diese Verletzungen zeigt.

cc) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der gegenüber dem IS erklärten Zusage, in Europa ein Selbstmordattentat zu begehen, ergibt sich aus Erkenntnismitteilungen des Bundesnachrichtendienstes, nach denen glaubhafte Hinweise dafür vorliegen, dass der Beschuldigte einen solchen Anschlag plante; zu dessen Vorbereitung sei am 11. Oktober 2023 zu seinen Gunsten ein Betrag von 2.500 US-Dollar in einem Transferbüro in B. hinterlegt worden. Eine auf dem Telefon des Beschuldigten gesicherte Sprachnachricht vom 10. Oktober 2023 bestätigt, dass er bei seiner Rückkehr in die ihm zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft Geld erhalten sollte, was in der Gesamtschau einen Empfang der Summe nahelegt. Dass der geplante Anschlag für die Vereinigung ausgeführt werden sollte, folgt aus der durch jahrelange Tätigkeiten für sie belegten Gesinnung des Beschuldigten.

Der Mitwirkung in der WhatsApp-Gruppe zur Gewinnung von IS-Sympathisanten und Bekämpfung der irakischen Regierung ist der Beschuldigte aufgrund der auf seinem Mobiltelefon gesicherten Protokolle der am 23. April 2023 gegründeten Chatgruppe mit dem Namen“ “ sowie eines zwischen ihm und anderen Mitgliedern am 24. April 2023 geführten Gruppenanrufs dringend verdächtig. Diese Gruppe wurde nach gegenwärtigem Erkenntnisstand von einem Mann geleitet, der angab, sich in einem „befreiten Gebiet“ aufzuhalten, wobei nach dem Gesamtzusammenhang eine Region gemeint war, in der der IS weiterhin präsent war. In einem überwachten Telefonat vom 22. Februar 2024 berichtete der Beschuldigte ferner, kurz zuvor in einer Videokonferenz auf TikTok, in dem sich Iraker über die irakische Innenpolitik austauschten, bewusst und im Auftrag dieses Gruppenleiters „für Unruhe“ unter den Teilnehmern gesorgt zu haben. In dem Telefonat äußerte er im Zusammenhang mit der Videokonferenz: „Ehrlich, ehrlich - ich habe weder Angst noch schäme ich mich dafür, uns ging es in keiner Herrschaft so gut - 2014 haben wir den Segen des Islam sehr zu spüren bekommen“. Dies legt nahe, dass der Beschuldigte auch die in der vorgenannten WhatsApp-Gruppe koordinierte Tätigkeit für den IS ausübte.

Die - jedenfalls versuchte - Einwerbung von Spendengeldern ergibt sich im Sinne eines dringenden Verdachts aus den Angaben des bereits erwähnten Zeugen, der mit dem Beschuldigten für rund vier Wochen in einer Gemeinschaftsunterkunft lebte. In seiner Vernehmung am 10. Juli 2024 hat jener bekundet, der Beschuldigte habe ihn selbst und andere Heimbewohner um Spenden für Inhaftierte und Witwen im Irak gebeten. Aus Telefonaten, die der Zeuge mitgehört habe, wisse er, dass die Spenden IS-Mitgliedern zugutekommen sollten.

dd) Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl und die Ermittlungsberichte des Bundeskriminalamtes sowie des Bayerischen Landeskriminalamtes Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der geschilderte Sachverhalt im Haftbefehl zutreffend dahin gewürdigt, dass sich der Beschuldigte als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligte (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB).

Ob der Beschuldigte durch Annahme der 2.500 US-Dollar auch der Terrorismusfinanzierung nach § 89c Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB (vgl. zu den Voraussetzungen etwa BGH, Beschluss vom 7. März 2019 - AK 5/19, juris Rn. 34 ff.) dringend verdächtig ist, kann dahinstehen; denn der im Haftbefehl erhobene Vorwurf trägt bereits für sich betrachtet die Fortdauer der Untersuchungshaft.

Deutsches Strafrecht ist nach §§ 3, 7 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB anwendbar. Eine Ermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB liegt vor.

2. Es besteht weiterhin aus den im Haftbefehl dargelegten Erwägungen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. etwa BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 f.) - derjenige der Schwerkriminalität. Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Im Falle einer Verurteilung hat er mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Der Beschuldigte steht ausweislich mehrerer Chatprotokolle und überwachter Telefonate mit zahlreichen im Irak aufhältigen Personen in Kontakt. Seine Absicht, dorthin zurückzukehren, äußerte er diesen gegenüber auch in dem bereits zuvor genannten Gruppentelefonat. Die Übermittlung von 2.500 US-Dollar belegt zudem, dass er auf ein Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen kann, die seine Flucht finanziell unterstützen könnten. Für eine Fluchtgefahr spricht schließlich, dass der Beschuldigte vor seiner Verhaftung bereits Vorkehrungen für eine Ausreise traf. Wie sich aus einem Chatprotokoll vom 27. Januar 2024 ergibt, bemühte er sich bei einem in der Türkei lebenden Iraker um die Beschaffung eines gefälschten Ausweises und erwog eine Ausreise nach Großbritannien.

Gewichtige fluchthemmende Umstände sind hingegen nicht ersichtlich. Der Beschuldigte besitzt schon keinen gültigen Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik. Denn mit inzwischen unanfechtbarem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 5. Dezember 2023 wurde die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt. Es bestehen ferner keine tragfähigen sozialen oder familiären Bindungen im Inland. Zwar hat der Beschuldigte eine Lebensgefährtin, bei der er bis zu seiner Verhaftung auch wohnte. Indes leben seine beiden Ehefrauen und sechs Kinder sowie alle weiteren Familienangehörigen des Beschuldigten nach wie vor im Irak.

Unter den gegebenen Umständen ist der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreichbar.

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang und die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen haben eine Anklageerhebung noch nicht zugelassen. Es sind insbesondere bereits zahlreiche Zeugen - häufig unter Hinzuziehung eines Dolmetschers - vernommen worden, sowie weitere Zeugen aus dem gesamten Bundesgebiet noch zu vernehmen. Des Weiteren sind in großem Umfang etwa arabischsprachige Gespräche, Dokumente sowie nahezu 3.000 Chats zu übersetzen und auszuwerten. Die Übersetzung der vorgenannten Gespräche und Chatprotokolle ist weit vorangeschritten.

Das Ermittlungsverfahren ist demgemäß durchgehend mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 29. Oktober 2024 Bezug genommen.

4. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 51

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede