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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 210

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 179/24, Beschluss v. 23.10.2024, HRRS 2025 Nr. 210


BGH 2 ARs 179/24 (2 AR 110/24) - Beschluss vom 23. Oktober 2024 (LG Würzburg - AG Mosbach)

BGHSt; Zuständigkeitsbestimmung (Neufestsetzung der Gesamtstrafe bei Erlass noch nicht vollstreckter Strafe; Gericht des ersten Rechtszugs; Strafvollstreckungskammer; Konsumcannabisgesetz).

Art. 313 Abs. 3 EGStGB; Art. 313 Abs. 4 EGStGB; Art. 316p EGStGB; § 463 Abs. 1 StPO, § 462a Abs. 1 StPO; § 78a Abs. 1 Satz 2 GVG

Leitsätze

1. Zuständig für die Entscheidungen nach Art. 316p in Verbindung mit Art. 313 EGStGB ist nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern stets das Gericht des ersten Rechtszugs. (BGHSt)

2. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist in den Fällen des Art. 313 Abs. 3 EGStGB entsprechend anzuwenden. (BGHSt)

3. Liegen bei einem Sachverhalt, der seit dem 1. April 2024 geltenden Rechtslage eine Strafbarkeit nach dem Konsumcannabisgesetz begründen würde, die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung der Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB nicht vor, scheidet auch eine Analogie mangels planwidriger Regelungslücke aus. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, solche Sachverhalte, die - sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen - weiterhin auch nach dem Konsumcannabisgesetz unter Strafe stehen, von der Privilegierung auszunehmen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Mosbach vom 26. April 2024 wird aufgehoben.

2. Für die Entscheidung über den Antrag auf Neufestsetzung der Einzelstrafe wegen Hausfriedensbruchs und der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 24. April 2017 ist das Amtsgericht Mosbach zuständig.

Gründe

Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Würzburg und das Amtsgericht Mosbach streiten darüber, welches von ihnen für die Entscheidung über den Antrag auf Neufestsetzung einer Einzelund einer Gesamtstrafe gemäß Art. 316p EGStGB in Verbindung mit Art. 313 Abs. 3 Satz 2 und entsprechend Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB zuständig ist.

I.

1. Das Amtsgericht Mosbach hat den Verurteilten mit Urteil vom 24. April 2017 - 4 Ds 13 Js 8068/16 - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, unter Einbeziehung einer Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Buchen vom 29. Juni 2016 - 1 Ls 13 Js 5205/14 - rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Soweit hier von Bedeutung liegen der Verurteilung folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:

Nachdem der Verurteilte bereits am 3. November 2016 eine Ecstasytablette mit sich geführt hatte (Fall II.1 der Urteilsgründe), erschien er am 15. November 2016 im Dienstgebäude des Polizeireviers Mosbach und verblieb dort auch nach Ausspruch eines Platzverweises. Dabei führte er 22,75 Gramm Haschisch mit sich (Fall II.2 der Urteilsgründe).

Den Sachverhalt zu Fall II.2 der Urteilsgründe hat das Amtsgericht als Hausfriedensbruch in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln gewürdigt und eine Einzelstrafe von einem Jahr für tat- und schuldangemessen erachtet.

2. Nachdem das Landgericht Karlsruhe - Auswärtige Strafvollstreckungskammer Pforzheim - nach Teilvollstreckung die aus dem oben genannten Urteil verbliebene Restfreiheitsstrafe mit Beschluss vom 24. Oktober 2018 zunächst zur Bewährung ausgesetzt, die Strafaussetzung zur Bewährung sodann jedoch mit rechtskräftigem Beschluss vom 25. November 2021 widerrufen hatte, verbleibt eine zu vollstreckende Restfreiheitsstrafe von 150 Tagen.

3. In anderer Sache wurde gegen den Verurteilten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, die in der im Landgerichtsbezirk Würzburg gelegenen Rupert-Mayer-Klinik für Forensische Psychiatrie in Lohr am Main vollzogen wurde. Aufgrund der seit dem 20. Juni 2023 andauernden Flucht des Verurteilten steht eine Entscheidung über die Fortdauer des Maßregelvollzugs (§ 67e StGB) derzeit noch aus.

4. Die Staatsanwaltschaft Mosbach hat aufgrund des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (BGBl. I Nr. 109) bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg beantragt, im Fall II.2 der Urteilsgründe des Urteils des Amtsgerichts Mosbach eine neue Einzelstrafe von neun Monaten Freiheitsstrafe für den Hausfriedensbruch sowie eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von wiederum zwei Jahren festzusetzen.

Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Würzburg hat das Verfahren mit Beschluss vom 17. April 2024 an das Amtsgericht Mosbach verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Art. 313 Abs. 5 EGStGB verweise nicht auf § 462a StPO, so dass eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht gegeben sei. Das Amtsgericht Mosbach hat sich wiederum mit Beschluss vom 26. April 2024 für sachlich unzuständig erklärt und ausgeführt, dass die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nach § 462a StPO der „erstinstanzlichen Zuständigkeit“ auch in den Verfahren nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 5 EGStGB vorgehe. Zugleich hat es die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberstes Gericht des Amtsgerichts Mosbach (Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe) und des Landgerichts Würzburg (Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits in Anwendung der §§ 14, 19 StPO berufen.

2. Zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Neufestsetzung der Einzelstrafe wegen Hausfriedensbruchs und der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 24. April 2017 ist das Amtsgericht Mosbach als Gericht des ersten Rechtszugs; eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern (§ 462a Abs. 1 StPO; § 78a GVG) ist nicht begründet.

a) Der Zuständigkeit des Amtsgerichts Mosbach steht nicht entgegen, dass vorab ein drittes Gericht zu einer Entscheidung nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB berufen wäre.

Zwar enthält das in das Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 24. April 2017 einbezogene Urteil des Amtsgerichts Buchen vom 29. Juni 2016 - 1 Ls 13 Js 5205/14 - seinerseits eine Strafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln. Sollte eine Neufestsetzung nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB notwendig sein, würde dies zunächst ein Tätigwerden des Amtsgerichts Buchen erfordern.

Voraussetzung hierfür wäre nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB allerdings die Straflosigkeit des der einbezogenen Strafe zugrundeliegenden Lebenssachverhalts nach neuem Recht (vgl. bereits LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 - 20 StVK 228/24, Rn. 16 ff. mit zustimmender Anmerkung Hillenbrand, StRR 2024, 31; AG Köln, Beschluss vom 16. Mai 2024 - 583 Ds 135/22, Rn. 8; a.A. ohne Begründung Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 1. August 2024 - 1 Ws 123/24, Rn. 13). Der Verurteilung durch das Amtsgericht Buchen lag jedoch eine jeweils hälftig zum Verkauf und Eigenkonsum gedachte Gesamtmenge von 173,55 Gramm Marihuana mit insgesamt 29 Gramm THC zugrunde, was nach der seit dem 1. April 2024 geltenden Rechtslage gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b), Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG eine Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Besitz von Cannabis begründen würde, so dass die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung der Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB nicht vorliegen. Eine Analogie scheidet mangels planwidriger Regelungslücke aus. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, solche Sachverhalte, die - sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen - weiterhin auch nach dem Konsumcannabisgesetz unter Strafe stehen, von der Privilegierung auszunehmen (vgl. so bereits LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 - 20 StVK 228/24, Rn. 18 ff. mit Anmerkung Seel, StV 2024, 603).

b) Die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung der mit Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 24. April 2017 verhängten Einzelstrafe wegen Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und der ausgeurteilten Gesamtfreiheitsstrafe liegen vor, Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 Satz 2 und entsprechend Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB.

aa) Gemäß Art. 316p EGStGB ist Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden, wenn (u.a.) eine vor dem 1. April 2024 nach dem Betäubungsmittelgesetz „verhängte Strafe“ (gemeint: ausgeurteilter Lebenssachverhalt) nicht mehr strafbar und auch nicht mehr mit Geldbuße bedroht ist.

Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB bestimmt, dass, wenn der Täter wegen einer Handlung verurteilt worden ist, die eine nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat, das Gericht „die auf die andere Gesetzesverletzung entfallende Strafe“ neu festsetzt, wenn die Strafe der Strafvorschrift entnommen worden ist, die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr unter Strafe stellt oder mit Geldbuße bedroht.

bb) Hiervon ausgehend liegen die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung der Einzelstrafe für den Hausfriedensbruch im Fall II.2 der Urteilsgründe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 24. April 2017 vor.

Der Besitz von 22,75 Gramm Haschisch ist ausweislich des § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG nicht länger sanktionsbewehrt. Der Verurteilung vom 24. April 2017 liegen mithin im Fall II.2 der Urteilsgründe eine nach neuem Recht auf den ausgeurteilten Sachverhalt nicht mehr anwendbare und zugleich eine andere Strafvorschrift (§ 123 StGB) zugrunde. Die Einzelstrafe wurde § 29 Abs. 1 BtMG und damit der Strafvorschrift entnommen, die den ausgeurteilten Sachverhalt nicht mehr unter Strafe stellt, so dass die auf die andere Gesetzesverletzung - hier den Hausfriedensbruch - entfallende Strafe neu festzusetzen ist.

cc) Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen zur Neufestsetzung der Gesamtstrafe in entsprechender Anwendung von Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB vor.

Die Vorschrift des Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB setzt voraus, dass eine Gesamtstrafe eine Einzelstrafe im Sinne des Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB enthält, mithin eine solche, die unter den dort genannten Voraussetzungen vollständig zu erlassen ist. Den hier gegebenen Fall der Neufestsetzung einer in einer Gesamtstrafe enthaltenen Einzelstrafe nach Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB bildet sie nach ihrem Wortlaut nicht ab. Insoweit kann indes nichts Abweichendes gelten. Der Sinn und Zweck der Neufestsetzung der Gesamtstrafe nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB liegt darin, dass die Höhe der gebildeten Gesamtstrafe maßgeblich von einer entfallenden Einzelstrafe beeinflusst sein kann. Dieser Gedanke trifft auf eine Neufestsetzung einer einzubeziehenden Einzelstrafe gleichermaßen zu. Wird diese nunmehr unter Zugrundelegung eines milderen Strafrahmens neu festgesetzt, kann sie im Einzelfall erheblich nach unten abweichen, was wiederum einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesamtstrafe haben kann.

Die aufgezeigte planwidrige Regelungslücke bei vergleichbaren Sachverhalten erfordert daher eine - zu Gunsten des Verurteilten wirkende - entsprechende Anwendung des Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB (vgl. auch LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 - 20 StVK 228/24 mit Anmerkung Seel, StV 2024, 603).

c) Zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Neufestsetzung der Einzelstrafe für den Hausfriedensbruch und der Gesamtstrafe gemäß Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 Satz 2 und entsprechend Art. 313 Abs. 4 EGStGB ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

aa) Art. 316p EGStGB enthält keine ausdrückliche Regelung dazu, welches Gericht für die Neufestsetzung der betroffenen Strafen zuständig ist. Der nach dieser Vorschrift sinngemäß anzuwendende Art. 313 EGStGB überträgt die Entscheidungszuständigkeit in Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB auf „das Gericht“. Eine Unterscheidung im Sinne der Zuständigkeiten des § 462a StPO kennt die Vorschrift nicht; ob daher das erkennende Gericht oder bei einschlägigen Sachverhaltskonstellationen auch die Strafvollstreckungskammer gemeint ist, lässt sich dem Gesetz nicht ausdrücklich entnehmen. Lediglich Art. 313 Abs. 5 EGStGB erklärt, dass „bei Zweifeln“ für die richterlichen Entscheidungen nach den Absätzen 3 und 4 die §§ 458, 462 StPO Geltung beanspruchen.

bb) Ausgehend hiervon haben sich zur Frage der Zuständigkeit für die Entscheidung nach Art. 316p, 313 EGStGB in der bisherigen Rechtsprechung zwei Rechtsauffassungen gebildet, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe (§ 462a Abs. 1 StPO) oder eine Maßregel (§ 463 Abs. 1, § 462a Abs. 1 StPO) vollstreckt wird.

(1) Die überwiegende und in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang einheitliche Ansicht sieht - in Abgrenzung zu den Strafvollstreckungskammern - die Zuständigkeit des „Gerichts des ersten Rechtszugs“ bzw. „des Tatgerichts“ oder „des erkennenden Gerichts“ begründet (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 21. Mai 2024 - 2 Ws 54/24 [„Gericht des ersten Rechtszugs“]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2024 - 4 Ws 167/24 [„erkennendes Gericht“]; OLG Dresden, Beschluss vom 7. Juni 2024 - 2 Ws 95/24 [„Gericht des ersten Rechtszugs“]; Thüringer OLG, Beschlüsse vom 17. Juni 2024 - 1 Ws 190/24, und vom 25. Juni 2024 - 1 Ws 204/24 [„erkennendes Gericht“]; OLG Köln, Beschluss vom 18. Juni 2024 - 2 Ws 319/24 [„Gericht des ersten Rechtszugs“]; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Juni 2024 - Ws 420/24 [„erkennendes Gericht“]; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 1. August 2024 - 1 Ws 123/24 [„Tatgericht“ bzw. „erkennendes Gericht, welches die Ausgangsstrafe festgesetzt hat“]; OLG München, Beschluss vom 6. August 2024 - 2 Ws 521/24 [„erkennendes Gericht“]; Saarländisches OLG, Beschluss vom 8. August 2024 - 1 Ws 101/24, Rn. 11 und 17 [ohne konkrete Bezeichnung], jeweils mwN; vgl. auch LG Aachen, Beschluss vom 29. April 2024 - 69 KLs 17/19 („erkennendes Gericht“ bzw. „erstinstanzliches Gericht“).

(2) Dem steht die Auffassung gegenüber, dass in den genannten Konstellationen die Strafvollstreckungskammern zur Entscheidung berufen seien (vgl. LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 - 10 StVK 189/24; LG Kleve, Beschluss vom 6. Mai 2024 - 181 StVK 74/24; LG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 - 20 StVK 228/24; wohl auch AG Köln, Beschluss vom 16. Mai 2024 - 583 Ds 135/22). Begründet wird dies insbesondere damit, dass die Vorschrift des § 462a StPO von der Verweisung in Art. 313 Abs. 5 EGStGB mitumfasst werde.

cc) Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Zuständig für die Entscheidung über die Neufestsetzung der (Gesamt-)Strafen nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB ist das Gericht des ersten Rechtszugs. Dies ergibt sich bereits aus der grundlegenden Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung zwischen den erkennenden Gerichten und den Strafvollstreckungskammern, wonach die Festsetzung der tat- und schuldangemessenen Strafe den Tatgerichten obliegt, was sich in der gesetzlich geregelten Zuständigkeitsordnung widerspiegelt (hierzu (1)). Abweichendes lässt sich den Regelungen der Art. 316p, Art. 313 EGStGB nicht entnehmen; vielmehr fügen sich diese nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte in dieses Regelungsgefüge ein (hierzu (2)). Hieraus folgt zugleich, dass stets die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs begründet ist (hierzu (3)).

(1) Bereits aus der Kompetenz- und Aufgabenverteilung zwischen den erkennenden Gerichten und den Strafvollstreckungskammern folgt für die Entscheidungen nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts. Es handelt sich um der Freiheitsentziehung vorgelagerte Entscheidungen, nämlich um solche der Strafzumessung. Dieser Zuständigkeitsbereich obliegt typischerweise dem erkennenden Gericht; die Festsetzung der tat- und schuldangemessenen Strafe und der damit einhergehende Wertungsakt ist (grundsätzlich) Sache des Tatgerichts (st. Rspr.; vgl. statt vieler BGH, Urteil vom 14. März 2018 - 2 StR 416/18, NStZ 2019, 138, 139, Rn. 12). Sie bildet die Grundlage der Strafvollstreckung. Demgegenüber verfolgt die Einrichtung der Strafvollstreckungskammern zum 1. Januar 1975 (vgl. Art. 21 Nr. 132 und Art. 22 Nr. 6 iVm Art. 326 Abs. 1 EGStGB 1974, BGBl. I, S. 469) den Zweck, die während einer freiheitsentziehenden Maßnahme notwendig werdenden Entscheidungen im Interesse der Gleichbehandlung aller Insassen und der großen Sachkunde und Erfahrung der Richter möglichst ortsnah bei einem Spruchkörper zu konzentrieren (BT-Drucks. 7/550, S. 312; vgl. MüKoStPO/Schuster, GVG § 78a Rn. 1) und die Einheitlichkeit des auf die Resozialisierung des Täters gerichteten Handelns zu gewährleisten (BT-Drucks. 7/550 S. 312).

Diese Zuständigkeitsabgrenzung findet Ausdruck in den in § 78a Abs. 1 Satz 2 GVG enumarativ und abschließend (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 2 ARs 426/16, Rn. 31) geregelten Zuständigkeiten der Strafvollstreckungskammern. Hiernach sind diese zuständig für Entscheidungen nach den §§ 462a, 463 StPO, soweit sich aus der Strafprozessordnung nicht etwas Anderes ergibt, sowie für - die Vollstreckung betreffende - Entscheidungen nach dem Strafvollzugsgesetz und dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Zuständigkeiten für der Strafvollstreckung vorgelagerte Entscheidungen - wie hier der Neufestsetzung einer Strafe - sind diesen Regelungen fremd. Insbesondere erfassen die - hier allein in Betracht kommenden - §§ 462a, 463 StPO Entscheidungen nach Art. 316p, Art. 313 EGStGB nicht.

Nach § 462a Abs. 1 StPO ist die Strafvollstreckungskammer für die nach den §§ 453, 454, 454a, 462 (in Verbindung mit § 450a Abs. 3 Satz 1 und §§ 458 bis 461) StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig. Entscheidungen auf Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB sind nicht aufgeführt; sie lassen sich auch nicht unter die benannten Zuständigkeiten subsumieren. Insbesondere handelt es sich nicht um Entscheidungen im Sinne der §§ 458, 462 StPO; die Neufestsetzung der Strafe(n) unterscheidet sich maßgeblich von einer Entscheidung nach § 458 StPO. Zwar können nach dieser Vorschrift Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung erhoben werden. § 458 StPO gilt aber nicht bei Einwendungen gegen den Bestand oder die Richtigkeit der zu vollstreckenden Entscheidung (vgl. KK-StPO/Appl, 9. Aufl., § 458 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 458 Rn. 9). Bei Entscheidungen nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB kommt es indes zu einer Durchbrechung der Rechtskraft und einer wertenden Neufestsetzung der zu vollstreckenden Strafe. Es handelt sich mithin um originäre Entscheidungen, die den eigentlich rechtskräftigen Strafanspruch des Staates der Höhe nach abändern.

Ungeachtet dessen ist die aufgezeigte Zuständigkeitsabgrenzung der von § 78a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GVG in Bezug genommenen Vorschrift des § 462a StPO nicht fremd, wie dessen Absatz 3 belegt. Hiernach liegt die Zuständigkeit für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 462a Abs. 3 Satz 1 StPO) grundsätzlich (vgl. zu einer Sonderkonstellation § 462a Abs. 5 Satz 2 StPO) - auch wenn ein Gericht des höheren Rechtszugs entschieden hat (§ 462a Abs. 3 Satz 3 StPO) - bei dem Gericht des ersten Rechtszugs und geht einer solchen der Strafvollstreckungskammern nach § 462a Abs. 1 StPO vor (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 1976 - 2 ARs 158/76; MüKoStPO/Nestler, 2. Aufl., § 462a Rn. 36). Auch hierbei handelt es sich um einen wertenden Akt der Straffestsetzung, der dem Zuständigkeitsbereich der Strafvollstreckungskammern entzogen ist.

(2) Schließlich fügt sich die Regelung des Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 EGStGB in dieses Zuständigkeitsregime ein.

(a) Bereits der Wortlaut des Art. 313 Abs. 3 EGStGB spricht in einer Gesamtschau für die Annahme, dass das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer für die Neufestsetzung der Strafe zuständig ist (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2024 - 4 Ws 167/24, Rn. 13).

Zwar lässt sich dem Wortlaut in Satz 2 kein ausdrücklicher Hinweis darauf entnehmen, welcher Spruchkörper zur Entscheidung berufen ist, benennt er doch lediglich „das Gericht“; er ist insoweit offen. Der Vorschrift des Art. 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB, die eine gleichlaufende Zuständigkeit im Vergleich zu Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB enthält, lässt jedoch erkennen, dass in den dort geregelten Sachverhaltskonstellationen eine angemessene Ermäßigung der ursprünglich ausgeurteilten Strafe erfolgt, wenn anzunehmen ist, dass „das Gericht wegen der Verletzung der gemilderten Strafvorschrift auf eine höhere Strafe erkannt hat“. Der Gesetzgeber verwendet hier zweifach die Formulierung „das Gericht“, einerseits für die Zuständigkeit nach Art. 313 Abs. 3 StGB, andererseits mit Bezug zur ursprünglichen Strafe. Durch die identische Formulierung und die Herstellung dieses direkten Bezugs ist bereits im Wortlaut der Norm angelegt, dass das nach Art. 313 Abs. 3 EGStGB zuständige das erkennende Gericht ist.

(b) Daneben streiten gesetzeshistorische Gesichtspunkte und damit zusammenhängende gesetzessystematische Erwägungen für die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts (vgl. bereits OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2024 - 4 Ws 167/24, Rn. 14 ff.). Zwar sind die Gesetzesmaterialien zu Art. 316p EGStGB unergiebig und lassen nicht erkennen, in welchem Spruchkörper „das Gericht“ im Sinne des Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB zu sehen sein soll (vgl. u.a. BR-Drucks. 367/23, S. 178 f; BT-Drucks. 20/8704, S. 155; BT-Drucks. 20/20/10426; BT-Drucks. 20/8763, S. 13). Indes belegen die Entstehungsgeschichte des Art. 313 EGStGB und damit einhergehende gesetzessystematische Gründe, dass nach dem gesetzgeberischen Willen das erkennende Gericht zur Neufestsetzung der Strafen berufen ist.

So wurde Art. 313 EGStGB mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzesbuch vom 2. März 1974 geschaffen (BGBl. I, S. 469, 642) und blieb seit seinem Inkrafttreten im April 1974 unverändert. Zu diesem Zeitpunkt existierte das heutige Zuständigkeitsregime des § 462a StPO noch nicht; § 462a StPO in den Fassungen bis zum 31. Dezember 1974 enthielt eine Regelung zur Strafgewalt der Amtsgerichte. Erst mit (demselben) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 wurden die Strafvollstreckungskammern - und zwar zum 1. Januar 1975 (BGBl. I 1974, S. 469, 648) - gesetzlich eingeführt.

Gleichwohl lassen sich hieraus Erkenntnisse gewinnen, die die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts begründen.

(aa) Art. 313 EGStGB ist Art. 97 des 1. Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969 (1. StrRG; BGBl. I, S. 645, 679) nachgebildet (BT-Drucks. 7/550, S. 464 noch zu Art. 290 E-EGStGB). Art. 97 Abs. 2 des 1. StrRG erklärte die Vorschrift des § 8 des Gesetzes über die Straffreiheit vom 9. Juli 1968 (Straffreiheitsgesetz 1968; BGBl. I, S. 773, 774) für sinngemäß anwendbar. Dort wiederum fanden sich Regelungen zum Verfahren bei Zweifeln über den Eintritt und den Umfang der Straffreiheit. Über diese Frage hatte nach dessen Absatz 1 „das Gericht“ zu entscheiden und Absatz 3 erklärte für das Verfahren (u.a.) die Vorschriften der §§ 458, 462, 462a StPO a.F. für anwendbar. Zum Regelungszeitpunkt des Art. 97 des 1. StrRG im Jahr 1969 existierten die Strafvollstreckungskammern noch nicht; vielmehr erklärte die Vorschrift des § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO in den Fassungen bis zum 31. Dezember 1974 für die bei der Strafvollstreckung notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen das Gericht des ersten Rechtszugs für zuständig. Demnach nahm Art. 97 des 1. StrRG in Verbindung mit § 8 des Straffreiheitsgesetzes 1968 das Gericht des ersten Rechtszugs als zuständiges Gericht in Bezug. Diese Zuständigkeit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers auch für Art. 313 EGStGB gelten. Denn nach den Gesetzesmaterialien soll die Vorschrift (u.a.) derjenigen des Art. 97 des 1. StrRG entsprechen (BT-Drucks. 7/550, S. 464 noch zu Art. 290 E-EGStGB).

(bb) Überdies hat der Gesetzgeber bei Einrichtung der Strafvollstreckungskammern keine Veranlassung gesehen, deren Zuständigkeit für Entscheidungen nach Art. 313 EGStGB ausdrücklich zu regeln. Dies hätte aber nahegelegen, wäre der Gesetzgeber nicht ohnehin von einer Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs ausgegangen. Denn während Art. 313 EGStGB bereits einen Monat nach der Gesetzesverkündung (vgl. Art. 326 Abs. 3 EGStGB; BGBl. I 1974, S. 469, 648) im April 1974 in Kraft trat, traten die Regelungen zur Einführung der Strafvollstreckungskammern erst zum 1. Januar 1975 in Kraft. Dass der Gesetzgeber ohne ausdrückliche Klarstellung zwei unterschiedliche Zuständigkeiten - einerseits bis zum 31. Dezember 1974, andererseits ab dem 1. Januar 1975 - schaffen wollte, ist auszuschließen. Vielmehr wäre bereits zu diesem Zeitpunkt eine explizite Regelung in Abkehr der bis dahin geltenden Zuständigkeiten zu erwarten gewesen.

(3) Nach alledem ist das für die Neufestsetzung der (Gesamt-)Strafen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB zuständige erkennende Gericht stets das Gericht des ersten Rechtszugs; dies gilt auch dann, wenn ein Gericht eines höheren Rechtszugs die betroffene Strafe festgesetzt hat (vgl. § 462a Abs. 3 Satz 1 und 3 StPO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. August 1997 - 2 ARs 330/97, Rn. 2; KK-StPO/Appl, 9. Aufl., § 462a Rn. 31; MüKoStPO/Nestler, 1. Aufl., § 462a Rn. 31). Die im historischen Kontext in Bezug genommenen Vorschriften kannten stets allein die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 210

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede