HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 659
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 77/24, Beschluss v. 13.03.2024, HRRS 2024 Nr. 659
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21. August 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechtes rügt.
1. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf. Die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 StGB) hält auf der Grundlage der insoweit unzureichenden Feststellungen mit der hierfür gegebenen Begründung rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin kam es in der seit Mai 2022 zunächst harmonisch verlaufenden Beziehung verstärkt zu Streitigkeiten. Am Nachmittag des 27. Dezember 2022 beendete die Nebenklägerin die Beziehung. Der Angeklagte erfuhr am selben Tag zufällig, dass die Nebenklägerin etwa zwei bis drei Jahre zuvor eine Beziehung zu einem anderen Mann geführt hatte, und vermutete daraufhin, dass - den Tatsachen zuwider - der Grund für die Trennung ein fortbestehendes Interesse der Nebenklägerin an dem anderen Mann sei. Nachdem der Angeklagte der Nebenklägerin in der Nacht zum 28. Dezember 2022 mehrere Sprachnachrichten sandte, in denen er seine Wut und seine Eifersucht verbalisierte, keimte in ihm das Bedürfnis auf, die Nebenklägerin für ihr aus seiner Sicht bestehendes Fehlverhalten abzustrafen.
In Umsetzung dieses Tatplanes begab er sich gegen 02.30 Uhr zur Wohnung der Nebenklägerin. Er führte ein Springmesser mit sich, das in seiner Kleidung versteckt war. Der Angeklagte klopfte an Tür und Fenster der Wohnung und erreichte, dass die Nebenklägerin ihm die Tür öffnete. Das Gespräch, das zunächst ruhig verlief, mündete sodann in einen Streit. Die Nebenklägerin forderte den Angeklagten auf, zu gehen, und versuchte, die Tür zu schließen. Der Angeklagte empfand „Wut“ und entschloss sich nunmehr, die Nebenklägerin zu töten. Er drückte von außen gegen die Tür, zog das mitgeführte Messer und fügte der Nebenklägerin in gezielter Tötungsabsicht zwei Schnittverletzungen im Halsbereich zu. Neben einer oberflächlichen Schnittverletzung erlitt die Nebenklägerin eine mindestens 1 bis 1,5 cm tiefe und mehrere cm lange Schnittverletzung im Bereich des vorderen Halses, welche unmittelbar massiv blutete. In der Annahme, die Nebenklägerin entsprechend seinem Vorhaben tödlich verletzt zu haben, verließ der Angeklagte die Tatörtlichkeit umgehend. „Unterdessen“ hatte die Nebenklägerin die Tür geschlossen. Die nicht konkret lebensgefährlichen Verletzungen sind folgenlos ausgeheilt.
b) Diese Feststellungen reichen nicht aus, um einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Tötungsverbrechens auszuschließen.
aa) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 24 StGB kommt es zunächst darauf an, ob ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorliegt. Maßgebend dafür ist die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung („Rücktrittshorizont“). Hält er zu diesem Zeitpunkt den Tod des Opfers schon auf Grund seines bisherigen Handelns für möglich oder macht er sich zu diesem Zeitpunkt über die Folgen seines Tuns keine Gedanken, so ist der Versuch beendet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. Januar 2024 - 4 StR 289/23, juris Rn. 16 f. mwN); der Täter erlangt daher Straffreiheit nur durch erfolgreiches (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB) oder freiwilliges und ernsthaftes Rettungsbemühen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).
bb) Das Landgericht hat einen beendeten Versuch deshalb bejaht, weil der Angeklagte „nach der Ausführung des tiefen Schnittes einhergehend mit der von ihm wahrgenommenen starken Blutung“ davon ausgegangen sei, die Nebenklägerin tödlich verletzt und den Erfolgseintritt damit zumindest für möglich gehalten zu haben. Eine derartige Vorstellung des Angeklagten ist aber nicht rechtsfehlerfrei belegt.
(1) Die Sachverhaltsschilderung des Urteils ergibt dazu nichts; sie beschränkt sich - abgesehen von der einwandfreien Feststellung des Tötungsvorsatzes - im Wesentlichen auf die Darstellung des äußeren Geschehensablaufs, ohne konkrete Angaben über die für die Rücktrittsfrage entscheidenden Vorstellungen des Angeklagten zu machen. Da die Sachverhaltsschilderung keine konkretisierten Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten enthält, bleibt unklar, ob der Angeklagte glaubte, mit den Messerstichen alles zur Tötung der Nebenklägerin Erforderliche getan zu haben. Die dafür vom Landgericht herangezogene abstrakte Gefährlichkeit der Verletzungen lässt das weitere Handeln der Nebenklägerin unberücksichtigt, die „unterdessen“ die Tür schloss, während der Angeklagte wegging.
(2) Die beweiswürdigenden Erwägungen belegen ebenfalls nicht hinreichend ein entsprechendes Vorstellungsbild des Angeklagten. Der Angeklagte hat zwar den äußeren Ablauf des Tatgeschehens eingeräumt, sich indes unter anderem eingelassen, dass er weggegangen sei, nachdem er sie „erstochen“ habe; die „Nebenklägerin habe die Tür zugemacht. Er habe nicht geglaubt, dass sie so schwer verletzt gewesen sei, dass sie sterben könne“.
Das Landgericht hat hingegen ausgeführt, die getroffenen Feststellungen belegten, dass sich der Angeklagte „nach der Ausführung der Schnitte keine weiteren Gedanken über den Ausgang des Geschehens machte, sondern den Tatort verließ, ohne nach der Nebenklägerin zu sehen oder sich sonst über ihren Zustand zu vergewissern“. Es seien auch keine Umstände ersichtlich, „auf welche der Angeklagte die Erwartung hätte stützen können, die Nebenklägerin werde die am Hals beigebrachte tiefe und stark blutende Schnittverletzung überleben“.
Diese Erwägungen können die aufgezeigte Feststellungslücke schon deshalb nicht schließen, weil das Landgericht dabei nicht alle Umstände berücksichtigt hat, die gegen die Annahme sprechen könnten, dass der Angeklagte den Tod des Opfers als Folge der beiden Stiche für möglich gehalten hat. Dazu gehört maßgeblich, dass die Nebenklägerin „unterdessen“ die Wohnungseingangstür schloss, während der Angeklagte wegging, was er - nach seiner insoweit nicht widerlegten Einlassung - mitbekommen hat. Dass sich der Angeklagte außerstande gesehen hat, das begonnene Tötungsverbrechen zu vollenden, ist nicht festgestellt.
Um im Einzelnen zu beurteilen, ob es sich um einen beendeten oder unbeendeten oder möglicherweise um einen fehlgeschlagenen Versuch gehandelt hat, bedürfte es der Feststellung der hierfür wesentlichen näheren Umstände (örtliche Verhältnisse, Entfernungen usw.). Daran fehlt es.
2. Nach alledem hat die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes keinen Bestand. Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) und der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung der tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung nach sich (§ 353 Abs. 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 659
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede