HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 773
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 576/24, Urteil v. 23.04.2025, HRRS 2025 Nr. 773
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 10. April 2024 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) in den Fällen A II. 2 a) bis c) der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch;
b) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 4.100 Euro.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Computerbetruges in neun Fällen sowie wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 14.047,94 Euro angeordnet. Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rüge beanstandet die Staatsanwaltschaft die Strafzumessung im ersten Tatkomplex sowie die Nichtverurteilung des Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßiger Begehung im zweiten Tatkomplex. Das vom Generalbundesanwalt nur hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes vertretene Rechtsmittel erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet.
1. Nach den Feststellungen erhielt der Angeklagte von seinem Bekannten H. am 23. März 2023 die EC-Karte nebst zugehöriger PIN-Nummer des Zeugen B. Wie H. in den Besitz der EC-Karte gelangt war, konnte nicht festgestellt werden. Beide vereinbarten, mit der Karte Einkäufe zu tätigen und die durch den Weiterverkauf erzielten Gewinne hälftig zu teilen.
Nach einem Testkauf in einem Kiosk erwarb der Angeklagte am Nachmittag des 23. März 2023 in vier verschiedenen Geschäften unter Einsatz der Karte Parfüm, Handys und zwei Playstations. Am Nachmittag des 24. März 2023 setzte der Angeklagte die Karte in fünf verschiedenen Elektromärkten zum Einkauf weiterer Playstations ein. Insgesamt kaufte der Angeklagte Waren im Wert von 9.959,44 Euro (richtig: 9.947,94 Euro), die er unmittelbar im Anschluss an von ihm organisierte Abnehmer veräußerte (erster Tatkomplex).
Am 8. Mai 2023 beauftragte der gesondert verfolgte S. den Angeklagten, EC-Karten mit dazugehöriger PIN-Nummer von älteren Personen abzuholen und sich zu diesem Zweck als Bankmitarbeiter auszugeben. Den Betroffenen wurde zuvor von einer dem Angeklagten jeweils nicht bekannten Person telefonisch vorgetäuscht, dass der kurzfristige Austausch der Karten aus Sicherheitsgründen erforderlich sei. Die so erlangten Karten sollte der Angeklagte anschließend einsetzen, um Bargeld abzuheben und Überweisungen zu tätigen, wobei ihm eine Gewinnbeteiligung von 25 % zugesichert wurde. Zur weiteren Tatausführung erhielt der Angeklagte von dem gesondert verfolgten S. ein Mobiltelefon, auf dem lediglich entweder der Messengerdienst Telegram oder Signal installiert war. Über dieses Mobiltelefon wurde der Angeklagte fortan von einer unbekannten dritten Person kontaktiert und erhielt konkrete Anweisungen. Noch am Morgen des 9. Mai 2023 wies S. den Angeklagten über ein weiteres Mobiltelefon per WhatsApp an, „sich etwas Ordentliches anzuziehen“.
Am 9. und 10. Mai 2023 suchte der Angeklagte unter dem Vorwand, ein Sparkassen- bzw. Bankmitarbeiter zu sein, drei Damen im Alter zwischen 87 und 98 Jahren auf und holte deren EC-Karten nebst zugehöriger PIN ab. Jeweils direkt im Anschluss hob er Barbeträge in Höhe von insgesamt 4.000 Euro ab, die er für sich behielt, und tätigte Überweisungen auf ein belgisches Konto. Zudem nutzte er die Karten zur Begleichung einer Friseurrechnung über 100 Euro. Von den Überweisungen auf das belgische Konto wurden einige nicht ausgeführt bzw. konnten zurückgebucht werden. Letztlich entstand durch die Überweisungen ein Schaden von 9.700 Euro (zweiter Tatkomplex).
2. Das Landgericht hat den Angeklagten im ersten Tatkomplex wegen neunfachen Computerbetruges verurteilt. Die Strafe hat es dem § 263a Abs. 1 StGB entnommen. Trotz festgestellten gewerbsmäßigen Handelns hat es nach einer Gesamtwürdigung von einer Anwendung des Regelstrafrahmens des § 263a Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 StGB abgesehen.
Im zweiten Tatkomplex hat es den Angeklagten wegen dreifachen Betruges verurteilt und der Strafzumessung den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 StGB zugrunde gelegt. Von einer auch bandenmäßigen, den Strafrahmen des Qualifikationstatbestandes des § 263 Abs. 5 StGB eröffnenden Tatbegehung hat es sich nicht zu überzeugen vermocht.
Die Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich im Anfechtungsumfang nur teilweise als erfolgreich.
1. Das Rechtsmittel ist ‒ was die Verurteilung wegen Computerbetruges in neun Fällen betrifft ‒ auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin die Sachrüge ausdrücklich ohne Einschränkungen erhoben und beantragt, „das angefochtene Urteil […] im Tat- und Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen“ und damit dem Wortlaut nach insgesamt aufzuheben. Hinsichtlich des Angriffsziels ist aber der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich, ausweislich derer die Staatsanwaltschaft betreffend die Verurteilung wegen neunfachen Computerbetruges die Nichtannahme des Regelbeispiels nach § 263a Abs. 2 StGB i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB beanstandet, bei dem es sich um eine Strafzumessungsregel handelt. Demgegenüber betrifft die beanstandete Nichtverurteilung des Angeklagten wegen des Qualifikationstatbestands des § 263 Abs. 5 StGB in den drei Betrugsfällen den Schuldspruch.
Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV ist das Revisionsvorbringen dahin zu verstehen, dass die Staatsanwaltschaft weder den Schuldspruch im ersten Tatkomplex noch die im Übrigen erfolgten Teilfreisprüche angreifen will.
2. Die Verurteilung des Angeklagten im zweiten Tatkomplex hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, soweit das Landgericht eine Bandenmitgliedschaft des Angeklagten verneint hat.
a) Zunächst zutreffend ist die Strafkammer von einem gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten ausgegangen.
Für ein bandenmäßiges Handeln hat sie hingegen keine ausreichenden Feststellungen zu treffen vermocht, insbesondere sei ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen nicht gegeben. Dies deshalb, weil der gesondert verfolgte S. nicht zwingend als weiteres Bandenmitglied in Betracht komme. S. sei nicht nachweisbar organisatorisch und auf Dauer in die Bandenstruktur eingebunden gewesen. Die einmalige Vermittlung des Kommunikationsmittels und die einmalige Instruktion des Angeklagten durch ihn reiche nicht aus.
Bei demjenigen, der über die Messenger-Dienste Telegram oder Signal mit dem Angeklagten kommunizierte, bei denjenigen, die die Telefonate mit den Geschädigten führten, und bei dem Inhaber des belgischen Kontos könne es sich immer um ein und dieselbe Person gehandelt haben. Zwar würden solche Taten häufig von gut organisierten, internationalen Tätergruppen verübt, jedoch habe sich dieser „Modus Operandi“ in weiten Kreisen herumgesprochen, weshalb es auch möglich sei, dass sich weniger organisierte Täter dieses Modells bedienten.
b) Diese Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
aa) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist grundsätzlich darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit setzt aber auch objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung daher, wenn die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen sich so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie nur noch einen Verdacht zu begründen vermögen. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht alle festgestellten Tatumstände und Beweisergebnisse, soweit sie für oder gegen den Angeklagten sprechen können oder beide Möglichkeiten zulassen, einer umfassenden und erschöpfenden Würdigung unterzogen hat (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2024 ‒ 4 StR 138/22, NJW 2024, 2856, 2857 Rn. 13, und vom 19. November 2024 ‒ 2 StR 414/23 Rn. 13 jeweils mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung im zweiten Tatkomplex nicht gerecht. Sie erweist sich als lückenhaft.
Bereits die Annahme, der gesondert verfolgte S. sei nicht zwingend Mitglied der Bande gewesen, weil er allenfalls die erste Betrugstat durch Übergabe des Mobiltelefons und seine Hinweise für eine erfolgreiche Tatausführung gefördert habe, darüber hinaus aber nicht in die weitere Ausführung eingebunden gewesen sei, beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Nach Einlassung des Angeklagten wurden sämtliche Abreden zwischen ihm und S., nicht aber mit möglicherweise in der Türkei aufhältlichen Dritten als Mittäter getroffen.
Vor diesem Hintergrund berücksichtigt die Strafkammer nicht ausreichend, dass S. den Angeklagten kontaktierte, als Abholer für eine unbestimmte Anzahl künftiger Taten anwarb, ihm seine Aufgaben erklärte und ihm eine Gewinnbeteiligung von 25 % zusicherte. Das übergebene konspirative Mobiltelefon war ebenfalls auf eine dauerhafte Nutzung ausgelegt, was S. bekannt war.
Bei dem Deliktsphänomen „falsche Bankmitarbeiter“ handelt es sich regelmäßig um international ‒ vor allem aus der Türkei ‒ agierende Banden mit einer gefestigten Struktur und Aufgabenverteilung. Warum im vorliegenden Fall ‒ entgegen jeglicher kriminalistischen Erfahrung ‒ hinter den professionell angelegten Betrügereien ein Einzeltäter stecken soll, erschließt sich nicht. Allein der Hinweis der Strafkammer auf den Inhalt nicht näher dargelegter Chat-Protokolle aus der WhatsApp-Gruppe „E.“ genügt als erforderliche Begründung nicht. Dies zumal der Angeklagte in seiner Einlassung selbst davon spricht, „die Auftraggeber“ seien skrupelloser geworden und „die“ hätten über den Messenger-Dienst auch die Geschädigten beleidigt. Zudem hatte der Angeklagte auch Detailkenntnisse zum Agieren der Hintermänner, wenn er sich einlässt, „die Geschädigten seien am Telefon so bearbeitet worden, dass sie keine Angst gehabt hätten.“
3. Die Aufhebung des Urteils in den Fällen des Betruges bedingt die Aufhebung auch des Gesamtstrafenausspruchs und entzieht der Einziehungsentscheidung in Höhe von 4.100 Euro die Grundlage.
4. Die weitergehende Revision hat keinen Erfolg. Die Strafzumessungserwägungen für die Fälle des Computerbetruges im ersten Tatkomplex sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Strafkammer hat zunächst zutreffend ein gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten gemäß § 263a Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB festgestellt, dann aber in einer Gesamtschau die Regelwirkung des besonders schweren Falles verneint. Dies vor allem deshalb, weil der Angeklagte geständig, einsichtig und nicht vorbestraft war und weil er Aufklärungshilfe leistete, insbesondere gleich zu Beginn der Hauptverhandlung seinen bis dahin unbekannten Mittäter H. benannte. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
Die im Anfechtungsumfang nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils führt zu keinem Erfolg zugunsten des Angeklagten.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 773
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede