HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1303
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 50/24, Beschluss v. 06.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1303
1. Auf die Revision des Angeklagten R. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 30. Juni 2023
a) soweit es den Angeklagten R. betrifft,
aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser wegen Anstiftung zum Einschleusen von Ausländern in zwei tateinheitlichen Fällen, wegen Anstiftung zum versuchten Einschleusen von Ausländern und wegen Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern schuldig ist,
bb) im Einzelstrafausspruch in den Fällen 2 und 20 der Anklageschrift und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben,
b) soweit es den Nichtrevidenten D. betrifft,
aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass dieser im Fall 20 der Anklageschrift des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit Anstiftung zur Falschbeurkundung im Amt und mit Bestechung schuldig ist,
bb) im Einzelstrafausspruch im Fall 20 der Anklageschrift sowie im Ausspruch über die verhängte Gesamtstrafe in Höhe von zwei Jahren und sieben Monaten aufgehoben und
c) soweit es die Nichtrevidentin H. betrifft,
aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass diese im Fall 20 der Anklageschrift des versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit Falschbeurkundung im Amt und mit Bestechlichkeit schuldig ist,
bb) im Einzelstrafausspruch im Fall 20 der Anklageschrift und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zum Einschleusen von Ausländern in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; insoweit ist es - in tenoriertem Umfang - gemäß § 357 StPO auf die Nichtrevidenten zu erstrecken. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Mitangeklagte H., die beim Ausländeramt der Stadt K. arbeitete und dort unter anderem befugt war, Reiseausweise und Fiktionsbescheinigungen für Ausländer auszustellen, der Mitangeklagte D. und der gesondert Verfolgte A., der „im Ausland“ Reisebüros betrieb und zu einem Schleusernetz gehörte, schlossen sich im Jahr 2022 zusammen, um gegen Entgelt syrischen Staatsangehörigen die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland unter Verwendung gefälschter Reisedokumente zu ermöglichen. Ihr Ziel war es, sich durch die Organisation und Durchführung von Schleusungen eine Einnahmequelle von nicht unerheblichem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen.
Im Januar 2022 bestärkte der Angeklagte den D. in dessen Entschluss, eine Tante des Angeklagten unerlaubt in das Bundesgebiet zu schleusen (Fall 2 der Anklageschrift).
Im Mai 2022 planten D., H. und A. im Auftrag des Angeklagten gegen Entgelt die Einschleusung der Mutter des Angeklagten Al. von der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Al. sollte unter Verwendung eines von H. erstellten Reiseausweises für Ausländer, der mit den Personalien der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Mutter des D. und einem Passbild der Al. versehen war, mit dem Flugzeug von I. nach B. und von dort weiter in das Bundesgebiet reisen. Zu einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland kam es nicht, weil türkische Polizeibeamte die Mutter des Angeklagten in I. festnahmen (Fall 20 der Anklageschrift).
Auf Veranlassung des Angeklagten schleusten D., H. und A. im Juli 2022 die Schwester (Fall 24 der Anklageschrift) und die Mutter (Fall 25 der Anklageschrift) des Angeklagten unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zu diesem Zweck statteten sie die Frauen mit von H. hergestellten Reiseausweisen für Ausländer aus. Am 11. Juli 2022 reisten beide unter Verwendung dieser Reisedokumente von I. nach K. Nach ihrer Ankunft stellten die Frauen, die von dem Angeklagten in Empfang genommen wurden, Asylanträge.
Das Landgericht hat die Fälle 20 und 25 der Anklageschrift als eine Tat bewertet, weil sie jeweils die Einschleusung der Mutter des Angeklagten betrafen. Dagegen hat es die Einschleusung der Schwester im Juli 2022 als selbständige Tat beurteilt. Im Fall 2 der Anklageschrift hat es den Angeklagten wegen Beihilfe zum Einschleusen von Ausländern verurteilt und eine Einzelstrafe von drei Monaten verhängt. In den Urteilsgründen hat es ausgeführt, es habe „bei Bestimmung der Einzelstrafe […] versehentlich nicht bedacht, dass eine kurze Freiheitsstrafe unter sechs Monaten“ nur unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB verhängt werde. Diese Voraussetzungen lägen „hier nicht vor, insbesondere da es sich insoweit um die erste strafrechtliche Verurteilung des nicht vorbestraften Angeklagten“ handele. In diesem Fall habe es - so das Landgericht - „richtigerweise auf eine Geldstrafe erkennen müssen und - wäre dies nicht übersehen worden - auch erkannt; eine solche wäre in Höhe von 90 Tagessätzen“ zu 10 Euro „tat- und schuldangemessen gewesen“.
2. Dies hält in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Fälle 20, 24 und 25 der Anklageschrift ist durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Ob die Taten mehrerer Beteiligter tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, ist für jeden Beteiligten gesondert zu entscheiden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. September 2018 - 2 StR 31/18, juris Rn. 29, und vom 30. September 2021 - 2 StR 171/21, StV 2022, 387, 388). In der gescheiterten Einschleusung der Mutter des Angeklagten im Mai 2022 (Fall 20 der Anklageschrift) liegt für die Haupttäter der fehlgeschlagene Versuch der gewerbs- und bandenmäßigen Schleusung von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung vom 20. Oktober 2015, § 96 Abs. 3 AufenthG und § 97 Abs. 2 AufenthG in der Fassung vom 30. Juli 2004 (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2022 - 3 StR 238/22, NStZ 2024, 47, 48). In der mit der Einreise am 11. Juli 2022 durchgeführten Einschleusung der Mutter und der Schwester des Angeklagten (Fälle 24 und 25 der Anklageschrift) liegt dagegen für die Haupttäter eine weitere, auf einem neuen Tatentschluss beruhende vollendete Tat in zwei tateinheitlichen Fällen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91, 94). Nach dem Fehlschlag des Versuchs der Einschleusung der Mutter des Angeklagten im Mai 2022 verbanden weder die „Aufrechterhaltung“ des Auftrags noch die „Fortdauer der Motivlage“ die Fälle 20 und 25 der Anklageschrift zu einer Tat. Zu den Haupttaten im Mai 2022 und Juli 2022 hat der Angeklagte die Haupttäter jeweils durch entsprechende, gesonderte Auftragserteilung angestiftet (vgl. BGH, Urteile vom 8. Januar 1985 - 1 StR 686/84, NJW 1985, 924, und vom 7. Februar 2017 - 1 StR 231/16, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 4 Anstiftung 1 Rn. 24), ohne gewerbsmäßig oder als Bandenmitglied gehandelt zu haben.
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der umfassend geständige Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der für die Tat im Mai 2022 (Fall 20 der Anklageschrift) verhängten Einzelstrafe, weil der Angeklagte insoweit durch die fehlerhafte konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts beschwert ist.
b) Die Strafzumessung im Fall 2 der Anklageschrift hat ebenfalls keinen Bestand. Die verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten ist aufzuheben, weil das Landgericht § 47 Abs. 1 StGB nicht in den Blick genommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 - 4 StR 54/18, juris Rn. 10 f.). Die in den Urteilsgründen mitgeteilte Erwägung, richtigerweise wäre auf eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu 10 Euro zu erkennen gewesen, wenn die Strafkammer § 47 Abs. 1 StGB bedacht hätte, ist unbeachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 StR 174/19, BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 23). Sie ersetzt die Einzelfreiheitsstrafe nicht durch eine Geldstrafe, sondern bestätigt lediglich, dass das Urteil auf der Verkennung des § 47 Abs. 1 StGB beruht.
c) Der Wegfall der Einzelstrafen zieht den Wegfall der Gesamtstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie von den Rechtsfehlern nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).
3. Gemäß § 357 StPO ist die Schuldspruchänderung im Fall 20 der Anklageschrift wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich auf die nicht revidierenden Mitangeklagten D. und H. zu erstrecken, weil das Landgericht aufgrund der fehlerhaften konkurrenzrechtlichen Bewertung auch bei diesen rechtsfehlerhaft von einer vollendeten Tat ausgegangen ist. Soweit es den Nichtrevidenten D. betrifft, war der Schuldspruch zudem auch dahingehend klarzustellen, dass dieser auf Grundlage der Feststellungen nicht nur wegen bandenmäßigen, sondern wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern schuldig ist. Dass die Aufhebung des Strafausspruchs wegen einer Änderung der Konkurrenzverhältnisse zugleich den Schuldspruch verschlechtert, steht einer Erstreckung nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2004 - 2 StR 423/03, juris Rn. 13; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 357 Rn. 6). Die Schuldspruchänderung zieht jeweils die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall 20 der Anklageschrift sowie den Ausspruch über die Gesamtstrafe nach sich. Die gegen den Nichtrevidenten D. für die Fälle 26/27, 29, 31/32, 36 der Anklageschrift gebildete Gesamtstrafe in Höhe von zwei Jahren und zwei Monaten bleibt von dem Rechtsfehler unberührt, so dass lediglich die Gesamtstrafe in Höhe von zwei Jahren und sieben Monaten in Wegfall gerät. Der Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht, da diese nicht von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht mit den bisherigen in Widerspruch stehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1303
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede