HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1316
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 248/24, Beschluss v. 18.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1316
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 22. Februar 2024 wird
a) die Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe auf eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monate herabgesetzt,
b) das vorbezeichnete Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe und die Kosten des Rechtsmittels nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang durch Urteil vom 29. Oktober 2021 des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und (mit) Vergewaltigung schuldig gesprochen, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt (Einzelfreiheitsstrafen von fünf Jahren und zehn Monaten und von sechs Jahren und drei Monaten) und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Senat hat das Urteil auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 20. Juli 2023 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten wiederum des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung und der Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung sowie mit Vergewaltigung schuldig gesprochen. Es hat gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verhängt (Einzelfreiheitsstrafen von sechs Jahren und sechs Monaten und von sechs Jahren), von der wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung drei Monate als vollstreckt gelten. Eine Maßregel hat die Strafkammer nicht angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts und auf eine Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte eine Verletzung der §§ 52, 252 StPO beanstandet, ist unzulässig.
Die Voraussetzungen eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO werden durch die Revision nicht mit Bestimmtheit behauptet. Die Revisionsbegründung stützt den Verfahrensmangel auf den Vortrag, das Landgericht habe festgestellt, der Angeklagte und die Zeugin hätten im Jahr 2009, beide im Alter von 15 Jahren, nach islamischem Recht in Somalia die Ehe geschlossen. Das somalische Gesetz Nr. 23 vom 11. Januar 1975 (Familiengesetz Somalia) mit seiner Bestimmung eines höheren Ehemindestalters werde in Somalia möglicherweise nicht flächendeckend angewendet.
Das genügt den Anforderungen an die Angabe der den Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Um den Senat in den Stand zu setzen, die internationalprivatrechtliche Anerkennung der nach religiösen Riten geschlossenen („Imam“-)Ehe zwischen dem Angeklagten und der Zeugin zu prüfen, wäre insbesondere die Angabe erforderlich gewesen, an welchem Ort und Tag die Ehe geschlossen wurde. Der Senat bemerkt, dass die Urteilsgründe Anlass geben zu bezweifeln, dass es sich um einen Ort in Somalia und nicht in Saudi-Arabien handelte.
Die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat zum Schuldspruch, zum Einzelstrafausspruch im Fall II.3. der Urteilsgründe und zum Kompensationsausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Die Zumessung der Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe hält der revisionsrechtlichen Überprüfung dagegen nicht stand.
1. Das Landgericht hat für diese Tat eine höhere Einzelstrafe als im ersten Rechtsgang verhängt und damit gegen das Verbot der Schlechterstellung aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO verstoßen. Dieses Verbot schließt nicht nur die Erhöhung der Gesamtstrafe aus, sondern steht auch einer Verschärfung von Einzelstrafen entgegen (BGH, Urteil vom 3. März 1959 - 5 StR 4/59, BGHSt 13, 41, 42; Beschlüsse vom 4. Februar 1999 - 4 StR 13/99, zit. bei Kusch, NStZ-RR 2000, 39 f.; vom 9. März 2021 - 6 StR 48/21, NStZ-RR 2021, 220, und vom 24. Oktober 2023 - 2 StR 321/23, wistra 2024, 208 Rn. 5). Das gilt selbst dann, wenn die nunmehr ausgeurteilte Gesamtstrafe, wie hier, niedriger ausgefallen ist (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1551a); denn bei der Verhängung von Einzelstrafen handelt es sich um selbständige, der Rechtskraft fähige tatrichterliche Entscheidungen (BGH, Urteil vom 21. Mai 1951 - 3 StR 224/51, BGHSt 1, 252, 254).
2. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht, hätte es das Verbot der Schlechterstellung bedacht, im Fall II.2. der Urteilsgründe zu einer noch niedrigeren Einzelfreiheitsstrafe als im ersten Rechtsgang gelangt wäre. Er erkennt entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf die im ersten Rechtsgang verhängte Einzelstrafe.
Die Aufhebung der bisherigen Einsatzstrafe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei Erhöhung der nunmehr höchsten Einzelstrafe von sechs Jahren aus Fall II.3. der Urteilsgründe gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB zu einer niedrigeren Gesamtfreiheitsstrafe als acht Jahren gelangt wäre. Er macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 und 2 StPO Gebrauch.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1316
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede