HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 647
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 20/24, Beschluss v. 14.03.2024, HRRS 2024 Nr. 647
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 6. September 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Neben- und Adhäsionskläger entstandenen Kosten und Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer früheren dreimonatigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es das Tatmesser eingezogen und den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Neben- und Adhäsionskläger verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 in einer Bar in K. auf. Im Verlaufe des Abends kam es wegen Schulden eines Freundes des Angeklagten aus einem Drogenkauf zunächst zu einem verbalen Streit mit dem später Geschädigten C. Als dieser gegen 3.48 Uhr mit einem Bekannten die Herrentoilette aufsuchte, folgte ihm der Angeklagte um 3.52 Uhr. In der Hand hielt er ein aufgeklapptes Messer, das er dem Nebenkläger in drohender Haltung präsentierte. Da dieser darauf nicht reagierte, steckte der Angeklagte das Messer in die Gesäßtasche seiner Hose. Nunmehr ging der deutlich größere und muskulösere Nebenkläger, der sich bedroht fühlte, auf den Angeklagten los und schlug auf ihn ein. Daraufhin zog dieser das Messer wieder aus der Tasche und machte in Richtung seines Kontrahenten Schnittbewegungen, dessen Verletzung billigend in Kauf nehmend. Dadurch erlitt der Geschädigte insgesamt neun Schnittwunden im Bereich der Brust, des linken Oberarms und der Wange. Der Geschädigte seinerseits schlug den Angeklagten zu Boden, der sich jedoch aufrappeln konnte und aus der Toilette heraus durch das Lokal hinaus ins Freie flüchtete. Verfolgt von dem blutenden Geschädigten und nicht identifizierbaren Gästen erhielt der Angeklagte im Freien mehrere Schläge - auch mit einer Bierflasche - gegen den Kopf, was zu zahlreichen blutenden Wunden führte.
Ein herbeigerufener Rettungswagen verbrachte den mittlerweile kollabierten Geschädigten in die Uniklinik, wo er notoperiert und nach fünf Tagen entlassen wurde. Eine dem Angeklagten um 5.12 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Alkoholkonzentration von 1,61 ‰.
2. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten rechtlich als eine nicht durch Notwehr gerechtfertigte gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewürdigt. Zwar habe ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff des Geschädigten C. vorgelegen. Jedoch habe der Angeklagte den Angriff durch das vorherige Vorhalten des Messers sozialethisch zurechenbar provoziert, weshalb sein Notwehrrecht eingeschränkt gewesen sei. Er hätte vorrangig fliehen oder ausweichen müssen, erst bei Fehlschlagen oder Aussichtslosigkeit und Ausschöpfen aller Möglichkeiten der Schutzwehr hätte er Trutzwehr mittels einer gefährlichen Waffe üben dürfen. So hätte der Angeklagte vor dem Angriff des Nebenklägers fliehen können, da er erst nach diesem die Herrentoilette betreten hatte und deshalb zwangsläufig näher an deren Ausgang gestanden habe. Im Übrigen sei das Lokal voll mit Menschen gewesen, die er um Hilfe hätte bitten können. Zu einer Gegenwehr mittels Waffe sei er nicht berechtigt gewesen.
Der Ausschluss eines Notwehrrechts für den Angeklagten wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Zwar geht die Kammer - was eine mögliche Einschränkung des Notwehrrechts anbelangt - von einem rechtlich zutreffenden Maßstab aus. Ob eine solche Einschränkung im konkreten Fall geboten war, lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht in einer für den Senat nachprüfbaren Weise entnehmen.
1. Dass dem Angeklagten eine Flucht möglich gewesen wäre, ist nicht belegt. Allein der Umstand, dass er die Herrentoilette nach dem Nebenkläger betreten hat, rechtfertigt angesichts des nachfolgenden dynamischen Geschehens nicht die Schlussfolgerung, er müsse zwangsläufig näher am Ausgang gestanden haben. Im Übrigen ist es auch denkbar, dass andere - reguläre - Toilettenbenutzer einen möglichen Fluchtweg behindert oder verstellt haben könnten. Zur Nachvollziehbarkeit einer existierenden Fluchtmöglichkeit wäre es notwendig gewesen, die Anordnung der Räumlichkeiten und die Position der Beteiligten zur Tatzeit im Urteil darzustellen.
2. Soweit das Landgericht davon ausgeht, der Angeklagte hätte in dem gut besuchten Lokal um Hilfe nachsuchen können, verfängt auch dies nicht. So fehlen bereits konkrete Ausführungen, wie schnell durch wen welche Hilfe hätte geholt werden können. Angesichts des überraschenden massiven Angriffs durch den Nebenkläger bleibt offen, ob die zeitliche Komponente ein solches Hilfeersuchen überhaupt ermöglicht hätte. Zudem liegt es angesichts der Größe und Statur des Nebenklägers sowie dessen gezeigter Gewaltbereitschaft nicht unbedingt nahe, dass angesprochene Gäste unter Inkaufnahme eigener Risiken bereit und auch in der Lage gewesen wären, dessen Angriff auf den Angeklagten abzuwehren. Im Gegenteil haben sogar nicht identifizierte Besucher des Lokals zusammen mit dem Nebenkläger den fliehenden Angeklagten verfolgt und zusammengeschlagen.
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, waren auch die Feststellungen insgesamt aufzuheben.
4. Die Aufhebung des Urteils erfasst auch den Adhäsionsausspruch, da der zuerkannte Anspruch in der Straftat gründet, auf die sich die Aufhebung bezieht (§ 353 Abs. 1 StPO; BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 5 StR 373/18, StV 2019, 437).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 647
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede