HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1447
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 147/24, Beschluss v. 02.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1447
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 1. Dezember 2023
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte betreffend Tatkomplex IV Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe des Herstellens kinderpornographischer Schriften (Fall 1) sowie des Herstellens jugendpornographischer Schriften in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (Fall 2) schuldig ist;
b) mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchtem schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern, (mit) sexuellem Missbrauch von Kindern und (mit) sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 126 Fällen, davon in 124 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, des Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte sowie der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Herstellen jugendpornografischer Schriften (Tatkomplex IV Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe), schuldig gesprochen. Es hat ihn deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Nachprüfung lediglich insoweit nicht stand, als das Landgericht den Angeklagten im Tatkomplex IV Fall 1 der Urteilsgründe auch wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen schuldig gesprochen hat. Denn hinsichtlich dieses Tatvorwurfs ist in diesem Fall Strafverfolgungsverjährung eingetreten, § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
Die Tat war am 24. September 2017 beendet (…). Die Verjährungsfrist für ein Vergehen nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB beträgt fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Der Lauf der Verjährungsfrist begann gemäß § 78a Satz 1 StGB mit Beendigung der Tat am 24. September 2017 und endete mit Ablauf des 23. September 2022. Zum Zeitpunkt der frühestmöglichen Unterbrechung der Verjährung durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Gera vom 19. Januar 2023 (SA Bd. I Bl. 41 ff.) war die Tat damit verjährt. Da das Verfahrenshindernis nur eine von zwei tateinheitlich (§ 52 StGB) begangenen Gesetzesverletzungen betrifft, scheiden eine Teilaufhebung des Urteils und Teileinstellung des Verfahrens aus; vielmehr ist der Schuldspruch entsprechend zu ändern (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12 -, juris Rn. 7).
Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Der Strafausspruch hat Bestand.
a) Soweit der Angeklagte im Tatkomplex III wegen des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Inhalte verurteilt ist, hat das Landgericht die Strafe § 184b Abs. 3 StGB in der zur Tatzeit (25. Januar 2023) geltenden Fassung entnommen. Zwar hat der Gesetzgeber den Strafrahmen durch Gesetz vom 24. Juni 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 213) mit Wirkung zum 28. Juni 2024 herabgesetzt, so dass das Revisionsgericht diese Fassung gemäß § 2 Abs. 3 StGB iVm § 354a StPO zur Anwendung zu bringen hat. Der Senat kann aber ausschließen, dass das Landgericht in Kenntnis des milderen Strafrahmens eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Es hat nämlich geprüft, ob die Tat unter Zugrundelegung eines - seinerzeit noch hypothetischen - milderen Strafrahmens anders als geschehen zu bestrafen wäre, und dies in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint.
b) Auch die zu Tatkomplex IV Fall 1 der Urteilsgründe festgesetzte Einzelstrafe hat trotz der Änderung des Schuldspruchs Bestand.
Zum einen hat das Landgericht die Strafe dem Strafrahmen des § 184b Abs. 1 StGB in der Tatzeitfassung (gültig ab 1. Juli 2017) entnommen, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht. Die nachfolgenden Strafrahmen - auch der des § 184b Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 24. Juni 2024 - sind durchgehend höher.
Zum anderen kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer bei Berücksichtigung der Verfolgungsverjährung der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen eine geringere Einzelstrafe für diese Tat verhängt hätte. Die strafschärfende Berücksichtigung verjährter Taten ist - wenn auch nicht in ihrer vollen Schwere - zulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. März 1994 - 4 StR 117/94, Rn. 7; vom 9. Mai 2023 - 4 StR 3/23, Rn. 4 mwN). Über das Zulässige gehen die Erwägungen der Strafkammer bei der Strafzumessung nicht hinaus.
3. Demgegenüber begegnet die Anordnung der Sicherungsverwahrung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ist die Strafkammer zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund ihrer Verurteilung die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vorliegen. Die von der Strafkammer vorgenommene Ermessensausübung genügt aber nicht den gesetzlichen Anforderungen. Dahinstehen kann deshalb, ob auch die Feststellungen eines Hangs des Angeklagten zu gefährlichen Taten und dessen Gefährlichkeit noch rechtsfehlerfrei begründet sind.
a) Liegen die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 66 Abs. 2 StGB oder § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vor, so steht, ebenso wie bei einer Anordnung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. April 2017 - 2 StR 466/16, NStZ-RR 2017, 307), die Entscheidung über den Maßregelausspruch im Ermessen des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 4 StR 75/22, NStZ-RR 2023, 42, 45 mwN). Dieses muss erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen eine Anordnung der Maßregel sprechen können. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692).
b) Ausgehend hiervon lassen die Urteilsgründe besorgen, dass sich die Strafkammer bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu sehr von der - vom Sachverständigen referierten - Einschätzung hat leiten lassen, dass derzeit kein extramuraler Rahmen die vom Angeklagten ausgehende Gefahr reduzieren könne.
Zwar hat sie die Wirkung eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 4 StR 75/22, NStZ-RR 2023, 42, 45 mwN) im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer weiter gesehen, dass ein Absehen von der Sicherungsverwahrung nur in Betracht kommt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann; nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2022 - 2 StR 511/21, Rn. 29 mwN).
Indes trägt die Erwägung der Strafkammer nicht, mit der sie derlei konkrete Anhaltspunkte verneint. Ihre Annahme, das Bedürfnis des Angeklagten, seinen heterosexuellen Sexualpräferenzen mit nicht autoerotischen sexuellen Handlungen nachzugehen, werde auch nach Haftentlassung groß sein, steht im Widerspruch dazu, dass die festgestellten Hands-on-Delikte des Angeklagten weit überwiegend acht und mehr Jahre zurückliegen, dass die zwei Taten aus 2015 und 2016 (Berühren von Brust und Vagina eines schlafenden Kindes; Berühren der bekleideten Brust) eine Progredienz nicht erkennen lassen und dass die aktuellste Tat (Tatkomplex III) aus Januar 2023 einen - wenn auch umfangreichen - Besitz kinder- und jugendpornographischer Inhalte betrifft. Zu einer ausdrücklichen Erörterung dieser Umstände hätte sich die Strafkammer auch insoweit veranlasst sehen müssen, als die Hang und Gefährlichkeit mitbegründende und gegen eine positive Wirkung eines Hafteindrucks sprechende dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausweislich der Urteilsgründe durchgehend, also auch in der Zeit ab 2016, bestand, in der der Angeklagte lediglich einmal - nach § 184b StGB nunmehr wegen eines Vergehens - in Erscheinung getreten ist.
4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Feststellungen zur Maßregelanordnung mit auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassend neue Prüfung zu ermöglichen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1447
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede