hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 150

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, StB 72/23, Beschluss v. 20.12.2023, HRRS 2024 Nr. 150


BGH StB 72/23 - Beschluss vom 20. Dezember 2023 (OLG Stuttgart)

Auslegung einer Erklärung (Wille des Erklärenden; Aufdrängung von Rechtsmitteln); Zuständigkeit für Antrag auf Pflichtverteidigerauswechselung nach Anklageerhebung.

§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO; § 143a Abs. 4 StPO; § 300 StPO; § 304 Abs. 5 StPO; § 311 StPO

Entscheidungstenor

Eine Beschwerdeentscheidung des Bundesgerichtshofs über den Antrag des Angeschuldigten vom 20. November 2023, Rechtsanwalt S. an Stelle von Rechtsanwalt St. beizuordnen, ist nicht veranlasst.

Die Sache wird zur Entscheidung über den vorgenannten Antrag an das Oberlandesgericht Stuttgart abgegeben.

Gründe

I.

Dem Angeschuldigten sind im Ermittlungsverfahren Rechtsanwalt St. und Rechtsanwältin Sch. als Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat durch Beschluss vom 9. November 2023 den Antrag des Angeschuldigten vom 24. Oktober 2023 abgelehnt, Rechtsanwalt St. zu entpflichten und an seiner Stelle Rechtsanwalt S. zu bestellen (1 BGs 1404/23). Zur Begründung hat er ausgeführt, dass es an der für eine konsensuale Umbeiordnung erforderlichen Zustimmung von Rechtsanwalt St. fehle und die Voraussetzungen eines Verteidigerwechsels gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO weder vorgetragen noch ersichtlich seien.

Mit Schriftsatz von Rechtsanwältin Sch. vom 20. November 2023 hat der Angeschuldigte erneut beantragt, die begehrte Pflichtverteidigerauswechselung vorzunehmen, da nunmehr Rechtsanwalt St. sein Einverständnis mit der einvernehmlichen Umbeiordnung gegenüber Rechtsanwältin Sch. erklärt habe und eine entsprechende Erklärung - wie inzwischen geschehen - gegenüber dem Bundesgerichtshof abgegeben werde. Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, dem Antrag nicht entgegenzutreten. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat daraufhin den vorgenannten Schriftsatz als „Beschwerde“ ausgelegt, dieser nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Eine Beschwerdeentscheidung des Bundesgerichtshofs ist nicht veranlasst, weil der Schriftsatz der Verteidigerin Rechtsanwältin Sch. vom 20. November 2023 keine sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2023 beinhaltet. Die Eingabe ist einer Auslegung in diesem Sinn nicht zugänglich. Sie stellt vielmehr einen erneuten Antrag des Angeschuldigten auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt St. und Bestellung von Rechtsanwalt S. als weiteren Pflichtverteidiger dar. Zur Entscheidung hierüber ist nach Erhebung der Anklage durch den Generalbundesanwalt das Oberlandesgericht Stuttgart berufen. Im Einzelnen:

1. Beim Verteidigerschriftsatz vom 20. November 2023 handelt es sich nicht um eine sofortige Beschwerde.

a) Zwar ist gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2023 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 5, § 311 Abs. 1 und 2 StPO statthaft. Auch ist es nach § 300 StPO unschädlich, wenn die Anfechtungserklärung das Rechtsmittel, mit dem der Erklärende gegen einen ablehnenden Beschluss vorgeht, nicht bezeichnet. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt jedoch voraus, dass tatsächlich die Überprüfung einer bestimmten gerichtlichen Entscheidung mit dem Ziel ihrer Aufhebung oder Änderung begehrt wird und dieser Anfechtungswille aus der abgegebenen Erklärung unmissverständlich hervorgeht. Der Wille des Erklärenden, gegen eine bestimmte Entscheidung ein zulässiges Rechtsmittel einzulegen, muss deutlich zu erkennen sein. Ihm darf ein - gegebenenfalls für ihn kostenpflichtiges (§ 473 Abs. 1 StPO) - Rechtsmittel nicht auf unsicherer Tatsachengrundlage aufgedrängt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2022 - StB 38/22, juris Rn. 6; KK-StPO/Paul, 9. Aufl., § 300 Rn. 2; LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 300 Rn. 4 ff., jeweils mwN).

b) Hier kommt in dem Schriftsatz der Verteidigerin vom 20. November 2023 kein Anfechtungswille zum Ausdruck. Dagegen spricht bereits der Wortlaut der Eingabe. So hat der Angeschuldigte beantragt, Rechtsanwalt S. an Stelle von Rechtsanwalt St. beizuordnen, ohne ein Rechtsmittel zu bezeichnen. Der Wille des Angeschuldigten, sofortige Beschwerde einzulegen, geht auch nicht aus der Antragsbegründung hervor. Vielmehr stützt er sein Begehren auf den neuen Umstand, wonach Rechtsanwalt St. nunmehr sein Einverständnis mit der begehrten Pflichtverteidigerauswechselung erklärt habe. Hingegen wendet sich der Angeschuldigte nicht gegen den Inhalt des Beschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2023. Diesem Auslegungsergebnis steht nicht entgegen, dass die Entscheidung über die Ablehnung der Umbeiordnung gemäß § 143a Abs. 4, § 311 Abs. 1 und 2 StPO nach Ablauf der Wochenfrist in Rechtskraft erwächst. Denn durch die nunmehr von Rechtsanwalt St. erklärte Einwilligung liegt eine wesentliche Veränderung der Sach- und Rechtslage vor, auf die ein neuerlicher Antrag gestützt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2021 - StB 17/21, BGHR StPO § 142 Abs. 7 sofortige Beschwerde 1 Rn. 7; BeckOK StPO/Krawczyk, 49. Ed., § 142 Rn. 48).

2. Nachdem der Generalbundesanwalt am 8. Dezember 2023 Anklage gegen den Angeschuldigten zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben hat, ist für die Entscheidung über die beantragte Pflichtverteidigerauswechselung der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats zuständig (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO). Die Sache ist daher an das Oberlandesgericht abzugeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 150

Bearbeiter: Fabian Afshar