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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 146

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, AK 97/23, Beschluss v. 11.01.2024, HRRS 2024 Nr. 146


BGH AK 97/23 - Beschluss vom 11. Januar 2024 (OLG Koblenz)

Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besondere Schwierigkeit und besonderer Umfang der Ermittlungen); mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Koblenz übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 21. März 2023 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. März 2023 (2 BGs 324/23).

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich zwischen dem 20. Mai 2015 und Juni 2015 in Al-Sawana (Syrien) durch vier selbständige Handlungen an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB), davon in jeweils einem Fall in Tateinheit mit - Mord (§ 211 StGB) und einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung sowie durch Vollstreckung einer Todesstrafe (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, 7 VStGB), - Mord, versuchtem Mord (§§ 211, 22, 23 StGB), einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung sowie einem versuchten Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, §§ 22, 23 StGB), - einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Geiselnahme (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 VStGB) und mit Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB).

Der Senat hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2023 (AK 56/23) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet, so dass mit der Beschlussfassung eine neue dreimonatige Überprüfungsfrist gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO in Gang gesetzt worden ist (vgl. MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl., § 122 Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 122 Rn. 23). Der Generalbundesanwalt hat wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden sowie weiterer Vorwürfe unter dem 2. Januar 2024 Anklage zum Oberlandesgericht Koblenz erhoben.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus liegen vor (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO).

1. Gegenstand der Haftprüfung ist allein der vollzogene Haftbefehl (vgl. näher BGH, Beschlüsse vom 9. März 2022 - AK 6/22, juris Rn. 5 mwN; vom 6. Dezember 2017 - AK 63/17, NStZ-RR 2018, 53, 54). Auf die dem Angeschuldigten in der Anklageschrift darüber hinaus angelasteten Vorwürfe, die gegenwärtig nicht Grundlage der Untersuchungshaft sind, kommt es nicht an.

2. Hinsichtlich des danach maßgeblichen dringenden Tatverdachts, der diesen belegenden Umstände und der rechtlichen Bewertung wird auf die fortgeltenden Ausführungen in dem Beschluss des Senats vom 5. Oktober 2023 Bezug genommen. Die seitdem angefallenen Ermittlungsergebnisse haben den dringenden Tatverdacht erhärtet und weiter konkretisiert. Beispielsweise haben mehrere Zeugen ausgesagt, dass sich der Angeschuldigte dem IS angeschlossen habe, und Angaben zu den übrigen Tatvorwürfen gemacht. Soweit einzelne Zeugen - etwa der am 20. Oktober 2023 vernommene Zeuge A. und der am 14. November 2023 vernommene Zeuge Al. - den Angeschuldigten eher entlastet haben, stellt dies angesichts der Anzahl und der Dichte der übrigen Aussagen den dringenden Tatverdacht nicht in Frage, sondern wird in einer etwaigen Hauptverhandlung näher zu bewerten sein.

Im Übrigen bedarf für die Anordnung der Haftfortdauer hier keiner Entscheidung, ob sich der Angeschuldigte über die im vorangegangenen Beschluss des Senats genannten Tatbestände hinaus wegen weiterer Delikte strafbar gemacht hat, wie diese gegebenenfalls konkurrenzrechtlich zu bewerten sind und ob im Sinne eines dringenden Verdachts von dem Tod des hinter einem Pickup hergeschleiften Opfers (unter III. 4. des Haftbefehls) auszugehen ist.

3. Die in dem früheren Beschluss näher dargelegten Haftgründe der Fluchtgefahr und subsidiär der Schwerkriminalität bestehen mit Blick auf die im Falle einer Verurteilung drohende lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe fort.

4. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen weiterhin die Haftfortdauer. Dies ergibt sich zunächst aus den bereits im Beschluss vom 5. Oktober 2023 dargelegten Erwägungen. Im Folgenden sind weitere Zeugen zu den nach dem Haftbefehl maßgeblichen Vorwürfen vernommen worden, allein drei davon im November 2023 in den Niederlanden. Zudem sind ausgehende Rechtshilfeersuchen erledigt worden, namentlich im Oktober und November 2023 durch die Vereinten Nationen, Schweden, Belgien, die Niederlande und die Türkei. Wegen Einzelheiten wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Dezember 2023 verwiesen. Dieser hat inzwischen zudem Anklage erhoben.

5. Der andauernde Vollzug der Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits unverändert nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 146

Bearbeiter: Fabian Afshar