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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 173

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 361/23, Beschluss v. 10.10.2023, HRRS 2024 Nr. 173


BGH 2 ARs 361/23 2 AR 128/23 - Beschluss vom 10. Oktober 2023

Zuständigkeitsbestimmung bei Zuständigkeitsstreit (Zuständigkeit des OLG oder des Obersten Landesgerichts: bereits vorangegangenes Beschwerdeverfahren, Nicht-Durchführung, Zweckmäßigkeitsüberlegungen, Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung; Bundeszentralregistergesetz: Beschwerde gegen die Anordnung der Nichtaufnahme; Akzessorietät des Eilverfahrens zum Hauptverfahren).

§ 19 StPO; § 25 EGGVG; § 39 BZRG

Entscheidungstenor

Zuständig für die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist das Oberlandesgericht Hamm.

Gründe

Es streiten das Oberlandesgericht Hamm und das Kammergericht über die örtliche Zuständigkeit in einer Justizverwaltungssache.

I.

1. Dem Verfahren liegt, soweit es für die örtliche Zuständigkeit von Bedeutung ist, folgender Verfahrensgang zu Grunde:

a) Der in der Schweiz wohnhafte Betroffene ist deutscher Staatsangehöriger. Zur Erlangung eines dauerhaften Aufenthaltstitels in der Schweiz benötigte er ein erweitertes Führungszeugnis. Da das auf seinen Antrag hin durch das Bundesamt für Justiz erteilte (erweiterte) Führungszeugnis eine Verurteilung enthielt, die der Erlangung des begehrten Aufenthaltstitels möglicherweise entgegengestanden hätte, beantragte der Betroffene in der Folge beim Bundesamt für Justiz die Anordnung, den zu seinen Lasten bestehenden Eintrag gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BZRG nicht in das Führungszeugnis aufzunehmen. Nachdem das Bundesamt für Justiz wegen der Notwendigkeit ergänzender Darlegungen seitens des Betroffenen von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen hatte, richtete dieser an das Oberlandesgericht Hamm den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung „vorläufig“ die Nichtaufnahme der Verurteilung in das erweiterte Führungszeugnis zu beschließen, hilfsweise das Bundesamt für Justiz zu einer entsprechenden Nichtaufnahme zu verpflichten.

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Februar 2023 hat der Betroffene den auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Antrag zurückgenommen und um Feststellung der Kostenfolge gebeten.

b) Bereits mit Beschluss vom 7. Februar 2023 hatte das Oberlandesgericht Hamm sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Kammergericht verwiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass für den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich das Gericht der Hauptsache örtlich zuständig sei. Da in der Hauptsache gegen eine - etwaige - ablehnende Entscheidung des Bundesamtes für Justiz nach der vorliegend in Betracht kommenden Vorschrift des § 39 Abs. 3 BZRG eine Beschwerdemöglichkeit zum Bundesministerium der Justiz mit Sitz in Berlin eröffnet wäre, sei dies vorliegend das Kammergericht.

c) Das Kammergericht hat sich mit Beschluss vom 7. Juli 2023 unter Ablehnung der Übernahme des Verfahrens für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit vorgelegt.

2. Der Generalbundesanwalt hat beantragt festzustellen, dass das Oberlandesgericht Hamm zuständig ist.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberstes Gericht gemäß §§ 14, 19 StPO zur Entscheidung des Kompetenzkonflikts berufen.

2. Zuständig für die Entscheidung über die Kosten des in der Zwischenzeit zurückgenommenen Eilantrags ist das Oberlandesgericht Hamm.

a) Dies folgt aus § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG in Verbindung mit § 25 Abs. 2 EGGVG. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG ist das Oberlandesgericht bzw. Oberste Landesgericht zuständig, in dessen Bezirk die Justiz- oder Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Justizbehörde ist vorliegend das Bundesamt für Justiz, das seinen Sitz in Bonn hat. Da das Land Nordrhein-Westfalen von der Ermächtigung zur Zuständigkeitskonzentration nach § 25 Abs. 2 EGGVG zugunsten des Oberlandesgerichts Hamm Gebrauch gemacht hat (Gesetz betreffend die Übertragung von Entscheidungen über Anträge nach §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und des Vollzugs auf das Oberlandesgericht Hamm vom 8. November 1960, GV. NRW, S. 352; nunmehr § 12 Nr. 1 JustG NRW) und da das Bundeszentralregisterwesen zu den Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege gehört (vgl. OLG Hamm, BeckRS 2020, 43294; KG, GA 1973, 180; KK-StPO/Mayer, 9. Aufl., EGGVG § 23 Rn. 65), ist dessen nach dortiger Geschäftsverteilung vorgesehener Strafsenat für den ursprünglich auf eine Entscheidung des Bundesamtes für Justiz gerichteten und nunmehr auf die Kostentragung beschränkten Antrag des Betroffenen örtlich zuständig.

b) Die örtliche Zuständigkeit des Kammergerichts wird auch nicht durch § 25 Abs. 1 Satz 2 EGGVG begründet, wonach abweichend von Satz 1 für den Fall, dass ein Beschwerdeverfahren (§ 24 Abs. 2 EGGVG) vorausgegangen ist, das Oberlandesgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Beschwerdebehörde ihren Sitz hat. Diese Ausnahmeregelung ist in der hier zu beurteilenden Konstellation nicht einschlägig. Denn ein Beschwerdeverfahren im Sinne von § 24 Abs. 2 EGGVG ist nicht vorausgegangen.

aa) Auf das Erfordernis eines bereits vorangegangenen Beschwerdeverfahrens kann zur Zuständigkeitsbegründung nach dieser Vorschrift nicht verzichtet werden. Zutreffend führt das Kammergericht aus, dass bereits der eindeutige Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 2 EGGVG („vorausgegangen ist“) keinen Raum für abweichende Deutungsmöglichkeiten lässt und es danach insbesondere ausgeschlossen ist, auf ein zukünftiges Beschwerdeverfahren abzustellen. Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit wird daher erst nach Durchführung eines Beschwerdeverfahrens herbeigeführt (vgl. Löwe/Rosenberg/Gerson, StPO, 27. Aufl., § 25 EGGVG Rn. 2; KK-StPO/Mayer, 9. Aufl., EGGVG § 25 Rn. 2; BeckOK GVG/Köhnlein, 20. Ed., EGGVG § 25 Rn. 2). Denn erst die Einlegung einer Beschwerde - hier nach § 39 Abs. 3 BZRG - führt im Falle der Nichtabhilfe durch die Registerbehörde zur Befassung des Bundesministeriums der Justiz mit dem Verfahren, wodurch der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zum Kammergericht, dem Oberlandesgericht am Sitz der dann zuständigen Behörde, gerechtfertigt wird. Wurde ein vom Gesetz vorgesehenes Beschwerde- bzw. Vorschaltverfahren dagegen nicht durchgeführt, streiten im Übrigen weder Zweckmäßigkeitsüberlegungen noch Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung dafür (zu den maßgeblichen Kriterien vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März 2009 ? 7 AV 1/09, juris Rn. 3), von dem in § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG niedergelegten Grundsatz abzuweichen.

bb) Auch die Annahme des Oberlandesgerichts Hamm, die bloße Möglichkeit einer Beschwerde nach § 39 Abs. 3 BZRG begründe bereits einen Zuständigkeitswechsel, erweist sich nicht als tragfähig.

(1) Der Betroffene hat sein Begehren im Wege des in den §§ 23 ff. EGGVG nicht ausdrücklich geregelten, gleichwohl aber anerkannten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Dezember 1995 - 1 VAs 137/95, juris Rn. 3; OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. November 2012 - 4a VAs 3/12, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Oktober 2014 - 2 VAs 10/14, juris Rn. 15; Löwe/ Rosenberg/Gerson, StPO, 27. Aufl., § 28 EGGVG Rn. 1 mwN; Meyer-Goßner/ Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 28 EGGVG Rn. 13; BeckOK GVG/Köhnlein, 20. Ed., EGGVG § 23 Rn. 72) vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt. Dieses war darauf gerichtet, die „Untätigkeit“ des Bundesamtes für Justiz einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, um aus seiner Sicht unzumutbare Nachteile zu vermeiden. Für die Annahme, dass gegen eine daraufhin ergehende, nicht im Sinne des Betroffenen ausfallende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, ein Beschwerdeverfahren eröffnet wäre, fehlt eine gesetzliche Grundlage. Bereits die Anerkennung eines Eilrechtsschutzes erfolgt ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung. Sie findet ihre rechtliche Verankerung allein in Art. 19 Abs. 4 GG, um Betroffene vor schweren und unzumutbaren sowie anders nicht abwendbaren und nicht mehr umkehrbaren Nachteilen zu schützen und ist demgemäß auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BVerfG, NJW 2000, 3126; NJW 2017, 1939). Da weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip einen Instanzenzug gewährleisten (vgl. BVerfGE 4, 74, 94 ff.; 8, 174, 181 f.), besteht aus Rechtsgründen und auch mit Blick auf die im Regelfall vorläufige Natur derartiger Entscheidungen, keine Notwendigkeit für die Einräumung eines Beschwerderechts.

(2) Schließlich vermag auch die von dem Oberlandesgericht Hamm bemühte Akzessorietät des Eilverfahrens zum Hauptverfahren eine örtliche Zuständigkeit des Kammergerichts nicht herbeizuführen. Die „Gefahr“ divergierender Entscheidungen im Eilrechtsverfahren einerseits und im Hauptsacheverfahren andererseits liegt begründet in dem Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes mit Blick auf den unterschiedlichen Prüfungsmaßstab und ist nach der gesetzlichen Konzeption, die unter anderem in § 945 ZPO ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 1993 - I ZR 70/91, NJW 1993, 2685; MüKo-ZPO/ Drescher, 6. Aufl., § 945 Rn. 14 ff.; Musielak/Voit/Huber, 20. Aufl., ZPO, § 945 Rn. 4, 5; Kopp/Schenke/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 123 Rn. 42 ff.; Schoch/ Schneider/Schoch, 44. EL, VwGO § 123 Rn. 59 ff.), stets hinzunehmen.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 173

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede