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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 775

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 159/23, Beschluss v. 25.04.2023, HRRS 2023 Nr. 775


BGH 2 ARs 159/23 2 AR 45/23 - Beschluss vom 25. April 2023

Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (Zuständigkeit eines der streitenden Gerichte); Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung (Zuständigkeit).

§ 14 StPO; § 462a StPO; § 463 StPO

Entscheidungstenor

Der Antrag des Landgerichts Köln auf Bestimmung des zur Entscheidung über den Widerruf der im Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Siegen vom 4. März 2022, Az. 445 Ls - 64 Js 1349/18 - 83/19, bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung berufenen Gerichts wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Köln und Arnsberg streiten über die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerruf der mit Gesamtstrafenbeschluss (§ 460 StPO) des Amtsgerichts Siegen vom 4. März 2022, Az. 445 Ls - 64 Js 1349/18 - 83/19, bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung.

I.

1. Nachdem sich der Verurteilte bis zum 28. Dezember 2017 zur Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 2. August 2010 in einer im Landgerichtsbezirk Arnsberg gelegenen Justizvollzugsanstalt befunden hatte, diese vollständig vollstreckt worden und kraft Gesetzes (noch nicht beendete) Führungsaufsicht eingetreten war (§ 68f Abs. 1 Satz 1 StGB), wurde er mit weiteren Urteilen des Amtsgerichts Siegen vom 11. Dezember 2018, Az. 401 Ds 1185/18, in Gestalt des Urteils des Landgerichts Siegen vom 27. Februar 2019, Az. 11 Ns 64 Js 1075/18-8/19, und vom 30. Juni 2020, Az. 445 Ls 64 Js 1349/18-83/19, jeweils zu Freiheitsstrafen verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die vorgenannten Freiheitsstrafen wurden mit Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 4. März 2022 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeführt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschluss ist seit dem 19. März 2022 rechtskräftig.

Bereits zuvor hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg mit Verfügung vom 7. Januar 2022 die Bewährungsaufsicht in dem Bewährungsverfahren 445 Ls 64 Js 1349/18-83/19 BEW (Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 30. Juni 2020) übernommen und die Beteiligten mit Verfügung vom 8. Februar 2022 zu einem drohenden Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung angehört, da sich der Verurteilte in einem weiteren Strafverfahren seit dem 2. September 2021 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt K. befunden hatte, worüber der Bewährungshelfer des Verurteilten das Amtsgericht Siegen mit Schreiben vom 8. Dezember 2021 zum dort befindlichen Bewährungsheft in Kenntnis gesetzt hatte. Dieses Verfahren endete mit Urteil des Landgerichts Köln vom 16. Dezember 2021, mit dem gegen den Verurteilten eine Freiheitstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde. Mit am 29. Dezember 2021 eingetretener Rechtskraft schloss sich taggleich die Organisationshaft des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt K. an. Seit dem 9. Februar 2022 befindet sich der Verurteilte in der LWL-Maßregelvollzugsklinik S., gelegen im Landgerichtsbezirk Bielefeld.

Mit Beschluss vom 26. April 2022 widerrief die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg „die Strafaussetzung aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Siegen“ vom 4. März 2022. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 1. August 2022 die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer Arnsberg wegen örtlicher Unzuständigkeit auf; örtlich zuständig sei vielmehr das Landgericht Köln.

2. Aufgrund der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Hamm gab die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg die Sache am 29. August 2022 an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Köln ab, die das Verfahren unter Darlegung ihrer Rechtsauffassung, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg zuständig sei, am 10. Oktober 2022 dorthin zurückleitete. Das Landgericht Arnsberg sah sich an einer (erneuten) Übernahme aufgrund der im Beschwerdeverfahren ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm gehindert. Das Landgericht Köln erklärte sich daraufhin mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 für örtlich unzuständig und hat die Sache gemäß § 14 StPO dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist abzulehnen. Zwar handelt es sich bei den Landgerichten Köln und Arnsberg um solche, die in den Zuständigkeitsbereich verschiedener Oberlandesgerichte (Köln bzw. Hamm) fallen. Eine Bestimmung des für die Entscheidung einer Sache zuständigen Gerichts durch den Bundesgerichtshof als gemeinschaftliches oberes Gericht nach § 14 StPO ist aber nur dann möglich, wenn die Zuständigkeit eines der streitenden Gerichte gegeben ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschlüsse vom 4. Februar 1983 - 2 ARs 328/82, BGHSt 31, 244; vom 27. Juni 1975 - 2 ARs 137/75, BGHSt 26, 162; KK-StPO/Geilhorn, 9. Aufl., § 14 Rn. 4). Das ist hier nicht der Fall. Zur Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Siegen vom 4. März 2022, Az. 445 Ls 64 Js 1349/18 - 83/19, ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld berufen.

Die nach dem Eintritt der Führungsaufsicht zunächst gemäß § 462a Abs. 1 Satz 2, § 463 Abs. 7 StPO bestehende und gemäß § 462a Abs. 4 Satz 3 StPO auch die Widerrufsentscheidung betreffend der in den Urteilen des Amtsgerichts Siegen vom 11. Dezember 2018 und 30. Juni 2020 bewilligten Strafaussetzungen zur Bewährung (§ 453 StPO) erfassende Fortsetzungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg - die seit dem Eingang des Schreibens des Bewährungshelfers vom 8. Dezember 2021 beim Amtsgericht Siegen, dem Gericht erster Instanz, mit diesen Widerrufen befasst war (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2007 - 2 ARs 525/06) - endete mit Eintritt der Rechtskraft des nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses vom 4. März 2022 am 19. März 2022. Denn mit der Einbeziehung der jeweiligen Freiheitsstrafen in die neu gebildete und zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe haben diese ihre Selbstständigkeit verloren (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 2004 - 2 ARs 189/04). Mit der neu gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg aber vor den Zeitpunkten, in denen gegen den Verurteilten zunächst Organisationshaft und sodann seit dem 9. Februar 2022 die mit Urteil des Landgerichts Köln vom 16. Dezember 2021 angeordnete Maßregel vollzogen wurden, noch nicht befasst.

Da sich der Verurteilte im insoweit nunmehr maßgeblichen Zeitpunkt am 19. März 2022 bereits im Maßregelvollzug in einer im Landgerichtsbezirk Bielefeld gelegenen Einrichtung befand, ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1, § 463 Abs. 1 StPO zur Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung berufen.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 775

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede