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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1263

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 8/23, Beschluss v. 06.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1263


BGH 2 StR 8/23 - Beschluss vom 6. Juli 2023 (LG Aachen)

Anrechnung der Untersuchungshaft (Anordnung des Unterbleibens der Anrechnung: Auslieferungshaft); Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer oder mehrerer berücksichtigungsfähiger Katalogtaten; Würdigung der Person des Angeklagten).

§ 51 StGB; § 66 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 22. Juni 2022 im Ausspruch über die Anrechnung von Auslieferungshaft sowie im Maßregelausspruch mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Anrechnungsentscheidung hinsichtlich erlittener Auslieferungshaft getroffen. Außerdem hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Schuldspruch und Strafausspruch begegnen auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

2. Hingegen hält der Ausspruch des Landgerichts, mit dem das Landgericht die in der Zeit vom 18. Juli 2021 bis 3. August 2021 in Kroatien erlittene Untersuchungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet hat, rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Haftbedingungen des Angeklagten - nicht zuletzt aufgrund seiner bosnischen Abstammung - schlecht waren und hat damit zu erkennen gegeben, dass abweichend von der in einem EU-Staat und damit auch in Kroatien im Allgemeinen zu erfolgenden Anrechnung im Verhältnis 1:1 (vgl. zuletzt zu Kroatien BGH, Beschluss vom 21. Juni 2018 - 4 StR 499/17) ausnahmsweise ein anderer Maßstab in Betracht kommen könnte. Es hat im Ergebnis aber davon abgesehen so zu verfahren, weil der Angeklagte selbst dafür verantwortlich gewesen sei, dass er ausgerechnet in Kroatien eine Freiheitsentziehung erlitten habe. Durch den Antritt einer Reise nach Kroatien habe er begründeten Anlass zu der Sorge gegeben, er werde sich dem Verfahren dauerhaft nicht stellen. Selbst wenn er nicht von dem Haftbefehl gewusst haben sollte, sei dem Angeklagten doch bewusst gewesen, dass dieses Verhalten geeignet gewesen sei, den Haftgrund der Fluchtgefahr zu begründen.

Mit dieser Begründung durfte die Strafkammer dem Angeklagten eine möglicherweise angezeigte Anrechnung der Auslieferungshaft in einem anderen Verhältnis als 1:1 nicht versagen. Nach § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB kann das Gericht ausnahmsweise anordnen, dass eine Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist. Ein Verhalten, das eine solche Versagung rechtfertigen könnte, ist aber nicht ersichtlich. Die Reise nach Kroatien diente nach der unwiderlegt gebliebenen Einlassung dem Besuch seiner 92-jährigen Großmutter, wobei der Angeklagte angegeben hat, von dem Verfahren gewusst zu haben, er aber keineswegs habe fliehen wollen. Ein Fluchtversuch ist bei dieser Erklärung nicht dargetan; zudem ist durch die daraufhin erfolgte Inhaftierung keine Verschleppung des Verfahrens - was auch bei einem Fluchtversuch oder Fluchtvorbereitungen für eine Versagung vonnöten wäre - belegt (vgl. BGH NJW 1970, 1752, 1753 = BGHSt 23, 307).

3. Auch der Maßregelausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat die Anordnung einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu Recht nicht auf § 66 Abs. 1 oder 2 StGB gestützt, weil deren Voraussetzungen ersichtlich nicht gegeben sind. Aber auch die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 66 Abs. 3 StGB lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.

Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist es dabei erforderlich, dass der Täter wegen einer oder mehrerer berücksichtigungsfähiger Katalogtaten bereits eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vorverbüßt hat. Dass dies der Fall ist, wird in den Urteilsgründen nicht widerspruchsfrei belegt. Die Strafkammer geht insoweit von Inhaftierungszeiten vom 31. Juli 2016 bis zum 25. September 2017 sowie vom 18. Juni 2018 bis zum 9. April 2019 aus; dies ergibt aber - anders als das Landgericht meint - keine Vollstreckungsdauer von über zwei Jahren, sondern lediglich von 23 Monaten und 18 Tagen. Anders als der Generalbundesanwalt meint, lässt sich auch den Angaben im Zusammenhang mit den Ausführungen zu den Vorstrafen nicht hinreichend sicher entnehmen, dass eine über zweijährige Inhaftierungszeit gegeben ist. Dort sind dieselben Vollstreckungszeiten genannt; der Hinweis, der Angeklagte sei nach Unterbrechung zum 2/3-Termin erneut ab dem 18. Juni 2018 inhaftiert gewesen, bietet keine hinreichend klare Grundlage für die Annahme einer für § 66 Abs. 3 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Vollstreckungsdauer von über zwei Jahren.

Sollten sich in der neuen Hauptverhandlung die formellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 StGB feststellen lassen, weist der Senat im Hinblick auf die Würdigung der Person des Angeklagten darauf hin, dass neben der für die Vergangenheit festgestellten „Verrohung“ und Empathielosigkeit des Angeklagten auch die Zeit nach seiner Haftentlassung im April 2019, insbesondere auch zwischen der hiesigen Tatbegehung im Oktober 2019 und seiner Festnahme im Juli 2021, in den Blick zu nehmen sein wird. Den Feststellungen zur Person lässt sich unter anderem entnehmen, dass er (nach Begehung der hier abgeurteilten Tat) ab Dezember 2019/Januar 2020 wieder mit seiner vorherigen Lebensgefährtin liiert ist, die Pflege seiner Mutter übernommen hat, im März 2021 eine Probearbeitsstelle hatte, die zu einer Festanstellung im September 2021 führen sollte. Hinweise auf neue Strafverfahren fehlen. Ob diese Feststellungen der Einschätzung der Sachverständigen entgegenstehen könnten, die dem Angeklagten in einem Vorgutachten aus dem Jahre 2019 ausgestellte günstige Prognose habe sich in keiner Weise bewahrheitet, er sei immer wieder kalkulierbare Risiken eingegangen, indem er sich in der Vergangenheit im Rockermilieu bewegt habe und zuletzt nach der Haft in sein gewohntes Umfeld in D. zurückgekehrt sei, bedarf unter Darlegung des Vorgutachtens näherer Erläuterung, dies vor allem auch deshalb, weil damit in den Urteilsgründen eine (gewisse) positive Änderung der Lebenssituation des Angeklagten belegt ist und im Übrigen der Umstand, dass er sich im Rockermilieu bewegt bzw. sich an ein subkulturelles Milieu einschließlich Rockerbanden angelehnt habe, im Vagen und ohne erkennbaren Zusammenhang mit von ihm begangenen Straftaten bleibt. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass die hier abgeurteilte Tat entgegen einem im Raum stehenden Verdacht nicht von der Rockergruppe initiiert war, der der Angeklagte nahe stehen soll.

Die Sache bedarf deshalb, zweckmäßigerweise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1263

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede