HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1096
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 75/23, Beschluss v. 20.07.2023, HRRS 2023 Nr. 1096
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 30. September 2022 - soweit es den Angeklagten D. betrifft - im Maßregelausspruch und hinsichtlich der Anordnung des Vorwegvollzugs mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision ausschließlich gegen die Anordnung der Maßregel. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat - soweit hier von Relevanz - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der zum Urteilszeitpunkt 28-jährige Angeklagte kam im Alter von zwölf Jahren erstmals mit Cannabis in Kontakt und rauchte dieses - mit kurzzeitiger Unterbrechung - ab dem Alter von vierzehn Jahren regelmäßig. Im Tatzeitraum vom 30. März bis 20. Juni 2020 konsumierte er täglich ein Gramm Marihuana abends, um besser einschlafen zu können sowie mehrfach in der Woche etwa ein halbes bis ein Gramm Kokain. Seit seiner Festnahme am 23. Juni 2021 ist er drogenabstinent. Im Tatzeitraum erwirtschaftete der Angeklagte mit den gegenständlichen Betäubungsmittelstraftaten einen eigenen Gewinnanteil von mindestens 14.000 Euro.
Die Strafkammer hat, sachverständig beraten, einen schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden und Kokain als Hang im Sinne des § 64 StGB bewertet. Den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang zum übermäßigen Drogenkonsum und den abgeurteilten Straftaten stützt die Kammer maßgeblich auf die Erwägung, dass sich die für den Eigenkonsum erforderlichen Gelder „auf mehr als 600 Euro pro Monat“ belaufen hätten und diese Kosten im Vergleich zu den Gewinnanteilen des Angeklagten aus den vorliegenden Anlasstaten nicht von „völlig untergeordneter Bedeutung“ gewesen wären. Sie hat ferner eine hinreichende Erfolgsaussicht der Behandlung angenommen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Das zu Gunsten des Angeklagten wirkende Rechtsmittel (§ 301 StPO) (BGH, Urteile vom 6. Juli 2017 - 4 StR 124/17, juris Rn. 7 mwN und vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11, juris Rn. 20 mwN) ist wirksam auf die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB beschränkt. Über diese kann unabhängig vom Schuld- und Strafausspruch entschieden werden. Insbesondere hat das Landgericht keine Verknüpfung zwischen der Strafe und der Maßregelentscheidung hergestellt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. Mai 2018 - 1 StR 51/18, juris Rn. 7 mwN).
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Zunächst erscheint fraglich, ob mit Blick auf die Drogenabstinenz des Angeklagten seit seiner Festnahme am 23. Juni 2021 überhaupt ein Hang zum maßgeblichen Urteilszeitpunkt sicher feststeht (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2023 - 4 StR 349/22, juris Rn. 8; Senat, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 2 StR 599/18, juris Rn. 15).
Des Weiteren kann offenbleiben, ob die Annahme eines im Urteilszeitpunkt vorhandenen Hangs des Angeklagten (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 2 StR 599/18, juris Rn. 15), berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, bereits deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil sich die Strafkammer vom Kokainkonsum des Angeklagten alleine aufgrund der pauschalen und unsubstantiierten Einlassung des Mitangeklagten U. überzeugt hat, ohne dabei im Rahmen einer gebotenen kritischen Gesamtwürdigung entgegenstehende objektivierbare Erkenntnisse, etwa die Vorstrafen des Angeklagten, die durchgeführte toxikologische Untersuchung sowie die Angaben des Angeklagten bei der Eingangsuntersuchung in der JVA in den Blick zu nehmen. Entgegen dem Vorbringen der Revision wurde bei dem Angeklagten bei dessen Festnahme und der anschließenden Wohnungsdurchsuchung zwar Marihuana, aber gerade kein Kokain sichergestellt.
b) Jedenfalls belegen die Feststellungen des Landgerichts den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen den Taten des Angeklagten und dessen Hang zu einem übermäßigen Betäubungsmittelkonsum nicht.
(1) Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang alleine oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 - 1 StR 379/15, juris Rn. 8; vom 6. November 2013 - 5 StR 432/13, juris Rn. 4); mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2023 - 6 StR 398/22, NStZ-RR 2023, 172, 172; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 f.; Urteil vom 7. Dezember 2017 - 1 StR 320/17, juris Rn. 42). Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. März 2022 - 4 StR 2/22, juris Rn. 4; vom 21. August 2012 - 4 StR 311/12, juris Rn. 8; vom 25. Oktober 2011 - 4 StR 416/11, juris Rn. 3).
Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder mittelbar über den Erlös aus der Verwertung der Beute auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum gedient hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2023 - 6 StR 398/22, NStZ-RR 2023, 172, 173; Beschluss vom 13. Juni 2018 - 1 StR 132/18, juris Rn. 7 mwN). Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 331/19, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 8 Rn. 8 mwN; Beschluss vom 11. Oktober 2022 - 2 StR 101/22, NStZ-RR 2023, 40). Ein solcher Zusammenhang fehlt, wenn die Taten allein zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs oder zur Gewinnerzielung bestimmt waren (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2022 - 2 StR 101/22, NStZ-RR 2023, 40; Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 331/19, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 8 Rn. 8 mwN). Bei einem Rauschgifthändler, dem es alleine darum geht, erworbene Betäubungsmittel mit Gewinn zu verkaufen, fehlt der symptomatische Zusammenhang regelmäßig auch dann, wenn er gelegentlich selbst Suchtmittel konsumiert (vgl. Senat, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 331/19, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 8 Rn. 8 mwN; BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; vgl. auch Dannhorn in NStZ 2012, 414, 416; SSW-StGB/Kaspar, 5. Aufl., § 64 Rn. 27).
(2) Diesen Maßstäben werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Wertung der Strafkammer im Hinblick auf den notwendigen symptomatischen Zusammenhang beruht auf durchgreifenden rechtsfehlerhaften Erwägungen. Denn für eine Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB, bei der es sich um eine den Angeklagten beschwerende Maßregel handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 1991 - 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4, 7), müssen der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB sicher feststehen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - 6 StR 650/21, juris Rn. 6; Senat, Beschluss vom 23. November 2021 - 2 StR 380/21, juris Rn. 7 und BGH, Beschluss vom 15. Juli 2020 - 4 StR 89/20, juris Rn. 8; je mwN).
(a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten für die verfahrensgegenständlichen Taten mitursächlich war. Die Taten des Angeklagten lassen sich angesichts ihrer Größenordnung, ihres hohen Organisationsgrades und der zu Tage getretenen Raffinesse nicht als Beschaffungsdelikte charakterisieren, die auf die Befriedigung der Sucht zielten. Nach den Feststellungen gingen die Angeklagten planmäßig und strukturiert vor, indem sie Krypto-Handys unter Verwendung von Encro-Chat und Sky-ECC benutzten. Zudem bezogen sie das Rauschgift aus verschiedenen europäischen Ländern und verfügten über eine eigene Bunkerörtlichkeit. Schließlich spricht der nach dem Tatbild methodisch aufgebaute und durchgängig kontrollierte Betäubungsmittelhandel des Angeklagten, der maßgeblich auf den schnellen Gewinn zielte - die Taten des Angeklagten beziehen sich auf über 400 kg Marihuana und 2 kg Kokain, wobei er innerhalb von nicht einmal drei Monaten einen Gewinnanteil von mindestens 14.000 € erzielte - gegen einen symptomatischen Zusammenhang (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 331/19, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 8 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113, 114; Beschluss vom 3. März 2016 - 4 StR 586/15, juris Rn. 4; Senat, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 356/10, juris Rn. 8).
(b) Für eine Hangtat sprechende Anhaltspunkte zeigen die Urteilsgründe auch mit Blick auf den festgestellten Eigenkonsum des Angeklagten nicht auf. Ungeachtet des Umstands, dass - auch die Einlassung des Angeklagten zugrunde gelegt - die Strafkammer nicht festgestellt hat, dass die Erlöse aus den Betäubungsmittelgeschäften überhaupt zur Finanzierung des Konsums eingesetzt wurden, ist die Wertung des Landgerichts, die durch den Eigenkonsum bedingten Aufwendungen in Höhe von monatlich 600 € seien im Verhältnis zu dem erwirtschafteten Gewinnanteil von 14.000 € innerhalb von weniger als drei Monaten nicht „von völlig untergeordneter Bedeutung“, nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass die Strafkammer einen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den Anlasstaten aufgenommenen Bankkredit des Angeklagten in Höhe von 48.000 €, der ihm einen erheblichen finanziellen Spielraum eröffnet hatte, nicht in den Blick genommen hat. Zudem verfügte der Angeklagte über weiteres Vermögen, u.a. einen auf ihn zugelassenen Audi Q7. Soweit die Strafkammer ergänzend anführt, der Angeklagte habe bei einer der Taten einen Teil der erworbenen Menge von zwei Kilogramm Marihuana zur Deckung seines täglichen Cannabiskonsums verwendet, übersieht sie, dass der Angeklagte das Marihuana zunächst zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben und sich erst nach Lieferung entgegen der ursprünglichen Planung dazu entschlossen hatte, einen Teil davon zum Eigenkonsum zu verwenden.
3. Der Rechtsfehler bedingt die Aufhebung der Maßregel einschließlich des angeordneten Vorwegvollzugs mit den zugrundeliegenden Feststellungen. VRiBGH Dr. Franke ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1096
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede