HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 683
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 531/23, Beschluss v. 27.03.2024, HRRS 2024 Nr. 683
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. August 2023 mit den Feststellungen aufgehoben. Hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen; diese bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat überwiegend Erfolg.
1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und einer Drogen- und Alkoholabhängigkeit leidende Angeklagte war über die Weihnachtstage 2022 in ihrer Therapieeinrichtung, in der sie sich seit August 2022 aufhielt, beurlaubt. Sie traf sich am Nachmittag des zweiten Weihnachtstages mit dem Geschädigten. Nach dem gemeinsamen Konsum von zwei Litern Wodka kamen beide gegen 18.00 Uhr auf die Idee, in den Rhein zu springen und zu einem Schiffsanleger zu schwimmen, welcher unmittelbar vor ihnen im Wasser verankert und über eine Landungsbrücke mit dem Rheinufer verbunden war. Die Angeklagte übersandte einer Freundin eine Videobotschaft, in der sie und der Geschädigte lachend erklärten, sie hätten „Bock darauf“, in den Rhein zu springen. Kurz darauf versandte die Angeklagte eine weitere Nachricht an ihre Freundin, in der sie mit zunächst verhaltener, zunehmend jedoch erheiterter Stimme äußerte: „M: : Wenn was, irgendwas passieren sollte - ich [Pause] mag dich übertrieben, ja. Aber [Pause] uns passiert nix. Wir springen jetzt einfach in den Rhein. [Pause] Und kommen dann wieder daraus, okay? Okay, mein Schatz. Uuuh, ich freu mich“.
Die Angeklagte und der Geschädigte begaben sich zur Brüstung der Kaimauer. Ein möglicher Ausstieg aus dem Rhein war an dieser Stelle weder an ihrem Ziel, dem Schiffsanleger, noch an der Kaimauer selbst ersichtlich. Der Geschädigte überkletterte die 1,30 Meter hohe Brüstung und stand mit dem Rücken zur Brüstung auf dem Mauersims. Die Angeklagte befand sich auf der anderen Seite der Brüstung und redete mit ihm. Als der Geschädigte nicht sofort sprang, versetzte ihm die Angeklagte, für diesen völlig überraschend, mit beiden Händen einen kräftigen Stoß in den Rücken, um hinterher springen zu können. Der Geschädigte stürzte etwa 2 Meter tief in den maximal 7,7 Grad Celsius kalten Fluss.
Der Sturz war aufgrund des Wasserstandes, der Fließgeschwindigkeit, der begrenzten Ausstiegsmöglichkeiten sowie der niedrigen Wassertemperatur generell geeignet, das Leben des Geschädigten zu gefährden. Dies war der Angeklagten, die in der Vergangenheit bereits einmal im Rhein schwimmen gewesen war, auch bewusst.
Nur durch Zufall gelang es dem Geschädigten, sich im Wasser an einer den Schiffsanleger absichernden Stahlkette festzuklammern, wobei er rief, dass er sich nicht lange werde halten können. Währenddessen versuchte die Angeklagte, nachdem sie den Geschädigten im Wasser lokalisiert und die Ernsthaftigkeit seiner Lage begriffen hatte, zu diesem zu gelangen. Hierzu schwang sie ein Bein über die Brüstung der Kaimauer, wurde jedoch von hinzueilenden Passanten zurückgezogen. Der Geschädigte konnte durch die verständigten Rettungskräfte nach etwa zehn Minuten aus dem Wasser gezogen werden. Seine Körpertemperatur lag nur noch bei 29 Grad Celsius. Er wurde notärztlich versorgt; Langzeitfolgen trug er nicht davon.
Die Angeklagte wurde in eine Klinik verbracht. Sie befand sich in einem agitierten, jedoch weitgehend bewusstseinsklaren Zustand, bei besonderem Rededrang und beschleunigter Sprache. Eine der Angeklagten um 23.00 Uhr entnommene Blutprobe zeigte im Mittelwert eine Blutalkoholkonzentration von 2,42 ‰.
2. Die Strafkammer hat den bedingten Körperverletzungsvorsatz der Angeklagten damit begründet, dass ihr die offensichtliche Lebensgefährlichkeit ihrer Handlung aufgrund der Umstände der Tatörtlichkeiten bekannt gewesen sei. Dies belege die Sprachnachricht an ihre Freundin, in der zum Ausdruck komme, dass sie eine Abwägung der möglichen Folgen vornehme. Dies lasse auch erkennen, dass sie diese Möglichkeit jedenfalls intuitiv als nicht ganz fernliegend eingestuft habe. Zum Zeitpunkt des Stoßes sei ihr mithin bewusst gewesen, dass ihre Handlung generell dazu geeignet war, das Leben des Geschädigten zu gefährden. Sie habe sich jedoch damit abgefunden, den Geschädigten einer Unterkühlung auszusetzen und hierdurch zu verletzen und an der Gesundheit zu beschädigen.
Das Rechtsmittel der Angeklagten ist überwiegend begründet. Die Ausführungen der Strafkammer genügen bei dem hier gegebenen Sachverhalt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung zur subjektiven Tatseite einer gefährlichen Körperverletzung zu stellen sind.
1. Die Strafkammer hat bereits den für den Grundtatbestand erforderlichen Körperverletzungsvorsatz der Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
a) Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem eintretenden schädlichen Erfolg in der Weise einverstanden ist, dass er ihn selbst billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände, insbesondere die konkrete Angriffsweise, mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2016 - 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80 mwN; BeckOK StGB/Eschelbach, 60. Ed., § 223 Rn. 31).
b) Das von der Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellte Bewusstsein der Angeklagten zu einer gegebenen Verletzungsmöglichkeit reicht zur Begründung des Vorsatzes nicht aus. Ihre formelhafte These, die Angeklagte habe sich damit abgefunden, „den Geschädigten einer Unterkühlung auszusetzen und hierdurch zu verletzen und an der Gesundheit zu beschädigen“, ist nicht mit Tatsachen unterlegt. Vielmehr fehlt es zur Abgrenzung des möglichen bedingten Vorsatzes zu einer hier ebenfalls möglichen bewussten Fahrlässigkeit der Angeklagten an einer Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen, die für die subjektive Tatseite eines Körperverletzungsdelikts bedeutsam sein können. Hierzu wäre in den Blick zu nehmen gewesen, dass die Angeklagte zwar das Risiko einer Verletzung realisiert hatte, ausweislich des Chats aber davon ausging, dass weder ihr noch dem Geschädigten bei dem geplanten Sprung in den Rhein etwas passiert. Sie hatte den Geschädigten nach ihrer - von der Strafkammer als glaubhaft gewerteten - Einlassung „vorgeschubst, um hinterher springen zu können“. Sie war mit diesem gut befreundet und begann sofort mit Rettungsmaßnahmen, „nachdem sie den Geschädigten im Wasser lokalisiert und die Ernsthaftigkeit seiner Lage begriffen hatte“. Diese von der Strafkammer nicht erörterten Umstände könnten die Wertung rechtfertigen, dass die stark alkoholisierte und psychisch auffällige Angeklagte trotz des außergewöhnlichen Umfangs der festgestellten Sorgfaltswidrigkeit lediglich mit bewusster Fahrlässigkeit gehandelt hat.
2. Abgesehen davon genügen die Ausführungen der Strafkammer nicht den Anforderungen, die an die Begründung des subjektiven Tatbestands der gefährlichen Körperverletzung in der Alternative einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) zu stellen sind.
a) Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist es neben einem bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Der Täter muss sie nicht als solche bewerten, seiner Vorstellung nach muss sein Handeln aber auf die Lebensgefährdung angelegt sein (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2023 - 3 StR 509/22, NStZ-RR 2023, 367, 368; Beschluss vom 15. Februar 2023 - 4 StR 300/22, NStZ-RR 2023, 177, jew. mwN).
b) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte vor ihrer Tathandlung die Umstände erkannt hat, aus denen sich in der konkreten Situation die Lebensgefährlichkeit ergab, also die Handlung nach ihrer Vorstellung auf eine Lebensgefährdung „angelegt“ war. Der subjektive Tatbestand ergibt sich bei dem hier gegebenen außergewöhnlichen Sachverhalt nicht von selbst aus der Schilderung des äußeren Tatgeschehens. Der Hinweis der Strafkammer, der Angeklagten sei die mit dem Sturz verbundene Lebensgefahr bewusst gewesen, weil sie bereits in der Vergangenheit einmal im Rhein schwimmen gewesen sei, besagt nichts. Denn die Urteilsgründe teilen nicht mit, welchen konkreten Erfahrungswert das damalige Ereignis für die Angeklagte hatte. Die Strafkammer hätte deshalb auch hier eine Gesamtwürdigung vornehmen und die Umstände, die gegen die Vorstellung der Angeklagten sprechen könnten, ihre Handlung sei - jenseits der Körperverletzung - auf eine Lebensgefährdung angelegt gewesen, in ihre Überlegung einbeziehen müssen. Hierbei hätte sie neben den bereits aufgezeigten Gesichtspunkten insbesondere in den Blick nehmen müssen, dass die Angeklagte erst nach dem Sturz des Geschädigten „die Ernsthaftigkeit seiner Lage“ begriff und sofort Rettungsmaßnahmen einleitete.
3. Der Wegfall des Schuldspruchs entzieht der angeordneten Maßregel die Grundlage. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht auch Gelegenheit haben wird, das Vorstellungsbild der Angeklagten im Hinblick auf eine nicht zwangsläufig ausgeschlossene Einwilligung des Geschädigten in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1987 - 1 StR 557/87, BGHR StGB § 16 Abs. 1 Einwilligung 1).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 683
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede