HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 669
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 4/23, Beschluss v. 15.02.2023, HRRS 2023 Nr. 669
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 18. Juli 2022
a) dahin klargestellt, dass der Angeklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 13 Fällen schuldig ist,
b) aufgehoben,
aa) im Ausspruch zu den Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 12 mit den Feststellungen zur Höhe der monatlich vorenthaltenen bzw. veruntreuten Arbeitsentgelte sowie den Einzelbeträgen zu den nicht gemeldeten monatlichen beitragspflichtigen Arbeitsentgelten; im Übrigen bleiben die Feststellungen aufrechterhalten,
bb) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von „Arbeitnehmerentgelt“ in dreizehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und angeordnet, dass von dieser Gesamtfreiheitsstrafe drei Monate als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. a) Der Angeklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der M. UG, die Lohnarbeiten im Baugewerbe ohne eigenen Einsatz von Werkzeugen und Baustoffen durch eine Vielzahl von Arbeitnehmern ausführte, deren Arbeitsleistung der Angeklagte dem zuständigen Sozialversicherungsträger bzw. der Unfallkasse mit vier bis sechs Stunden täglich meldete, während die tatsächlichen Arbeitszeiten zwischen sieben und neun, teils bis zu elf Stunden täglich betrugen. Den Lohn für den nicht gemeldeten Teil der Arbeitsstunden zahlte der Angeklagte im Wege des „Lohnsplittings“ seinen Arbeitnehmern bar aus. Die hierfür erforderlichen Gelder generierte er über Scheinrechnungen einer oder mehrerer „Servicegesellschaften.“ Durch die fehlerhaften Meldungen für Januar bis Dezember 2014 führte er fällige Beiträge in einer Gesamthöhe von 357.827,16 € nicht an den Sozialversicherungsträger (Fälle 1 bis 12 der Urteilsgründe) und weitere 64.765,66 € aufgrund der fehlerhaften Jahresmeldung nicht an die Unfallkasse ab.
b) Die Strafkammer hat auf der Grundlage der Umsätze der M. UG für das Jahr 2014 in Höhe von 1.813.165,10 € eine Lohnquote von 1.208.655,86 € errechnet. Unter Abzug der dem Sozialversicherungsträger gemeldeten Arbeitsleistungen hat sie die nicht gemeldeten beitragspflichtigen Arbeitsentgelte für das Jahr 2014 mit 695.336,64 € ermittelt. Sie hat diesen Betrag unter Berücksichtigung eines im Einzelnen dargestellten Hochrechnungsfaktors von 130,4461 % auf ein nicht gemeldetes Jahresbruttoentgelt von 907.039,74 € hochgerechnet, diesen Betrag in Anlehnung an ein monatlich dargestelltes „beitragspflichtiges Arbeitsentgelt“ auf die einzelnen Monate des Jahres 2014 heruntergebrochen und auf dieser Grundlage für die einzelnen Monate die dem Sozialversicherungsträger vorenthaltenen bzw. veruntreuten Arbeitsentgelten unter Darstellung der einzelnen prozentualen Ansätze errechnet. Den der Unfallkasse vorenthaltenen Betrag hat sie auf der Grundlage des nicht gemeldeten Bruttojahresentgelts in Höhe von 907.039,74 € mit 64.765,66 € festgestellt.
2. Die Revision ist teilweise begründet.
a) Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
aa) Die Inbegriffsrüge (§ 261 StPO), der zufolge in den Urteilsausführungen nicht berücksichtigt sei, dass „die Rechnungen der A. GmbH für die straße , denen die für die straße vorausgingen, bis in den August (gemeint 2014) ausgestellt wurden, wobei die höchsten aus dem August stammten,“ obwohl diese Rechnungen nebst den dazugehörigen Barquittungen in der Hauptverhandlung verlesen worden seien, ist unbegründet. Die Strafkammer hat sich durch eine Vielzahl von Beweismitteln rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass es sich hierbei um Dokumente eines Scheinrechnungsausstellers handelte und diesen nachvollziehbar keine Beweisbedeutung beigemessen (UA S. 24). Einer weitergehenden Erörterung dieser Urkunden bedurfte es nicht.
bb) Die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO durch die unterlassene „Beiziehung der Akten der Staatsanwaltschaft Leipzig unter 210 Js 1279/16 oder des Schlussberichts des Hauptzollamts bezüglich des Verfahrens gegen Bau mit darin enthal tenen Unterlagen“ ist jedenfalls unbegründet, da der in den Urteilsgründen dargestellten Aussage des Zeugen O. entgegen der Ansicht der Revision bereits nicht zu entnehmen ist, dass der von diesem benannte K. mit dem Zeugen D. personenidentisch sein soll.
b) Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 12 der Urteilsgründe sowie zu der in der Beschlussformel dargestellten Klarstellung des Schuldspruchs.
aa) Die Ermittlung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge in den Fällen 1-12 erweist sich hinsichtlich der ausgewiesenen Einzelbeträge als rechtsfehlerhaft.
(1) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei dargelegt (vgl. zur Wahl der Schätzgrundlage Senat, Beschluss vom 11. Januar 2022 - 2 StR 460/20, juris Rn. 7 mwN), warum es die nicht gemeldeten Sozialversicherungsbeiträge auf Grundlage der hochgerechneten Nettolohnquote (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 529 f.; vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10, StV 2011, 347, 348; Beschlüsse vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636; vom 6. Februar 2013 - 1 StR 577/12, wistra 2013, 277, 280; vom 23. März 2022 - 1 StR 511/21, juris Rn. 23 ff.) ermittelt hat. Auch die Berechnung des im Jahre 2014 nicht gemeldeten Bruttojahresentgelts in Höhe von 907.039,74 € ist nicht zu beanstanden. Indes ist die Aufteilung dieses Betrages auf die nicht gemeldeten Arbeitsentgelte für die Monate Januar bis Dezember 2014 nicht belegt. Die für diese Monate einzeln auf UA S. 29 als „beitragspflichtiges Arbeitsentgelt“ ausgewiesenen Beträge sind zwar - wie dargestellt - in der Jahressumme, nicht aber in der monatlichen Verteilung nachvollziehbar. Sie sind indes Grundlage für die weitere, für sich genommen zutreffende, monatliche Berechnung der vorenthaltenen bzw. veruntreuten Arbeitsentgelte zum Nachteil des Sozialversicherungsträgers.
(2) (a) Dem Senat ist damit die Möglichkeit genommen, den Schuldumfang dieser zwölf Einzeltaten als Grundlage der Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 12 der Urteilsgründe zu überprüfen. Dies bedingt ihre Aufhebung. Der Entfall dieser zwölf Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
(b) Der Schuldspruch bleibt von dem Rechtsfehler unberührt. Aufgrund des vom Angeklagten für das ganze Jahr 2014 praktizierten „Lohnsplittings“ steht fest, dass er in der Zeit von Januar bis Dezember 2014 in jedem Monat Arbeitsentgelte bei der M. UG zum Nachteil des Sozialversicherungsträgers vorenthalten und veruntreut hat. Der Senat hat jedoch den Tenor des angegriffenen Urteils, wie vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift beantragt, in diesen zwölf sowie dem weiteren ausgeurteilten Fall klargestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 1 StR 111/10, wistra 2010, 408).
(c) Die Feststellungen sind lediglich insoweit betroffen, als diese die Verteilung des vorenthaltenen und veruntreuten Jahresbetrags von 357.827,16 € auf die Monate Januar bis Dezember 2014 betreffen. Der festgestellte Jahresfehlbetrag ist hingegen ebenso wenig tangiert, wie die Summe der im Jahr 2014 nicht gemeldeten Arbeitsentgelte in Höhe von 907.039,69 € brutto.
bb) Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
(1) Das Landgericht hat seiner Berechnung des jährlich gegenüber der Unfallkasse zu entrichtenden Beitrags die rechtsfehlerfrei ermittelten weiteren Arbeitsentgelte von 907.039,71 € brutto für das Jahr 2014 zugrunde gelegt und auf dieser Basis den vorenthaltenen Betrag mit 64.765,66 € zutreffend ermittelt (vgl. zur Berechnung BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, wistra 2010, 148, 152). Die Zumessung der Einzelstrafe im Fall 13 der Urteilsgründe lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
(2) Auch die Kompensationsentscheidung begegnet keinen Bedenken. Sie wird von der Aufhebung des Ausspruchs zu den Einzelstrafen in den Fällen 1 bis 12 sowie der Gesamtstrafe nicht berührt (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juni 2021 - 2 StR 104/21, juris Rn. 20).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 669
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede