HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 263
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 365/23, Beschluss v. 07.12.2023, HRRS 2024 Nr. 263
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 28. April 2023, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung mehrerer Einzelgeldstrafen aus zwei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, Maßnahmen aus einer Vorverurteilung aufrechterhalten und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Aufrechterhaltung von Maßnahmen aus der früheren Entscheidung gemäß § 55 Abs. 2 StGB keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat hingegen keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen kam der Angeklagte im Jahr 2019 auf die Idee, Marihuana selbst anzubauen, um einen Teil für den Eigenkonsum ohne Fremdstoffe zur Verfügung zu haben und um einen größeren Teil gewinnbringend an Dritte veräußern zu können. Im Zeitraum Frühjahr 2020 bis zur polizeilichen Durchsuchung am 14. Juni 2021 betrieb er eine Marihuana-Plantage und brachte zwei Ernten ein, wovon er ca. 2 g pro Tag selbst konsumierte. Die Handelsmenge betrug 13,846 kg mit einem THC-Gehalt von 918,5 g. Nach Entlassung aus der Untersuchungshaft im Dezember 2021 konsumierte der Angeklagte zunächst mehrere Monate gar nicht, dann ca. 2-3 g Cannabis im Monat. Bei einem Drogen-Screening im Herbst 2022 wurden nur geringe Rückstände von Cannabis festgestellt. Zur Zeit der Hauptverhandlung im April 2023 konsumierte der Angeklagte kein Cannabis mehr, um den Kontakt zu seiner Tochter nicht zu gefährden.
b) Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Das gilt namentlich für den von der Strafkammer angenommenen Hang und den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten.
Die Annahme eines Hangs erfordert nunmehr eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Zudem muss die Anlasstat nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. November 2023 - 5 StR 407/23, juris Rn. 2 mwN).
c) Bei seiner vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens getroffenen Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht anwenden können. Unbeschadet dessen erschöpfen sich seine Ausführungen zum Hang in dem Hinweis auf den Sachverständigen, wonach aufgrund der Abhängigkeit von Cannabis ein Hang bestehe, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, was so angesichts der Feststellungen bereits nicht nachvollziehbar ist. Darüber hinaus hat es lediglich festgestellt, dass der Hang „zumindest mitursächlich“ für die Tat gewesen sei. Damit ist zwar eine - zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB aF ausreichende - Mitursächlichkeit seines Konsums für die Straftat des Angeklagten belegt, jedoch fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit er das ausschlaggebende („überwiegende“) Motiv für die verfahrensgegenständliche Tat war.
d) Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Dieses wird dabei zu beachten haben, dass ein Hang im Sinne des § 64 StGB - soweit dort nunmehr eine Substanzkonsumstörung vorausgesetzt wird - nicht durch die bloße Wiedergabe der durch einen medizinischen Sachverständigen gestellten Diagnose belegt werden kann, sondern auch die hierfür maßgeblichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen mitzuteilen sind (vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - 4 StR 318/18, juris Rn. 6 [insoweit in NStZ 2019, 82 nicht abgedruckt]).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 263
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede