HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 546
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 3/23, Beschluss v. 11.10.2023, HRRS 2024 Nr. 546
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 13. Juli 2022, soweit es den Angeklagten He. betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Maßregelausspruch sowie
b) hinsichtlich der Anordnung einer erweiterten Einziehung von Taterträgen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen sowie die erweiterte Einziehung von Taterträgen angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Überprüfung von Schuldspruch, Strafausspruch sowie der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben.
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält dagegen einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Diese richtet sich nach § 64 StGB in der Fassung des am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts (BGBl. I 2023 Nr. 203). Nach § 2 Abs. 6 StGB muss bei Maßregeln der Besserung und Sicherung eine Gesetzesänderung auch vom Revisionsgericht berücksichtigt und grundsätzlich vorbehaltlich einer hier nicht getroffenen Übergangsregelung das neue Recht angewendet werden (§ 354a StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. November 2007 - 3 StR 390/07; vom 4. Oktober 2023 - 6 StR 405/23).
b) Nach § 64 Satz 1 StGB n.F. erfordert der Hang eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 44, 69). Hierauf muss die rechtswidrige Tat überwiegend zurückgehen; insbesondere in Fällen, in denen Straftaten begangen werden, um - neben dem Drogenkonsum - den eigenen, womöglich aufwendigen Lebensbedarf zu finanzieren, etwa bei einem „Großdealer“, der selbst auch die gehandelte Droge konsumiert, wird die Ursächlichkeit des Hangs abzulehnen sein (BT-Drucks. aaO, S. 47).
c) Die Urteilsgründe belegen keine Substanzkonsumstörung des Angeklagten mit dauernder und schwerwiegender Beeinträchtigung der Lebensgestaltung. Die Strafkammer nimmt trotz langjährigem regelmäßigen Marihuana- und Kokainkonsums sowie gelegentlichem Konsum weiterer Drogen schon keine Abhängigkeitserkrankung an, sondern geht lediglich von einer „starken Neigung zur Einnahme berauschender Mittel im Übermaß“ aus. Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit des Angeklagten, der bis zum Beginn der Corona-Pandemie seinen Lebensunterhalt selbst verdiente, oder sonstige schwerwiegende Beeinträchtigungen seiner Lebensgestaltung hat das Landgericht nicht festgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2023 - 6 StR 346/23, BGH NStZ-RR 2024, 45).
d) Ferner ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass die Taten überwiegend auf einen Hang des Angeklagten zurückgehen. Danach hat der Angeklagte mit dem Betäubungsmittelhandel und der diesbezüglichen Bunkerhaltung „seinen eigenen Drogenkonsum und sein Leben“ finanziert. Damit ist zwar eine - zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB a.F. ausreichende - Mitursächlichkeit seines erheblichen Konsums für die Straftaten belegt, jedoch lässt sich der Maßregelentscheidung keine Aussage zu der maßgeblichen Frage entnehmen, inwieweit der Drogenkonsum das ausschlaggebende Motiv für die verfahrensgegenständlichen Taten war (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2023 - 5 StR 345/23).
e) Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
3. Auch die Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen in Höhe von 1.750 € begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die Strafkammer hat festgestellt, dass im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten am 9. Juni 2020 1.750 € sichergestellt wurden und der Angeklagte zu dieser Zeit über keine legalen Einnahmen verfügte. Sie ist deshalb davon ausgegangen, dass er diesen nicht unerheblichen Bargeldbetrag durch andere rechtswidrige Taten oder für diese erlangt hat.
b) Die auf diese Erwägungen gestützte Einziehungsentscheidung erweist sich als rechtsfehlerhaft.
Die erweiterte Einziehung von aus nicht verfahrensgegenständlichen Taten erlangten Gegenständen (§ 73a Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass diese Vermögenswerte bei der Begehung der Anknüpfungstat im Vermögen des Angeklagten gegenständlich vorhanden waren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2022 - 4 StR 221/22, wistra 2023, 209). Abgeschöpft werden kann im Wege der erweiterten Einziehung von Taterträgen nur dasjenige illegal Erlangte, das der Angeklagte zur Tatzeit der abgeurteilten Delikte in seiner Verfügungsgewalt hatte. Das später Erlangte unterfällt § 73a Abs. 1 StGB hingegen nicht.
Das Landgericht hat diese Maßgaben aus dem Blick verloren und nicht geprüft, ob die nach § 73a Abs. 1 StGB eingezogenen Geldmittel während der mit der Sicherstellung der Betäubungsmittel am 6. August 2019 beendeten Tat schon gegenständlich im Vermögen des Angeklagten vorhanden waren. Es ergibt sich auch nicht von selbst, dass sich das im Jahre 2020 beschlagnahmte Geld bereits zehn Monate vorher im Vermögen des Angeklagten befand. Eher spricht der Zeitablauf dafür, dass der Angeklagte die Erträge aus anderen rechtswidrigen Taten erst zu einem späteren Zeitpunkt vereinnahmte. Gleichwohl kann der Senat die erweiterte Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO entfallen lassen. Denn er vermag nicht auszuschließen, dass ein neues Tatgericht noch Feststellungen treffen kann, die eine erweiterte Einziehung des sichergestellten Bargelds in diesem Verfahren rechtfertigen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 546
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede