HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 86
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 284/23, Beschluss v. 07.11.2023, HRRS 2024 Nr. 86
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 16. November 2022 aufgehoben
a) mit den zugrundeliegenden Feststellungen in den Fällen II. 1-4 und II. 6-10 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die beiden Gesamtstrafen in Höhe von acht Monaten sowie fünf Jahren und neun Monaten einschließlich der Anrechnungsentscheidung,
c) soweit die in dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 21. Januar 2021 (452 Ds - 901 Js 159/16 - 870/19) angeordnete Maßregel aufrechterhalten worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie den der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vorsätzlicher Körperverletzung unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 21.01.2021 (452 Ds ? 901 Js 159/16 - 870/19) unter Einbeziehung der diesbezüglichen Einzelstrafe und unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 04.07.2019 - 440 Cs ? 809 Js 949/19 - 464/19 - und der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 14.08.2019 - 452 Cs - 809 Js 1221/19 - 544/19 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt“ und im Hinblick auf die Erfüllung einer Bewährungsauflage eine Anrechnungsentscheidung getroffen. Es hat klarstellend die Verurteilung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung aus dem oben genannten Urteil ebenso wie die dort ausgesprochene Maßregel, wonach dem Angeklagten seine Fahrerlaubnis für drei Monate entzogen worden war, aufrechterhalten. Es hat ihn darüber hinaus, unter Freispruch im Übrigen, wegen „Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Bedrohung und Beleidigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt.
Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, mit welcher er die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags rügt (§ 244 Abs. 6 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO), dringt hinsichtlich der Fälle II. 1-4 und II. 6-10 der Urteilsgründe durch.
a) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
aa) Nach den Feststellungen beging der Angeklagte am 27. Februar 2017 und zwischen April 2020 und Oktober 2021 insgesamt neun Körperverletzungsdelikte und eine Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin (Fälle II. 1-10 der Urteilsgründe). Ferner bedrohte er am 4. November 2021 deren Mutter; am 18. Dezember 2021 beleidigte er diese (Fälle II. 11 und 12 der Urteilsgründe).
bb) Der Angeklagte hat bestritten, dass es jemals zu sexuellen Handlungen gegen den Willen der Nebenklägerin gekommen sei. Die vorgeworfenen Körperverletzungsdelikte hat er in eingeschränktem Umfang eingeräumt; lediglich die Körperverletzung im Fall II. 5 der Urteilsgründe hat er uneingeschränkt zugestanden.
cc) Das Landgericht hat seine Überzeugung in den Fällen II. 1-4 und II. 6-10 der Urteilsgründe maßgeblich auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt, die es durch das Teilgeständnis des Angeklagten, teilweise durch unmittelbare Tatzeugen (II. 2 und 3 der Urteilsgründe), weitere Zeugen zum Rahmen- und Randgeschehen, ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten und Lichtbilder bestätigt sieht. Den gegenläufigen Zeugenaussagen hat es keinen Glauben geschenkt.
b) aa) Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung beantragt, die Zeugin R. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass die Nebenklägerin „in der Hauptverhandlung vom 27. Juni 2022 der Wahrheit zuwider behauptet hat“, der Angeklagte „habe seine Ex-Frau N. A. mit Aids anstecken wollen, habe hierzu der HIV-positiven Zeugin R. Blut abgenommen und sei damit in die Wohnung der N. A. gegangen, habe das aber letztlich nicht durchgezogen“. Die Zeugin R. werde bestätigen, „dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt mit einem solchen Anliegen auf sie zugekommen (ist) und ihr insbesondere auch kein Blut abgenommen hat“.
bb) Das Landgericht hat diesen Antrag zum einen als Beweisermittlungsantrag behandelt, da die aufgestellte Behauptung keinerlei Bezug zu den angeklagten Taten habe. Im Übrigen hat es den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die mit ihm vorgebrachten Behauptungen für die Entscheidung ohne Bedeutung seien (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO). Sie seien für die Tat- und Schuldfrage unbeachtlich. „Selbst wenn die von der Verteidigung aufgestellte Behauptung zutreffend wäre, würde die Strafkammer daraus keine für die infrage gestellte Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bzw. für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben relevanten Schlüsse ziehen.“ Die Behauptung betreffe eine Frage „der generellen Glaubwürdigkeit der Zeugin“. „Eine allein an die Person anknüpfende Glaubwürdigkeit sei jedoch kein relevantes Kriterium im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung.“ Maßgeblich sei „vielmehr die methodische Gesamtbewertung des Inhalts und der Entstehungsgeschichte einer Aussage zu den konkreten Tatvorwürfen“. Die Nebenklägerin habe hierzu „umfangreich bekundet und auch die Aussageentstehung“ sei „im Rahmen der Beweisaufnahme nachvollzogen“ worden. „Die Ergebnisse der Beweiserhebung“ seien „nach Abschluss der Beweisaufnahme in einer Gesamtschau mit objektiven Beweismitteln von der Kammer zu bewerten“.
cc) Die Gegenvorstellung der Verteidigung, die darauf hinwies, dass es sich bei der unter Beweis gestellten Behauptung zumindest um eine Hilfstatsache handele, die der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage der Nebenklägerin diene, wies die Strafkammer in einem weiteren Beschluss zurück und führte ergänzend aus, dass für viele angeklagte Taten keine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliege. Vielmehr seien weitere, unmittelbare tatbezogene Beweismittel vorhanden. Darüber hinaus habe der Angeklagte einige der angeklagten Fälle eingeräumt. „Lediglich für einzelne Taten“ könne „von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ausgegangen werden, welche von der Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung entsprechend berücksichtigt“ würde.
c) Die Rüge der rechtsfehlerhaften Ablehnung dieses Beweisantrags hat Erfolg.
aa) Die Zulässigkeit der Rüge begegnet keinen Bedenken (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision trägt sowohl die ursprüngliche Antragstellung wie auch die Gegenvorstellung der Verteidigung ebenso vollständig vor wie die beiden Ablehnungsbeschlüsse der Strafkammer (vgl. zum Vortragserfordernis BGH, Beschluss vom 9. April 2019 - 4 StR 38/19, juris; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 54). Damit sind hier alle Umstände dargestellt, die für die Prüfung erforderlich sind, ob das Tatgericht den gestellten Antrag rechtlich richtig gewertet und verbeschieden hat.
Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts bedurfte es nicht der zusätzlichen Mitteilung durch die Verteidigung, auf welche Erkenntnisgrundlage die Nebenklägerin ihre Aussage in der Hauptverhandlung zu der durch den Angeklagten ins Auge gefassten Aids-Infektion gestützt hat. Die im Antrag dargestellte Aussage der Nebenklägerin, die mangels jedweder Einschränkung zunächst deren unmittelbare Wahrnehmung der von ihr geschilderten Geschehnisse nahelegt, wird durch die angegriffenen Gerichtsbeschlüsse nicht in Zweifel gezogen. Die Staatsanwaltschaft ist der Darstellung in der Antragsschrift nicht entgegengetreten. Für Ausführungen zu der von der Zeugin „angegebene(n) Erkenntnisgrundlage“ bestand vor diesem Hintergrund kein Anlass.
bb) Die Beschlussbegründungen des Landgerichts tragen die Ablehnung des Antrags nicht.
(1) Entgegen dessen Ansicht handelt es sich jedenfalls unter Berücksichtigung der Gegenerklärung ? erst dort wurde die ladungsfähige Anschrift der Zeugin mitgeteilt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 1993 - 3 StR 446/93, BGHSt 40, 3, 7) - um einen Beweisantrag.
(a) Zwar war nach der Antragstellung der Umstand in das Wissen der Zeugin gestellt, dass die von der Nebenklägerin dargestellten Handlungen nicht stattgefunden haben. Die damit behauptete Negativtatsache war jedoch der unmittelbar eigenen Wahrnehmung der Zeugin zugänglich, so dass diese Beweisthema sein konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2004 - 4 StR 309/04, juris Rn. 11, Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn. 20a).
(b) Entgegen der Ansicht des Landgerichts betraf die unter Beweis gestellte Tatsache auch den Schuldspruch. Sie war als Indiztatsache geeignet, sich auf die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin auszuwirken und damit die Verurteilung des Angeklagten zu beeinflussen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 4 StR 198/05, juris Rn. 20 und 22).
(2) Die Ablehnung des Beweisantrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO) hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
(a) Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, weil sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre. Hierzu hat das Tatgericht die unter Beweis gestellte Tatsache so, als sei sie erwiesen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis einzustellen und im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung - gegebenenfalls in Anwendung des Zweifelssatzes - in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2018 - 4 StR 484/18, NStZ 2019, 295; vom 19. Dezember 2018 - 3 StR 516/18, juris Rn. 7; Löwe-Rosenberg/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 220; KK-StPO/Krehl, 9. Aufl., § 244 Rn. 152; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 244 Rn. 56a). Soll mit dem Beweisantrag die Glaubhaftigkeit der Aussage eines anderen Zeugen angegriffen werden, muss das Gericht die behauptete Tatsache bei der Aussagenanalyse unterstellen und in dem Ablehnungsbeschluss ausführen, warum es den Angaben des Zeugen dennoch folgt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2013 - 5 StR 145/13, NStZ 2013, 478; BeckOK StPO/Bachler, 49. Ed., § 244 Rn. 68). Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, aus denen sich ergibt, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2018 - 4 StR 484/18, aaO; vom 19. Dezember 2018 - 3 StR 516/18, aaO).
(b) Diesen Anforderungen genügen die ablehnenden Beschlüsse des Landgerichts in mehrfacher Hinsicht nicht.
(aa) Die Beschlussgründe lassen zunächst besorgen, dass die Strafkammer die ihr obliegende prognostische Prüfung einer möglichen Beeinflussung des Beweisergebnisses nur unzureichend vorgenommen hat. Zwar führt sie aus, sie würde, selbst wenn die von der Verteidigung aufgestellte Beweisbehauptung zuträfe, daraus keine für die in Frage gestellte Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bzw. die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage relevanten Schlüsse ziehen. Auf der anderen Seite begründet sie die Zurückweisung des Antrags am Ende ihres ersten Ablehnungsbeschlusses mit dem Hinweis, dass „die Ergebnisse der Beweiserhebung […] nach Abschluss der Beweisaufnahme in der Gesamtschau mit objektiven Beweismitteln von der Kammer zu bewerten sein“. Ähnlich führt sie in der Ablehnung der Gegenvorstellung aus, dass „lediglich für einzelne Taten von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ausgegangen werden könne, welche von der Kammer im Rahmen der Beweiswürdigung entsprechend berücksichtigt“ werde. Damit hat sie jedoch nicht die bereits erhobenen Beweise unter Berücksichtigung der als zutreffend einzustellende Beweistatsache gewürdigt, sondern - rechtsfehlerhaft ? den Antragsteller auf die von ihr vorzunehmende Beweiswürdigung im Urteil verwiesen.
(bb) Die Ablehnung des Beweisantrags genügt auch den an eine Ablehnung zu stellenden inhaltlichen Begründungsanforderungen nicht.
Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hinweist, die unter Beweis gestellte Tatsache betreffe nur die „generelle Glaubwürdigkeit“ der Nebenklägerin, verkennt es, dass bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit einer Aussage nicht zwischen allgemeiner und spezieller Glaubwürdigkeit des Beweismittels unterschieden wird (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 17). Im Übrigen sollte mittels der beantragten Beweiserhebung belegt werden, dass die Nebenklägerin - aus Sicht der Verteidigung - Ereignisse erfand, um den Angeklagten zu Unrecht zu belasten. Damit war das Verhältnis der Nebenklägerin zum Angeklagten unmittelbar betroffen.
Soweit die Strafkammer des Weiteren die Ablehnung darauf stützt, die Nebenklägerin habe „zu den angeklagten Tatvorwürfen umfangreich bekundet und auch die Aussageentstehung wurde im Rahmen der Beweisaufnahme nachvollzogen“, fehlt es an einer näheren Erörterung der Inhalte sowie der Entstehung und Entwicklung der Aussage. Insbesondere ist den Beschlussgründen nicht zu entnehmen, weshalb die als zutreffend unterstellte Beweisbehauptung die in den Raum gestellte Frage des Belastungseifers der Nebenklägerin unberührt lässt oder ein gegebenenfalls vorhandener Belastungseifer die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage gleichwohl nicht in Zweifel zieht. Hierzu schweigen die Beschlussgründe.
d) Die verfahrensfehlerhafte Behandlung des Beweisantrags führt zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II. 1-4 und II. 6-10 der Urteilsgründe. Im Fall II. 5 der Urteilsgründe kann der Senat ein Beruhen ausschließen, da der Angeklagte die ihm vorgeworfene Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin voll umfänglich eingeräumt hat. Die Verurteilungen in den Fällen II. 11 und 12 der Urteilsgründe sind ebenfalls nicht betroffen. Sie basieren nicht auf der Aussage der Nebenklägerin.
2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den neun Fällen führt zum Wegfall der hierfür zugemessenen Einzelstrafen. Dies zieht die Aufhebung der beiden Gesamtfreiheitsstrafen nach sich. Damit entfällt auch die Grundlage für die Anrechnungsentscheidung.
4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts begegnen die von der Strafkammer angenommenen Zäsurwirkungen durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 22. April 2016 (416 Cs 372/16) zur Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe bzw. durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen vom 4. Juli 2019 (440 Cs 464/19), rechtskräftig seit dem 10. Februar 2020, für die Bemessung der zweiten Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bedenken.
aa) Hat der Angeklagte zwischen zwei rechtskräftigen Vorverurteilungen eine Straftat begangen, so bildet nur die (zeitlich) erste Vorverurteilung eine Zäsur mit der Folge, dass eine später begangene Straftat gesamtstrafenrechtlich so zu betrachten ist, als ob sie nach der (aus der ersten und zweiten Vorverurteilung gewissermaßen zusammengesetzten) ersten und einzigen Vorverurteilung begangen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2015 - 4 StR 276/15, juris Rn. 5).
bb) So verhält es sich hier. Zwar hat der Angeklagte nach den Feststellungen die Tathandlungen in den Fällen II. 2 und 3 der Urteilsgründe am 1. April 2020 und im Fall II. 4 der Urteilsgründe am 24. Dezember 2020 und damit vor dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 21. Januar 2021 begangen. Indes liegen sämtliche dort zur Aburteilung stehenden Tathandlungen vor dem 4. Juli 2019 und damit vor dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aachen von diesem Tag. Da die Tathandlungen im Fall II. 2 und 3 der Urteilsgründe vom 1. April 2020 datieren, ist es für die Zäsurwirkung unerheblich, dass die Urteilsgründe dazu schweigen, ob vor Eintritt der Rechtskraft der Strafe aus dem genannten Strafbefehl am 10. Februar 2020 in der dortigen Sache noch eine weitere Tatsachenverhandlung stattgefunden hat (vgl. hierzu LK-StGB/Rissing-van Saan/Scholze, 13. Aufl., § 55 Rn. 7 mwN). Damit waren alle Strafen für die vor diesem Datum liegenden Taten, aber auch nur diese, auf eine, wie vom Landgericht ausgeurteilt, Gesamtfreiheitsstrafe ? die erste Gesamtfreiheitsstrafe der hier zur Überprüfung gestellten Verurteilung ? zurückzuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 - 1 StR 494/01, juris).
b) Hingegen weist der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend darauf hin, dass die mit Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 21. Januar 2021 verhängte Maßregel (Entziehung der Fahrerlaubnis für drei Monate) nicht aufrechtzuerhalten ist, denn das Urteil ist seit dem 2. Februar 2021 rechtskräftig und die Sperrfrist damit abgelaufen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 86
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede