HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 257
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 273/23, Beschluss v. 26.10.2023, HRRS 2024 Nr. 257
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. April 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit es den Angeklagten H. betrifft,
aa) im Fall II. 7 der Urteilsgründe,
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
b) soweit es den Angeklagten J. betrifft,
aa) im Fall II. 7 der Urteilsgründe,
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,
cc) soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebungen zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Bestechung in sieben tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen, den Angeklagten H. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten J. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der die beiden Angeklagten betreffende Schuldspruch im Fall II. 7 der Urteilsgründe wegen tateinheitlicher Bestechung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen zu den Fällen II. 1 bis 6 der Urteilsgründe zahlten die Angeklagten entsprechend ihrem gemeinsamen Tatplan im Zeitraum zwischen 16. November 2018 und 20. Januar 2019 an einen gesondert verfolgten Justizvollzugsbediensteten jeweils Bargeld, um über diesen die von ihnen beschafften Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf in die Justizvollzugsanstalt K. verbringen zu lassen. Nach den Feststellungen zu Fall II. 7 der Urteilsgründe erwarb der Angeklagte H. am 15. April 2019 477,75 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffanteil von 128,57 Gramm THC und lagerte dieses bis zur Sicherstellung am 17. April 2019 in seinem Keller. Nach dem Tatplan der Angeklagten sollten die von ihnen beschafften Drogen am 23. oder 24. April 2019 über einen gesondert verfolgten Justizvollzugsbediensteten zum gewinnbringenden Verkauf in die Justizvollzugsanstalt verbracht werden. Anders als in den Fällen II. 1 bis 6 der Urteilsgründe lässt sich im zuletzt genannten Fall - auch in einer Gesamtschau der Urteilsgründe - keine der von § 334 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Tathandlungen in Form des Anbietens, Versprechens oder Gewährens von Vorteilen entnehmen.
2. Dies entzieht auch der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung der Angeklagten wegen des im Fall II. 7 der Urteilsgründe tateinheitlich verwirklichten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, den Einzelstrafaussprüchen zu diesem Fall und in der Folge auch den Gesamtstrafenaussprüchen die Grundlage.
3. Auch das Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten J. in einer Entziehungsanstalt erweist sich als rechtsfehlerhaft.
a) Die Entscheidung darüber bestimmt sich nach § 64 StGB in der Fassung des am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts (BGBl. I 2023 Nr. 203). Nach § 2 Abs. 6 StGB muss bei Maßregeln der Besserung und Sicherung eine Gesetzesänderung auch vom Revisionsgericht berücksichtigt und grundsätzlich das neue Recht angewendet werden (§ 354a StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. November 2007 - 3 StR 390/07; vom 4. Oktober 2023 - 6 StR 405/23; vom 14. November 2023 - 6 StR 346/23).
b) Zu seiner vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens getroffenen Entscheidung, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht anzuordnen hat das nicht sachverständig beratene Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe „in der Vergangenheit längere Zeit regelmäßig Haschisch konsumiert“, diese „Gewohnheit“ dann aber bis zu seiner Inhaftierung aus eigenem Antrieb beendet. Erst „als Haschisch durch die gegenständlichen Taten im Vollzug verfügbar [gewesen] und ihm auch angeboten worden sei, [habe er] wieder begonnen, Haschisch in einem Umfang von ein bis zwei Gramm täglich zu konsumieren“. Davon ausgehend, dass „allenfalls ein Hang in Gestalt eines Drogenmissbrauchs“ in Betracht komme, hat die Strafkammer ausgeführt, dass es an einem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den Taten fehle, denn „der Angeklagte [habe] selbst beschrieben, dass er sich zur Begehung der Taten entschlossen [hätte], als er noch drogenabstinent [ge]lebt hätte, und [er] erst mit dem Konsum wieder begonnen hätte, als infolge seiner Taten Drogen verfügbar [gewesen seien].“
c) Daraus lässt sich nicht sicher entnehmen, ob beim Angeklagten die für die Annahme eines Hangs nach § 64 Satz 1 StGB nach neuem Recht erforderliche Substanzkonsumstörung vorliegt, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 44, 69). Auch ist nach den Feststellungen das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs, wonach die rechtswidrige Tat überwiegend auf den Hang zurückgehen muss, nicht sicher ausgeschlossen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46 f.). Insofern greift schon das Abstellen auf den Zeitpunkt des Tatentschlusses zu kurz. Zwischen dem grundsätzlichen Entschluss, Gegenstände in die Justizvollzugsanstalt einzuschleusen, und den vorliegend abgeurteilten Taten kam es bereits in zwei weiteren Fällen zur Einschleusung von Betäubungsmitteln. Da sich aus den Urteilsgründen nicht ergibt, wann der Angeklagte damit begonnen hat, von dem eingeschleusten Haschisch ein bis zwei Gramm täglich zu konsumieren, ist bereits deshalb der Ausschluss eines symptomatischen Zusammenhangs nicht tragfähig belegt.
d) Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit unter Beteiligung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) erneuter Prüfung und Entscheidung; das Verbot der Schlechterstellung steht dem nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 257
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede