HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 159
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 236/23, Beschluss v. 24.10.2023, HRRS 2024 Nr. 159
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 2. März 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen, da ihm zum Tatzeitpunkt aufgrund drogeninduzierter Psychose die Unrechtseinsicht gefehlt habe; es hat seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es mithin nicht an.
1. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat keinen Bestand.
a) Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 354a StPO die zum 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203) zugrunde zu legen. Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Das gilt namentlich für den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten; die Anlasstat muss nun „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - positiv festzustellen (BT-Drucks. 20/5913, S. 69 f.).
b) Bei seiner vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens getroffenen Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht anwenden können. Es hat letztlich festgestellt, dass der anhaltende und nicht unerhebliche Cannabiskonsum des Angeklagten bei ihm eine Psychose ausgelöst habe, die wiederum in fremdaggressivem Verhalten mit erheblicher Gewalteinwirkung mündete, wobei die Suchterkrankung des Angeklagten „nicht regelhaft zum Ausbruch von Schuld vermindernden oder ausschließenden Psychosen“ führe. Das Landgericht hat damit zwar eine - zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung nach § 64 Satz 1 StGB aF ausreichende - Mitursächlichkeit seines Rauschmittelkonsums für die Straftat des Angeklagten belegt; es fehlt jedoch eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit dieser Hang ausschlaggebend („überwiegend“) für die verfahrensgegenständliche Tat war.
2. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit - naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) - erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Dieses wird dabei zu beachten haben, dass nunmehr das Vorliegen eines Hangs im Sinne einer Substanzkonsumstörung nicht mehr ohne Weiteres aus Art und Umfang des Rauschmittelkonsums gefolgert werden kann. Zudem setzt § 64 Satz 2 StGB nunmehr voraus, dass der Behandlungserfolg „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Durch die Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt - nach Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände - „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt wird (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 159
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede