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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1315

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 233/23, Beschluss v. 18.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1315


BGH 2 StR 233/23 - Beschluss vom 18. Juni 2024 (LG Gera)

Handeltreiben mit Cannabis (Beihilfe; vertypter Milderungsgrund).

§ 34 KCanG; § 27 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 1. Februar 2023, soweit es sie betrifft,

a) in den Schuldsprüchen wie folgt geändert:

aa) die Angeklagten M., E. und Al. sind jeweils schuldig der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis,

bb) der Angeklagte A. S. ist schuldig des Handeltreibens mit Cannabis und des Besitzes eines verbotenen Gegenstands (Schlagring), im Übrigen wird er freigesprochen;

b) dahin ergänzt, dass, soweit der Angeklagte A. S. freigesprochen wird, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last fallen;

c) aufgehoben unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen:

aa) betreffend die Angeklagten M., E. und A. in den Strafaussprüchen;

bb) betreffend den Angeklagten A. S. im Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie im Ausspruch über die Einziehung der beschlagnahmten Betäubungsmittel; letztere entfällt.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:

- den Angeklagten M. wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, von der drei Monate als vollstreckt gelten,

- den Angeklagten A. S. wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln und Besitzes eines verbotenen Gegenstandes (Schlagring) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten, von der vier Monate als vollstreckt gelten,

- den Angeklagten E. wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und von der fünf Wochen als vollstreckt gelten,

- den Angeklagten Al. wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und von der fünf Wochen als vollstreckt gelten.

Hinsichtlich des Angeklagten A. S. hat das Landgericht zudem eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Dagegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, die seitens der Angeklagten E. und Al. jeweils auf die Sachrüge und seitens der Angeklagten M. und A. S. auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt werden. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

I.

Den Verfahrensbeanstandungen der Angeklagten M. und A. S. bleibt aus den Gründen der Zuschriften des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

II.

Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils ergibt teilweise Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarben der nicht revidierende Mitangeklagte Am. und der Angeklagte A. S. am 5. Dezember 2018 rund 4,1 kg Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von rund 296 Gramm THC für 18.000 € zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Die Angeklagten M., E. und Al. sicherten dabei die Übergabe der Drogen ab (Fall III. 2 der Urteilsgründe). Am 19. Dezember 2018 bewahrte der Angeklagte A. S. in seiner Wohnung in Jena 26,51 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 1,97 Gramm THC zum Eigenkonsum auf und übte die tatsächliche Gewalt über einen dort befindlichen Schlagring aus (Fall III. 3 der Urteilsgründe).

2. Soweit der Angeklagte A. S. wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln und die Angeklagten M., E. und Al. jeweils wegen Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden sind, können die Schuldsprüche keinen Bestand haben und sind nach § 354a i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. Denn seit dem 1. April 2024 sind Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis nicht mehr nach dem Betäubungsmittelgesetz, sondern nach dem Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) zu werten. Dies ist mit Blick auf die Strafdrohung nach § 34 Abs. 1 und 3 KCanG im Vergleich zu § 29a BtMG auch im konkreten Fall das nach § 2 Abs. 3 StGB mildere Gesetz.

a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Fall III. 2 der Urteilsgründe haben sich die Angeklagten M., E. und Al. danach jeweils der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis und der Angeklagte A. S. des Handeltreibens mit Cannabis schuldig gemacht. Dass sich die Tat auf Cannabis in nicht geringer Menge bezog (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, Rn. 7 ff.), stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet.

b) Soweit der Angeklagte A. S. in Fall III. 3 der Urteilsgründe für das Aufbewahren von 26,51 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 1,97 Gramm THC in seiner Wohnung am 19. Dezember 2018 wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt wurde, hat diese Verurteilung keinen Bestand, da der Besitz dieser Menge unter keinen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand fällt. Da zwischen dem Aufbewahren des Marihuanas und dem (weiterhin strafbaren) Besitz des verbotenen Gegenstands kein funktionaler Zusammenhang besteht, liegen zwei prozessuale Taten vor (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2020 - 1 StR 242/19, Rn. 7; LR-StPO/Stuckenberg, 27. Aufl., § 264 Rn. 73; Beschluss vom 22. November 2012 - 4 StR 302/12, BGHR WaffG § 52 Konkurrenzen 3 Rn. 5); der Angeklagte ist daher mit entsprechender Kostenfolge teilweise freizusprechen.

3. Die die Angeklagten M., E. und Al. betreffenden Strafen sowie die den Angeklagten A. S. betreffende Einzelstrafe zu Fall III. 2 der Urteilsgründe und die zu seinen Lasten gebildete Gesamtstrafe sind infolge der gegenüber der früheren Rechtslage niedrigeren Strafrahmen aufzuheben.

a) Das Landgericht ist bei den Angeklagten M. und E. jeweils unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrunds der Beihilfe von einem minder schweren Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG ausgegangen und hat einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren zugrunde gelegt. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht im Hinblick auf den vertypten Milderungsgrund der Beihilfe die Indizwirkung des Regelbeispiels des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG als entkräftet angesehen und bei Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht, eine niedrigere Strafe verhängt hätte.

b) Gegenüber dem zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten Al. hat das Landgericht gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewandt, wegen der Schwere der Schuld die Verhängung einer Jugendstrafe als geboten angesehen und eine Jugendstrafe von neun Monaten für tat- und schuldangemessen gehalten. Bei der Bemessung der Jugendstrafe hat es maßgeblich die „Verbrechen in diesem Stile gutheißende[…]“ Haltung des Angeklagten zu seinen Lasten veranschlagt und noch nicht berücksichtigen können, dass der Angeklagte Beihilfe lediglich zu einem Vergehen geleistet hat. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass sich der durch die Gesetzesänderung für die Zumessung nach Erwachsenenrecht geänderte Strafrahmen und die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung eines reduzierten Unrechtsgehalts auf den Strafausspruch ausgewirkt hätte.

c) Das Landgericht ist beim Angeklagten A. S. in Fall III. 2 der Urteilsgründe vom Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG ausgegangen, der Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und fünfzehn Jahren vorsieht, und hat als Einsatzstrafe eine Einzelstrafe „noch im unteren Drittel des gesetzlichen Strafrahmens“ von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Im Hinblick auf den günstigeren Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG kann der Senat nicht ausschließen, dass die Strafkammer eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte. Die Aufhebung der Einsatzstrafe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

d) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Strafaussprüchen können aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind zulässig, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.

4. Mangels fortbestehender Strafbarkeit der vom Angeklagten A. S. in Fall III. 3 der Urteilsgründe aufbewahrten Cannabismenge besteht keine Rechtsgrundlage mehr für die Anordnung der Einziehung der beschlagnahmten Drogen; diese wird aufgehoben und entfällt.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1315

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede