HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1270
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 227/23, Urteil v. 27.09.2023, HRRS 2023 Nr. 1270
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 10. März 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat im Umfang der Anfechtung Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts bewahrte der Angeklagte am 17. Juni 2022 in der erst kurz zuvor mit seiner Ehefrau bezogenen Wohnung in R. in den Urteilsgründen näher bezeichnete Betäubungsmittel auf, insgesamt 17.013,40 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 2.376,8 Gramm THC und 861,70 Gramm Haschisch (unter anderem sogenannte Hasch-Eier) mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 176,9 Gramm THC sowie weitere 984,3 Gramm Haschisch, das „teilweise bereits stark verrottet bzw. verschimmelt“ war. Sämtliche dieser Betäubungsmittel hatte der Angeklagte von unbekannt gebliebenen Personen auf Kommissionsbasis erworben und wollte sie gewinnbringend weiterveräußern. Darüber hinaus wurde in dem zur Wohnung gehörenden Kellerraum noch eine Haschischplatte mit 90,2 Gramm sowie eine Feinwaage mit Restanhaftungen von Marihuana aufgefunden.
Am Mittag des 17. Juni 2022 wollte der Angeklagte 5 Kilogramm des in seiner Wohnung verwahrten Marihuanas einem Abnehmer übergeben. Hierzu lud er zehn verschweißte Pakete mit jeweils rund 500 Gramm Marihuana (gesamt 5.003,20 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 704,1 Gramm THC), die er in eine schwarze Tasche packte, auf den Rücksitz des von ihm und seiner Frau genutzten Pkw Hyundai i20 mit dem amtlichen Kennzeichen , und fuhr mit diesem Fahrzeug von R. auf der B in Richtung der BAB . Als er eine dort eingerichtete Polizeikontrolle bemerkte, wendete er und versuchte auf öffentlichen Straßen Richtung R. fahrend zu entkommen. Er konnte jedoch eingeholt und festgenommen werden, wobei er einräumte, keine Fahrerlaubnis zu haben. Ein Drogentest verlief negativ. Das im Fahrzeug befindliche Marihuana konnte ebenso wie die in der Wohnung und im Keller aufbewahrten Betäubungsmittel sichergestellt werden.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
1. Zwar hat die Beschwerdeführerin einen umfassenden Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt, zu dessen Begründung konkrete Einwendung indes nur gegen den Strafausspruch und den Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung vorgebracht. Dem ist im Lichte von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV zweifelsfrei zu entnehmen, dass nur der Rechtsfolgenausspruch angegriffen sein soll.
2. Die Rechtsmittelbeschränkung ist auch wirksam. Dem Senat kann die Rechtsfolgenentscheidung auf der Basis des nicht angegriffenen Schuldspruchs des angefochtenen Urteils prüfen; ein Fall, in dem ein fehlerhafter Schuldspruch ausnahmsweise zur Unwirksamkeit der Revisionsbeschränkung führt (vgl. MüKo StPO/Quentin, § 318 Rn. 53 ff.; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 9 f. je mwN), liegt nicht vor.
Die Revision hat im Umfang der Anfechtung Erfolg.
1. Die Strafzumessung leidet an mehreren durchgreifenden Rechtsfehlern zugunsten des Angeklagten.
a) Die Annahme der Strafkammer, der Grenzwert zur nicht geringen Menge sei bei den vom Angeklagten zum gewinnbringenden Verkauf vorgehaltenen Betäubungsmitteln „insgesamt um das etwa 340-fache“ überschritten, ist nach den getroffenen Feststellungen nicht nachvollziehbar und lässt besorgen, dass die Strafkammer einen zu geringen Schuldumfang angenommen hat.
Bei Betäubungsmittelstraftaten ist im Hinblick auf die durch das Betäubungsmittelgesetz geschützte Volksgesundheit die Wirkstoffmenge ein wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 23. Oktober 2019 ? 2 StR 294/19, juris Rn. 18; BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2019 ? 4 StR 1/19, juris Rn. 3; vom 20. Juni 2017 ? 1 StR 213/17, NStZ-RR 2017, 377, 378; vom 12. Mai 2016 ? 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247, 248; vom 7. Dezember 2011 ? 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339). Nach den für sich genommen rechtsfehlerfrei festgestellten Wirkstoffmengen enthielten die in der Wohnung sichergestellten 17.013,40 Gramm Marihuana und 861,70 Gramm Haschisch zusammengenommen 2.553,7 Gramm THC, mithin das etwa 340-fache der nicht geringen Menge von 7,5 Gramm THC. Darüber hinaus bewahrte der Angeklagte aber weitere Haschischplatten mit einem Gesamtgewicht von 1.075,5 Gramm in der Wohnung und im Keller auf. Warum diese bei der Bestimmung der Gesamtwirkstoffmenge keine Berücksichtigung finden, erhellt sich aus den Urteilsgründen nicht, zumal schon nicht das gesamte Haschisch zum Zeitpunkt der Sicherstellung „verrottet bzw. verschimmelt“ war und nicht ersichtlich ist, dass „verrottetes bzw. verschimmeltes“ Haschisch keinen Wirkstoffgehalt hat oder dass sich der Erwerb dieser Betäubungsmittelmenge zum gewinnbringenden Weiterverkauf lediglich auf „verrottetes bzw. verschimmeltes“ Haschisch bezog.
b) Darüber hinaus hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht, dass nach den von ihr getroffenen Feststellungen ein gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten im Sinne des Regelbeispiels des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG auf der Hand liegt, weil die vorgehaltenen Betäubungsmittel sukzessive an fünf verschiedene Abnehmer veräußert und dabei jeweils erhebliche Gewinne von 3.500 € pro Kilogramm Marihuana erzielt werden sollten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Oktober 1991 ? 1 StR 520/91, juris Rn. 15; Beschluss vom 13. Oktober 1992 ? 1 StR 580/92, juris Rn. 2). Die Erfüllung des Regelbeispiels kann auch bei qualifizierten Formen des Handeltreibens von strafzumessungsrechtlicher Bedeutung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1993 ? 4 StR 509/93, juris Rn. 4; Beschluss vom 9. April 2019 ? 1 StR 21/19, juris Rn. 2), was das Landgericht nach den hier festgestellten Umständen der Tatbegehung hätte in den Blick nehmen müssen.
2. Der Strafausspruch - und in seiner Folge die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung - kann daher mit den zugehörigen Feststellungen keinen Bestand haben. Hierüber ist neu zu verhandeln und zu entscheiden.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1270
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede