HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1107
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 144/23, Beschluss v. 22.06.2023, HRRS 2023 Nr. 1107
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. November 2022 im Maßregelausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Untreue in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem hat es ihr für die Dauer von drei Jahren untersagt, den Beruf einer Rechtsanwältin auszuüben. Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend darauf hinweist, dass sich die Summe der von der Angeklagten für eigene Zwecke benutzten Fremdgelder der geschädigten Mandanten auf lediglich 97.910,66 € und nicht wie vom Landgericht angenommen auf 97.970,66 € addiert, schließt der Senat aus, dass dieses bei Annahme einer um 60 € reduzierten Schadenshöhe zu einer niedrigeren Gesamtstrafe gelangt wäre. Es hat die Summe der Einzelschäden bei der Zumessung der Gesamtstrafe nicht erwähnt.
2. Hingegen leidet der Maßregelanspruch an mehreren Rechtsfehlern.
a) Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Angeklagte die Untreuetaten jeweils unter Missbrauch ihres Berufes begangen hat. Die Erwägungen, auf die es die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 70 Abs. 1 StGB gestützt hat, halten jedoch revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
aa) Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll. Es darf nur dann verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine - auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte - Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten das Tatgericht zu der Überzeugung führt, dass die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2019 - 2 StR 337/19, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom 9. Oktober 2018 - 1 StR 418/18, NStZ 2019, 273 Rn. 8; vom 25. Januar 2017 - 1 StR 570/16, juris Rn. 8; Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12, juris Rn. 6, jew. mwN). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Verhängung eines Berufsverbotes ausscheidet, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte bereits durch die Verurteilung zu der verhängten Strafe von weiteren Taten abgehalten werden kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 9. Oktober 2019 - 2 StR 337/19, juris Rn. 9; vom 24. Juli 2014 - 2 StR 221/14, wistra 2015, 27, 29 Rn. 14 mwN).
bb) (1) Das Landgericht hat ausgeführt, es bestehe angesichts der Verurteilung die naheliegende Möglichkeit, dass die Angeklagte, die nach den Feststellungen nach Aufgabe ihrer anwaltlichen Tätigkeit als Geschäftsführerin von drei zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 von ihr mitgegründeten Gesellschaften fungiere, diese Tätigkeit nicht werde fortsetzen können. Es sei „nicht fernliegend, dass [sich] die Angeklagte um die Wiedererlangung ihrer Zulassung als Rechtsanwältin bemühen und in diesem Beruf wieder tätig sein werde.“ Es sei dann „zu besorgen, dass die Angeklagte erneut mit den finanziellen Angelegenheiten der Kanzlei überlastet sein“ werde. Damit hat das Landgericht bereits lediglich die Möglichkeit, nicht aber die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzung durch die Angeklagte aufgezeigt.
(2) Soweit das Landgericht die Gefährlichkeitsprognose des Weiteren damit unterlegt, die Angeklagte lasse „eine hinreichende Distanzierung von dem Tragen finanzieller Verantwortung für Dritte nicht erkennen,“ da sie als Geschäftsführerin „formal auch die finanzielle Verantwortung für die Gesellschaften“ trage, fehlt es bei der aufgezeigten Betätigung bereits an dem berufsspezifischen Zusammenhang zu der zuvor aufgegebenen Tätigkeit als Rechtsanwältin.
(3) Die Strafkammer hat ihre Gefährlichkeitsprognose zudem auf den persönlichen Eindruck gestützt, wonach die Angeklagte ihren persönlichen Vorteil im Blick habe und nur bedingt bereit sei, berufliche und finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen. Diese Wertung hat sie unter anderem auf das Einlassungsverhalten der Angeklagten gestützt, die am ersten Hauptverhandlungstag ihre berufliche Tätigkeit so dargestellt habe, dass sie lediglich im BackOffice einer Gesellschaft tätig sei, obwohl sie tatsächlich, wie sie am nächsten Hauptverhandlungstag auf Vorhalt der Handelsregisterauszüge eingeräumt habe, deren Geschäftsführerin sei. Die Strafkammer hat hierin ein bewusstes Verschweigen durch die Angeklagte gesehen und daraus gefolgert, „dass die Angeklagte letztlich nicht bereit ist, nach den von ihr selbst erkannten Schwächen zu handeln und sie somit Gefahr läuft, sich in dieselbe Situation der Überforderung zu begeben, die zu den hiesigen Taten geführt haben.“ Damit hat das Landgericht nicht bedacht, dass einer bestreitenden Angeklagten ihre - möglicherweise im Verteidigungsverhalten begründete - unzutreffende Einlassung auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose beim Berufsverbot nicht angelastet werden darf (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 2 StR 411/02, juris Rn. 11 mwN).
(4) Hinzu tritt, dass das Landgericht bei der Gefährlichkeitsprognose maßgebliche Gesichtspunkte im Zuge der gebotenen Gesamtwürdigung nicht eingestellt hat. So hat es weder berücksichtigt, dass der Angeklagten durch bestandskräftigen Bescheid der Rechtsanwaltskammer F. vom 18. Oktober 2021 die Erlaubnis zur Ausübung der Tätigkeit als Rechtsanwältin entzogen worden ist und die Angeklagte glaubhaft angegeben hat, den Beruf einer Rechtsanwältin nicht mehr ausüben zu wollen. Zudem hat sie ihre Kanzlei aufgegeben. Das Landgericht lässt auch unerörtert, dass die 41-jährige Angeklagte bis dato nicht vorbestraft ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2003 - 3 StR 276/03, juris Rn. 8), sie die Taten in einer schwierigen finanziellen Lage beging und sämtliche Schäden aus einem Erbe inzwischen ausgeglichen hat.
b) Das Landgericht hat zudem ferner die erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen (§ 62 StGB). Dabei wäre gegebenenfalls zu erörtern gewesen, ob der von der Angeklagten ausgehenden Gefahr der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht mit dem Verbot einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin hinreichend begegnet werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2018 - 2 StR 286/17, juris Rn. 7).
c) Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1107
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede