HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 78
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 131/23, Beschluss v. 08.11.2023, HRRS 2024 Nr. 78
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 24. November 2022, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a) im Schuldspruch im Fall II.3.k) der Urteilsgründe,
b) im Strafausspruch
aa) im Fall II.3.p) der Urteilsgründe,
bb) soweit eine Einzelstraffestsetzung im Fall II.3.l) der Urteilsgründe unterblieben ist,
cc) im Gesamtstrafenausspruch,
c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit die erweiterte Einziehung eines Betrages von 23.000 € angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es „die Einziehung des Wertes des durch die verfahrensgegenständlichen und andere Taten Erlangten“ in Höhe von 42.000 € angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte war Teil eines in A. bestehenden Schleusernetzwerks, das syrischen Staatsangehörigen dabei half, von Griechenland nach Deutschland oder in andere europäische Staaten zu gelangen. Im Fall II.3.k) der Urteilsgründe (Fall 21 der Anklage) beschloss er, der schwangeren B. sowie derem Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern zu helfen, nach Deutschland auszureisen. Die Familie verfügte über griechische Aufenthaltspapiere, die touristische Reisen in das Bundesgebiet gestatteten. Dem Angeklagten war jedoch bewusst, dass die Familie die griechischen Reisedokumente zur Asylantragstellung nutzen wollte und einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland beabsichtigte. Mit vom Angeklagten gebuchten Tickets traten die vier Personen am 7. Mai 2021 einen Flug nach Z. an. Von dort wurden sie durch einen vom Angeklagten beauftragten Fahrer nach Deutschland verbracht, wo sie am Folgetag ankamen. Der Angeklagte erhielt als Gegenleistung für seine Hilfe die Pässe der Familie.
2. Der Angeklagte erlangte als Entlohnung für die dem Urteil zugrundeliegenden Schleusungstaten insgesamt 19.000 €. Hinsichtlich weiterer 23.000 € hat die Strafkammer die Voraussetzungen der erweiterten Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB angenommen. Hierzu hat sie festgestellt, dass der Angeklagte „Ende Oktober 2021 über Bargeld im Wert von mindestens 42.000 €“ verfügte, „das ebenfalls aus Schleusungstaten stammte und das der Mitangeklagte A. für ihn verwahrte“.
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Verurteilung im Fall II.3.k) der Urteilsgründe. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 97 Abs. 2 AufenthG nicht. Es fehlt insoweit an einer beihilfefähigen Haupttat. Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Die im Fall II.3.k) der Urteilsgründe in das Bundesgebiet eingereisten Personen haben den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht verwirklicht. Ein Drittausländer, der über einen von einem (anderen) Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellten nationalen Aufenthaltstitel verfügt, macht sich nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AufenthG strafbar, wenn er bereits bei der Einreise die Absicht hat, in Deutschland einen dauerhaften Aufenthalt zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 - 1 StR 289/20, BGHSt 65, 257, 267 ff.). Für die Frage, ob eine Einreise im strafrechtlichen Sinne unerlaubt ist, ist nicht auf den für den konkreten Aufenthaltszweck im Einzelfall erforderlichen Aufenthaltstitel abzustellen, sondern allein auf das Vorliegen einer formell wirksamen Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung (vgl. BGH, Urteile vom 27. April 2005 - 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105, 110 ff.; vom 26. Januar 2021 - 1 StR 289/20, BGHSt 65, 257, 271). Über eine solche Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung verfügten die in diesem Fall geschleusten Familienmitglieder.
b) Dem Senat war ein Freispruch des Angeklagten in diesem Fall nicht möglich. Ergänzende Feststellungen, die zu einem strafbaren Verhalten des Angeklagten führen, erscheinen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargestellten Gründen nicht gänzlich ausgeschlossen.
2. Der Einzelstrafausspruch unterfällt in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang der Aufhebung. Die Strafkammer hat für Fall II.3.p) der Urteilsgründe (Fall 28 der Anklage) zwei voneinander abweichende Einzelstrafen ausgesprochen. Sie hat zudem versäumt, gegen den Angeklagten wegen der Verurteilung im Fall II.3.l) der Urteilsgründe (Fall 22 der Anklage) eine Einzelstrafe festzusetzen. Den - naheliegend auf ein Fassungsversehen zurückzuführenden - Fehler vermag der Senat nicht selbstständig zu korrigieren. Dies wäre nur möglich, wenn offensichtlich wäre, welche Einzelstrafe dem Fall II.3.l) der Urteilsgründe und welche Einzelstrafe dem Fall II.3.p) der Urteilsgründe zuzuordnen wäre. Dies gelingt hier jedoch nicht, da die chronologische Ordnung der Einzelstrafen (vgl. UA S. 132) nicht durchgehalten wird und auch im Übrigen kein eindeutiges Muster erkennbar ist, nach welchem die Strafkammer die Einzelstrafen zugemessen hat.
3. Die Aufhebung des Falles II.3.k) der Urteilsgründe und des Strafausspruchs in den Fällen II.3.l) und II.3.p) der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
4. Die Einziehungsentscheidung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit gegen den Angeklagten neben der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 19.000 € die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 23.000 € nach § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB angeordnet worden ist.
Die Strafkammer hat nicht bedacht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Voraussetzung für die erweiterte Einziehung gemäß § 73a Abs. 1 StGB ist, dass die einzuziehenden Vermögenswerte bei Begehung der Anknüpfungstaten im Vermögen des Angeklagten gegenständlich vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2022 - 3 StR 238/21, wistra 2023, 121, 122; Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 - 1 StR 312/21, juris Rn. 12; vom 20. Dezember 2022 - 4 StR 221/22, wistra 2023, 209, 210, jew. mwN). Dies ist nicht festgestellt. Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass der Mitangeklagte A. im Herbst 2021 den aus Schleusungstaten erwirtschafteten Betrag in Höhe von 42.000 € vom Angeklagten erhielt und fortan für diesen verwahrte. Soweit in der Beweiswürdigung darüber hinaus erwähnt wird, dass die 42.000 € „im Sommer 2021“ in die Verfügungsgewalt des Angeklagten gerieten, lässt sich auch dieser Feststellung nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass damit ein Zeitpunkt vor dem 17. August 2021 als Tattag der letzten verfahrensgegenständlichen Tat gemeint ist.
5. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind - wie stets - möglich.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 78
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede